Die heimliche Geliebte. Barbara Cartland
Читать онлайн книгу.zweite Tür bemerkte. Als ich mich gerade vergewissern wollte, daß auch sie verschlossen war, hörte ich auf der anderen Seite eine Stimme.
,Vielen Dank, mein guter Mann.‘
Ich wußte, wer da sprach.“
„Zweifellos Sir Julius Stone!“
„Allerdings! Mit einem Schlag war mir klar, wer für den Wechsel meines Zimmers verantwortlich war.“
Sie holte tief Atem. In ihren Augen spiegelte sich das Entsetzen wider.
„Ich fragte mich verzweifelt, was ich tun konnte. Ein schneller Blick auf die Tür zeigte, daß auf meiner Seite der Schlüssel fehlte. Da merkte ich, was gespielt wurde. Ich rannte durch das Schlafzimmer und öffnete die Tür zum Korridor. Da ich einen Mann aus diesem Zimmer kommen sah, glaubte ich es leer zu finden und hoffte, mich hier einschließen zu können.“
„Das war sehr vernünftig gehandelt“, sagte der Marquis ruhig. „Nur ein Mann wie Stone kann sich so verachtenswert benehmen, ein mit einer alten Dienerin allein reisendes Mädchen zu belästigen.“ Als sie nichts sagte, fuhr er fort: „In neun von zehn Fällen wären Sie völlig sicher gewesen. War Ihre Reise denn so wichtig, daß Sie sie ohne entsprechende Begleitung unternommen haben?“
„Lord Derwent hatte meinen Vater gebeten, ihm sechs Miniaturen zu bringen, die er kürzlich für ihn restauriert hatte. Seine Lordschaft tat ferner kund, daß sich in seinem Hause noch weitere Kunstwerke befänden, über die er sich den Rat meines Vaters erbat.“
„Konnte Ihr Vater die Wünsche Lord Derwents nicht selbst erfüllen?“
„Leider war das unmöglich“, erwiderte sie mit einer kleinen Handbewegung. „Er ist krank, sehr krank sogar. Daher wollte ich Lord Derwent die Miniaturen bringen und ihm bei dieser Gelegenheit sagen, welche anderen Miniaturen in seiner Sammlung einer Restaurierung bedürfen.“
„Sind Sie denn Expertin?“ fragte er nicht ohne leisen Spott.
„Ich helfe meinem Vater schon seit langem bei seiner Arbeit“, erwiderte sie würdevoll.
„Entschuldigen Sie, daß ich Ihre Fähigkeiten angezweifelt habe. Andererseits gleichen Sie selbst so sehr einer Miniatur, daß man sich schwer vorstellen kann, daß Sie Künstlerin sind - das heißt, vielleicht irre ich mich gerade in dieser Beziehung, und diese Art der Malerei fliegt Ihnen ganz natürlich zu.“
„Ich habe nicht behauptet, Miniaturenmalerin zu sein“, wurde er von Vanessa getadelt. „Auf jeden Fall besitze ich genügend Erfahrung auf diesem Gebiet, um zu wissen, wie man eine Miniatur behandelt, die verblaßt oder vom Klima angegriffen ist.“
„Sie waren also in der Lage, Lord Derwent zu beraten“, stellte er fest.
„Ich fand vier Miniaturen, die eine Behandlung nötig haben.“
„Hoffentlich war Seine Lordschaft Ihnen auch dankbar, daß Sie ihm seine Miniaturen gebracht und sich dabei persönlichen Gefahren ausgesetzt haben.“
„Das dürfte Lord Derwent wohl kaum bekümmern. Wenn man einem Eigentümer den vollendeten Auftrag persönlich abliefert, bezahlt er gewöhnlich seine Rechnung sofort.“ Mit einem scheuen Lächeln fügte sie hinzu: „Was sehr oft von denen vergessen wird, die nicht für ihren Unterhalt arbeiten müssen.“
„Das ist nur zu wahr“, stimmte er zu, wobei er an den enormen Schuldenberg dachte, den der Prinz von Wales bei Künstlern und Antiquitätenhändlern angesammelt hatte.
„Glauben Sie, daß es jetzt für mich sicher ist, nach oben zu gehen?“ fragte Vanessa nach kurzem Schweigen.
Der Marquis betrachtete ihr sensitives, kleines Gesicht. Der bloße Gedanke, sie den Belästigungen eines so verderbten Mannes wie Sir Julius Stone ausgesetzt zu sehen, erfüllte ihn mit Wut. Es war ein unseliger Zufall, daß dieses unschuldige Kind ausgerechnet diesem widerwärtigen Burschen über den Weg gelaufen war. Vermutlich hatte Sir Julius den Boxkampf besucht.
„Da ich nichts so sehr verabscheue wie Lärm, miete ich auf meinen Reisen nicht nur ein Schlafzimmer, sondern auch die beiden angrenzenden Räume. Dadurch werde ich nicht durch Schnarchen oder lauten Streit geweckt. Die Wände sind oft bemerkenswert dünn.“
„Das klingt ja richtig luxuriös“, sagte sie lächelnd.
„Bequemlichkeit ist es wert, bezahlt zu werden“, erwiderte er gleichmütig. „Ich schlage daher vor, daß Sie in dem angrenzenden Zimmer schlafen. Dort sind Sie vor Sir Julius sicher, und da Sie morgen früh weiterfahren, haben Sie den Gasthof verlassen, lange bevor er aufwacht.“
„Kann ich das wirklich?“
„Es scheint mir die vernünftigste Lösung zu sein.“
Er erhob sich aus seinem Sessel und ging zu der Verbindungstür, die ein wenig versteckt zwischen zwei großen Schränken lag. Der Schlüssel steckte auf dieser Seite im Schloß. Nachdem er einen Kerzenleuchter vom Tisch genommen hatte, trat er in das Nachbarzimmer. Es war weit kleiner als das von ihm benutzte, weil es nur als Ankleideraum oder für ein die Eltern begleitendes Kind gedacht war. Die Möblierung bestand aus einem schmalen Bett, einem Schrank und einer Kommode; auf dem Boden lag ein Teppich.
„Das ist genau richtig für mich“, rief Vanessa. „Und wenn ich morgen früh aufwache, bitte ich Dorcas, mir meine Kleider aus dem anderen Zimmer zu holen.“
Der Marquis stellte die Kerze auf den Nachttisch.
„Ich würde vorschlagen, daß wir den Schlüssel auf Ihre Seite transferieren.“
„Aber ich vertraue Ihnen doch“, sagte sie leise. „Sie haben nichts mit diesem schrecklichen Mann gemein.“
„Hoffentlich nicht“, erwiderte er trocken.
„Papa hat mir erzählt, daß solche Männer bei Hofe verkehren“, sagte sie wie zu sich selbst, „Ich hätte aber nie gedacht, selbst einem zu begegnen.“
„Auf alle Fälle wissen Sie jetzt, wie vorsichtig Sie sein müssen. Sie sind sehr schön, Vanessa, und schöne Frauen beschwören oft unbewußt Gefahren herauf.“
Sie blickte ihn überrascht an.
„Ist das Ihre ehrliche Meinung?“
„Aber natürlich. Haben Sie denn noch nie in den Spiegel gesehen?“
Die Röte stieg ihr in die Wangen.
„Meine Mutter war sehr schön“, sagte sie scheu, „daher ist mir wohl nie in den Sinn gekommen, ich könnte etwas anderes als ganz alltäglich sein.“
„Eine ziemliche Anzahl Männer dürften versuchen, Sie vom Gegenteil zu überzeugen.“
„Dann ist es vermutlich ein Glück für mich, daß ich nicht viele treffe.“
„Solange Ihr Vater krank ist, müssen Sie zu Hause bleiben, Vanessa“, beschwor er sie mit seiner tiefen Stimme. „Sie dürfen keine solchen Reisen mehr unternehmen.“
„Vermutlich haben Sie recht, nur dürfte das sehr schwierig sein.“
„Legen Sie sich schlafen“, sagte er. „Heute nacht brauchen Sie keine Angst mehr zu haben. Verschließen Sie von innen beide Türen, und wenn etwas Sie ängstigt, rufen Sie mich.“
„Ich danke Ihnen mehr als ich sagen kann, Mylord.“
„Keine Ursache. Das Vorgefallene tut mir sehr leid, aber vielleicht wird Ihnen das für die Zukunft eine Warnung sein.“
„Beim nächsten Mal wären Sie vielleicht nicht da, um mir zu helfen.“
Als ihre Blicke sich trafen, waren sie plötzlich ganz ruhig.
Wie ein Produkt seiner Phantasie stand sie da und sah ihn an. Ihre graugrünen Augen blickten ein wenig verwirrt drein, ihre Lippen waren sanft geöffnet.
„Gute Nacht“, sagte er, und dann, als ob er nicht anders konnte, legte er zwei Finger unter