Wachtmeister Studer. Friedrich C. Glauser

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Wachtmeister Studer - Friedrich C.  Glauser


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sein. Das Zim­mer war klein, die Wän­de mit grü­ner Öl­far­be ge­stri­chen. Gera­ni­en blüh­ten auf dem Fens­ter­brett.

      Eine di­cke Schwes­ter war dar­an, das Zim­mer zu keh­ren.

      »Schwes­ter«, sag­te Stu­der und sei­ne Stim­me war fest, »ich hab Hun­ger.«

      »So, so«, sag­te die Schwes­ter nur, kam nä­her, beug­te sich über Stu­der. »Geht’s bes­ser?«

      »Wo bin ich?« frag­te Stu­der und be­gann zu la­chen. So frag­ten doch im­mer die Hel­den in den Ro­ma­nen von… von… wie hieß die alte Tru­cke nur, die im­mer Ro­ma­ne schrieb? Fe­li­ci­tas? Ja, Fe­li­ci­tas…

      »Ge­mein­de­spi­tal Ger­zen­stein«, sag­te die Schwes­ter. Ir­gend­wo spiel­te Mu­sik.

      »Was ist das?« frag­te Stu­der.

      »Ha­fen­mu­sik – Ham­burg«, sag­te die Schwes­ter.

      »Ger­zen­stein und die Laut­spre­cher«, mur­mel­te Stu­der. Und dann gab es Milch und Weg­g­li und An­ken und Kon­fi­tü­re. Stu­der be­kam Lust nach ei­ner Bris­sa­go. Aber als er die­sen Wunsch äu­ßer­te, kam er bei der Schwes­ter bös an.

      Und dann kam ein Nach­mit­tag, an dem er al­lein im Zim­mer lag. Sei­ne Frau war nach Bern zu­rück­ge­fah­ren und hat­te ver­spro­chen, ihn am Ende der Wo­che ho­len zu kom­men.

      Da kam die Schwes­ter her­ein, eine Dame (sie sag­te ›ei­ne Da­me‹) wol­le den Wacht­meis­ter spre­chen. Stu­der nick­te.

      Die Haa­re der Dame wa­ren weiß wie… wie… Flie­der.

      Stu­der wuss­te, dass Äsch­ba­cher im See er­trun­ken war. Ein Un­glücks­fall, war ihm ge­sagt wor­den. Stu­der hat­te ge­nickt.

      Die Dame setz­te sich an Stu­ders Bett, die Schwes­ter ging hin­aus. Die Dame schwieg.

      »Bon­jour Ma­da­me«, sag­te Stu­der mit ei­nem hilflo­sen Ver­such, zu scher­zen. Die Dame nick­te.

      Schwei­gen. Eine Hum­mel strich sum­mend durchs Zim­mer. Es muss­te wohl Ende Juni sein.

      »Es war mei­ne Schuld«, sag­te Stu­der lei­se. »Ich hab ihn nach Ih­nen ge­fragt, Ma­da­me, und da hat er ge­weint. Die Trä­nen sind ihm über die Wan­gen ge­lau­fen. Ja. Und dann hab ich ihn noch ge­fragt, was Sie ge­meint hät­ten, so, zu der gan­zen Sa­che. Dann hat er mich noch ge­warnt. Ich habe ge­ra­de Zeit ge­habt, aus dem Wa­gen zu sprin­gen. Ich mein’ er ist dann über die Mau­er… Glau­ben Sie nicht, es ist bes­ser so?«

      »Ja«, sag­te die Dame. Sie wein­te nicht. Sie hat­te die Hand auf Stu­ders Arm ge­legt. Eine sehr leich­te Hand.

      »Ich sage nichts, Ma­da­me«, sprach Stu­der ganz lei­se.

      »Dan­ke, Herr Stu­der.«

      Das war al­les.

      Und ein­mal kam Son­ja Wit­schi. Sie be­dank­te sich. Die Ver­si­che­rung war nicht aus­be­zahlt wor­den. Der Un­ter­su­chungs­rich­ter hat­te sie alle drei vor­ge­la­den, die Mut­ter, Ar­min und Son­ja. Man hat­te da­von ab­ge­se­hen, eine Kla­ge auf Ver­si­che­rungs­be­trug zu stel­len. Man war froh, den gan­zen Fall Wit­schi ad acta zu le­gen…

      – Wie es dem Schlumpf gin­ge, woll­te Stu­der wis­sen. Gut, sag­te Son­ja und wur­de rot.

      … Die Som­mer­spros­sen auf dem Na­sen­sat­tel, an den Schlä­fen…

      – Ar­min wer­de auch bald hei­ra­ten, sag­te sie. Die Mut­ter habe noch im­mer den Bahn­hof­ki­osk.

      Und zum Schluss kam der Un­ter­su­chungs­rich­ter. Sein sei­de­nes Hemd war dies­mal cre­me­far­ben. Den Sie­gel­ring trug er noch im­mer.

      »Ich war schon ein­mal da, Herr Stu­der«, sag­te er. »Aber der Arzt war so grob. Ich wun­de­re mich im­mer über den Man­gel an gu­ter Kin­der­stu­be bei aka­de­misch ge­bil­de­ten Leu­ten, bei Me­di­zi­nern vor al­lem.«

      – Das sei nun ein­mal so, mein­te Stu­der. Er hat­te die Hän­de auf der Bett­de­cke ge­fal­tet und dreh­te die Dau­men um­ein­an­der.

      »Wa­rum sind Sie da­mals mit Äsch­ba­cher ge­fah­ren, Herr Stu­der? Hat­ten Sie et­was Wich­ti­ges ent­deckt? Sie mach­ten da­mals so merk­wür­di­ge An­deu­tun­gen? Hat Wit­schi ei­gent­lich kei­nen Selbst­mord be­gan­gen, war es doch ein Mord? Hat Ih­nen der se­li­ge Herr Ge­mein­de­prä­si­dent et­was mit­ge­teilt? Et­was Wich­ti­ges? Das er auch mir mit­tei­len woll­te? Sie schwei­gen, Stu­der? Was hat Ih­nen Äsch­ba­cher mit­ge­teilt, dass Sie es so ei­lig hat­ten, mit ihm nach Thun zu fah­ren?«

      Stu­der starr­te zur De­cke, schwieg eine Zeit lang. Dann sag­te er, und sei­ne Stim­me war aus­druck­los:

      »Nüt Apar­tigs…«

      ENDE

Die Fieberkurve

      Die Geschichte vom Hellseherkorporal

      Da lies!«, sag­te Stu­der und hielt sei­nem Freun­de Ma­de­lin ein Te­le­gramm un­ter die Nase. Vor dem Jus­tiz­pa­last war es fins­ter, die Sei­ne rieb sich gluck­send an den Quai­mau­ern, und die nächs­te La­ter­ne war ei­ni­ge Me­ter weit ent­fernt.

      »das jun­ge ja­kob­li lässt den al­ten ja­kob grü­ßen hedy«, ent­zif­fer­te der Kom­mis­sär, als er un­ter dem fla­ckern­den Gas­licht stand. Ob­wohl Ma­de­lin vor Jah­ren an der Straß­bur­ger Sûreté ge­ar­bei­tet hat­te und ihm dar­um das Deut­sche nicht ganz fremd war, mach­te es ihm doch Mühe, den Sinn des Sat­zes zu ver­ste­hen. So frag­te er:

      »Was soll das hei­ßen, Stüdè­re?«

      »Ich bin Groß­va­ter«, ant­wor­te­te Stu­der mür­risch. »Mei­ne Toch­ter hat einen Sohn be­kom­men.«

      »Das muss man fei­ern!«, be­schloss Ma­de­lin. »Und au­ßer­dem trifft es sich güns­tig. Denn heu­te hat mich ein Mann be­sucht, der mit dem Hal­belf-Uhr-Zug in die Schweiz reist und mich ge­be­ten hat, ihn an einen dor­ti­gen Kol­le­gen zu emp­feh­len. Ich hab’ ihn auf neun Uhr in eine klei­ne Wirt­schaft bei den ›Hal­len‹ be­stell­t… Jetzt ist es…«, mit sei­nen Hän­den, die in Woll­hand­schu­hen steck­ten, knöpf­te Ma­de­lin sei­nen Über­zie­her auf, des­sen Kra­gen sich von sei­nem Hal­se ab­wölb­te, zog eine alte Sil­ber­uhr aus sei­ner Wes­ten­ta­sche und stell­te fest, dass es acht Uhr sei. »Wir ha­ben Zeit«, mein­te er be­frie­digt. Und wäh­rend ihm die Bise sei­ne un­ge­schütz­ten Lip­pen zer­riss, tat er einen tief­sin­ni­gen Auss­pruch: »Wenn man alt wird, hat man im­mer Zeit. Son­der­bar! Geht’s dir auch so, Stüdè­re?«

      Stu­der brumm­te. Doch wand­te er sich brüsk um, denn eine hohe, kräch­zen­de Stim­me sag­te:

      »Und ich darf doch auch Glück wün­schen? Oder? Un­se­rem ver­ehr­ten In­spek­tor? Herz­lich Glück wün­schen?«

      Ma­de­lin, groß, ha­ger, und Stu­der, eben­so groß, nur mas­si­ger, mit brei­te­ren Schul­tern, wand­ten sich um. Hin­ter den bei­den hüpf­te ein win­zi­ges We­sen – zu­erst wuss­te man nicht, war es eine Frau oder ein Mann: der lan­ge Man­tel fiel bis zu den Knö­cheln, das Béret war bis zu den Au­gen­brau­en ge­zo­gen, der Woll­schal ver­hüll­te die Nase – so­dass nur die Au­gen frei­b­lie­ben, und auch die­se ver­steck­ten sich hin­ter den Glä­sern ei­ner rie­si­gen Horn­bril­le.

      »Pass auf, Go­do­frey!«, sag­te der Kom­mis­sär


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