Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Über 400 Titel in einem Band). Theodor Storm

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Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Über 400 Titel in einem Band) - Theodor Storm


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seine scharfen Züge grub. “Ein Wunder!” murmelte sie ein paar Mal; “ein Wunder!”

      Da regte der Knabe sich auf seinem Kissen. “Ich will mit den Kindern spielen!” flüsterte er.

      Die Alte riß die Augen auf. “Mit was für Kindern?” fragte sie leise.

      Und der Knabe sagte ebenso im Schlaf: “Mit den Spiegelkindern, Amme!”

      Sie schrie fast auf. “Unglückskind, so hast du in den Spiegel des Cyprianus gesehen! – – Aber der soll ja in der Sakristei stehen; und die Sakristei ist ja vermauert!” Sie sann einen Augenblick; dann sagte sie zu dem Mädchen: “Hol mir den Vincenz, Ursel!”

      Vincenz, der Reitknecht, kam. – “Bist du neulich bei dem Bau in der Kapelle gewesen?” fragte die Alte.

      “Ich bin jeden Tag dort.”

      “Ist die Sakristei auch eingerissen?”

      “Das geschah schon vor vierzehn Tagen.”

      “Hast du einen Spiegel dort gesehen?”

      Er besann sich. “Nun freilich, es steht dort einer im Winkel; der Rahmen scheint von Stahl; aber der Rost hat ihn zerfressen.”

      Die Alte gab ihm einen großen Teppich. “Verhänge den Spiegel sorgsam!” sagte sie; “dann laß ihn hierher ins Ziinmer tragen. Aber leise, damit der Knabe nicht erwacht.”

      Vincenz ging; und bald wurde von ihm und einem Arbeiter ein hohes, mit dem Teppich verhangenes Gerät in das Zimmer getragen.

      “Ist das der Spiegel, Vincenz?” fragte die Amme; und als er es bejaht hatte, fuhr sie fort: “Stellt ihn zu Füßen des Bettes, so daß der kleine Kuno hineinblicken kann, sobald der Teppich fortgenommen ist.”

      Nachdem der Spiegel aufgestellt war und die Träger sich entfernt hatten, setzte die Alte sich wieder an die Seite des Bettes. “Ein Wunder muß geschehen!” sprach sie vor sich hin. Dann saß sie mit geschlossenen Augen wie ein steinern Bild; unsichtbar aber kämpften in ihr Furcht und Hoffnung. Sie harrte auf die Rückkunft der Gräfin; aber wie lang mußte sie noch warten, bis der Schlaf die ganz verwachte Frau verlassen haben würde.

      Da tat sich die Tür auf, und die Gräfin trat herein. “Es hat mich nicht schlafen lassen, Amme”, sagte sie; “verzeih es mir! Du bist so treu und gut, und verständiger wohl als ich; und doch ist mir, ich dürfte das Bett des Kindes nicht verlassen.”

      Die alte Frau antwortete nicht darauf. “Sagt mir noch einmal, Frau Gräfin”, sagte sie, und das Herz schlug ihr so gewaltig, daß sie die Worte kaum herausbrachte, “seid Ihr dessen ganz gewiß, daß jene böse Frau Eure Urahne gewesen ist?”

      “Ich bin dessen ganz gewiß. Aber weshalb fragst du, Amme?”

      Die Alte stand auf; und mit fester Hand riß sie den Teppich von dem Spiegel.

      Die Gräfin schrie laut auf. “Mein Kind, mein Kind! Das ist der Spiegel des Cyprianus!” – Als sie aber einen Blick in den sanften Schein des Glases geworfen hatte, so sah sie darin den kleinen Kuno mit offenen Augen auf seinem Kissen liegen; sie sah ihn lächeln, und wie ein Hauch flog das Rot der Gesundheit auf seine Wangen. Sie wandte sich um; da saß er schon aufrecht, frisch und blühend.

      “Die Kinder, die Kinder!” rief er mit heller, klingender Stimme und streckte die Anne nach dem Spiegel aus.

      “Wo sind sie?” fragte die Gräfin.

      “Dort, dort!” rief die Alte. “Seht nur, sie lächeln, sie nicken, ach, und sie haben Flügel; zwei Englein sind es!”

      “Was sprecht Ihr?” sagte die Gräfin; “ich sehe sie ja nicht.”

      “Dort, dort!” rief wieder der kleine Kuno. – “Ach!” setzte er traurig hinzu, “nun sind sie fortgeflogen.”

      Da sank die alte Amme auf den Stuhl zurück. “Unser Kuno ist gerettet!” rief sie und brach in lautes Schluchzen aus. “Eure Liebe hat das getan und hat den Fluch hinweggenommen von dem Werk des alten Meisters!”

      Die Gräfin aber stand und blickte selig lächelnd in den Spiegel. Auf seiner Fläche schwamm wie Duft ein Rosenwölkchen, und deutlich schimmerte ein schlummerndes Kinderantlitz daraus hervor. “Wolf soll es heißen, wenn’s ein Knabe ist; Wolf und Kuno!” flüsterte sie leise. “Und laß uns beten, Amme, daß sie glücklicher werden als die, so einstens ihre Namen trugen!”

      Hans Bär

       Inhaltsverzeichnis

      In einem alten Fichtenwalde wohnte einmal vor vielen, vielen Jahren ein armer Köhler mit seiner Frau, die ihm erst vor kurzem ein gesundes Knäblein geschenkt hatte, das in der Taufe den Namen Hans empfing. Dieser entwickelte bald nach seiner Geburt eine solche Körperstärke, daß er drei kleine Hündchen, die die Eltern ihm als Spielkameraden beigegeben hatten, der Reihe nach mit seinen Händchen zu Tode drückte. Darüber schalten sie nun wohl den Knaben; in ihrem Herzen aber freuten sie sich über die so wunderbaren Anlagen ihres Söhnleins und gedachten noch einmal etwas Großes aus ihm zu ziehen. Doch nicht lange sollten sie solcher Freude genießen, wie ich dir sogleich erzählen werde. – Es hauste nämlich in diesem selbigen Walde ein ungeheurer Bär; dem hatten die Jäger seine beiden Jungen genommen, worüber er sehr betrübt war und Tag und Nacht vor Schmerz im Walde umherheulte. So kam er auch einst vor das Haus des Köhlers, wo der kleine Hans an der Erde saß und spielte.

      Als der Bär ihn gewahrte, ward er noch lebhafter gemahnt, an seine eignen Kindlein zu denken, und um Rache zu nehmen an den bösen Menschen, die sie ihm geraubt hatten, fuhr er auf den kleinen Hans zu, um ihn zu fressen. Hans aber riß ein Bäumchen aus der Erde und schlug so tapfer auf den großen Bären los, daß dieser, erstaunt über die Kraft und den Mut des Kindes, bald ganz andern Sinnes ward und bei sich selber dachte: ›Den Jungen sollst du mit in deine Höhle nehmen und ihn säugen mit deiner Milch und ihn so stark machen, wie es wohl sonst deine eignen Bärlein geworden wären, damit er dich wieder pflegen und schützen kann, wenn du einmal alt und schwach geworden bist.‹ Solches dachte die alte Bärenmutter in ihrem Sinn, nahm dann trotz seines Schreiens und Sträubens den kleinen Hans gar sanft zwischen ihre Vordertatzen und trabte mit ihm waldeinwärts ihrer Höhle zu.

      Kaum war sie daselbst angekommen, so legte sie auch sogleich ihr neues Pflegesöhnlein auf das weiche Lager, das sie vorher ihren eignen Kindern bereitet hatte, schüttelte ihm die Streu zurechte und brummte ihn gar freundlich an, daß Hänschen sich allmählich beruhigte und endlich vor Ermattung und Müdigkeit einschlief.

      Als er am andern Morgen die Augen aufschlug, sah er den alten Bären vor seinem Lager sitzen, der ihm mit seinen Tatzen eine Menge schöner, roter Erdbeeren darreichte, die er in der Frühstunde für ihn im Walde gepflückt hatte; dann bot er ihm seine Brust und säugte ihn mit seiner Milch, so daß Hänschen gar vergnügt ward und den alten Bär bald auf dem breiten Rücken klopfte, ihn bald in seinem zottigen Pelz zauste, daß es eine Lust war. – Als sie es so eine Weile getrieben hatten, ging der Bär wieder aus der Höhle, wälzte aber, bevor er wegging, einen ungeheuren Stein vor die Öffnung, daß unserm Hänschen rein Tor und Tür versperrt war, so gerne er auch hinterdrein gewesen wäre.

      So ging's eine Zeitlang fort; morgens ging der Bär aus, und mittags kam er wieder nach Hause, wo er denn immer eine schöne Beere oder Blume für sein Pflegesöhnlein mitbrachte, und nachdem er eine Weile mit ihm gespielt hatte, trabte er wieder bis gegen Abend im Walde umher, wälzte aber zu Hänschens großem Verdrusse stets den bösen Stein vor die Öffnung der Höhle. – Nach und nach war Hänschen nun immer stärker und größer geworden, wozu der Genuß der kräftigen Bärenmilch wahrlich nicht wenig beigetragen hatte; und je stärker und größer er ward, desto verdrießlicher ward ihm der große Stein, der ihm den Weg zu dem schönen, grünen Wald versperrte; und als eines Morgens der alte Bär wie gewöhnlich waldeinwärts getrabt war, um sich eine süße Portion Honig oder ein fettes Häschen zur Frühkost zu suchen, da setzte Hänschen mit aller seiner


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