Gesammelte Werke. Henrik Ibsen

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Gesammelte Werke - Henrik Ibsen


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Håkon seinen großen Königsgedanken aussprach, seh' ich keinen Gedanken mehr in der Welt als den einen. Kann ich ihn mir nicht zu eigen und zur Wahrheit machen, so sehe ich keinen Gedanken, für den es sich zu streiten lohnt. Gedankenvoll. Und kann ich das denn nicht? Wenn ich's nicht könnte, weshalb liebe ich denn Håkons Gedanken!

      Jatgjer tritt durch die Mitte ein. Verzeiht, Herr König, daß – ich komme –

      König Skule. Gut, daß Du kommst, Skalde!

      Jatgjer. Ich hörte die Stadtleute in der Herberge geheimnisvoll davon reden, daß –

      König Skule. Hernach davon! Sag' mir, Skalde: Du, der weit umhergefahren ist in fremden Landen, hast Du je gesehen, daß ein Weib ein fremdes Kind liebte? Es nicht bloß lieb hatte, – das mein' ich nicht; sondern es liebte, liebte mit ihrer Seele heißester Liebe?

      Jatgjer. Das tun nur die Weiber, die keine eigenen Kinder haben, die sie lieben könnten.

      König Skule. Nur die Weiber –?

      Jatgjer. Und zumeist die Weiber, die unfruchtbar sind.

      König Skule. Zumeist die unfruchtbaren –? Die lieben die Kinder andrer mit ihrer allerheißesten Liebe?

      Jatgjer. Das kommt häufig vor.

      König Skule. Und kommt es nicht auch zuweilen vor, daß solch ein unfruchtbar Weib das Kind einer anderen tötet, weil sie selbst keines hat?

      Jatgjer. O ja, – allein daran handelt sie nicht klug.

      König Skule. Klug?

      Jatgjer. Nein, – denn sie verleiht der, deren Kind sie tötet, die Gabe des Leids.

      König Skule. Glaubst Du, daß die Gabe des Leids etwas so Gutes ist?

      Jatgjer. Ja, Herr.

      König Skule blickt ihn fest an. Es sind so zu sagen zwei Menschen in Dir, Isländer. Sitzest Du inmitten des Schwarmes bei lustigem Gelage, so ziehst Du Mantel und Wams über jeden Deiner Gedanken – ist man allein mit Dir, so erscheinst Du einem zuweilen als der Mann, wie man ihn sich zum Freunde wählen möchte. Woher kommt das?

      Jatgjer. Wenn Ihr geht im Flusse schwimmen, Herr, so entkleidet Ihr Euch nicht da, wo die Kirchgänger vorbei müssen, sondern Ihr sucht Euch ein heimliches Versteck.

      König Skule. Versteht sich.

      Jatgjer. Ich hab' eine schamhafte Seele; deshalb entkleide ich mich nicht, wenn so viele in der Halle sind.

      König Skule. Hm. Kurze Pause. Sag' mir, Jatgejr, wie ist es zugegangen, daß Du Skalde wurdest? Von wem lerntest Du die Skaldenkunst?

      Jatgjer. Die Skaldenkunst lernt man nicht.

      König Skule. Lernt man nicht? Wie ging es denn zu?

      Jatgjer. Ich empfing die Gabe des Leids, und so ward ich Skalde.

      König Skule. Die Gabe des Leids also, die braucht der Skalde?

      Jatgjer. Ich brauchte das Leid, es mag andre geben, die den Glauben oder die Freude brauchen – oder den Zweifel –

      König Skule. Auch den Zweifel?

      Jatgjer. Ja, – aber dann muß der Zweifler stark und gesund sein.

      König Skule. Und wen nennst Du einen ungesunden Zweifler?

      Jatgjer. Den, der an seinem eigenen Zweifel zweifelt.

      König Skule langsam. Mich dünkt, – das ist der Tod.

      Jatgjer. Noch schlimmer – es ist das Halbleben.

      König Skule rasch, indem er gleichsam die Gedanken von sich abschüttelt. Wo sind meine Waffen? Ich will streiten und handeln, – nicht denken. Was wolltest Du mir melden, als Du herkamst?

      Jatgjer. Ich wollte melden, was ich in der Herberge wahrgenommen habe. Die Stadtleute reden heimlich untereinander; sie lachen höhnisch und fragen, ob wir so bestimmt wüßten, daß König Håkon drüben im Westen sei – sie freuen sich über etwas.

      König Skule. Sie sind Vikväringer, und die sind mir feindlich gesinnt.

      Jatgjer. Sie spotten darüber, daß König Olafs Heiligenschrein nicht auf den Thingwall hinausgeschafft werden konnte, als Euch gehuldigt ward – sie sagen, das sei ein böses Vorzeichen.

      König Skule. Das nächste Mal, wenn ich nach Nidaros komme, soll der Schrein heraus; er soll unter freiem Himmel stehen, und müßte ich die Olafskirche in Trümmer schlagen und den Thingwall erweitern bis über die Schuttstätte hinaus, wo sie stand!

      Jatgjer. Eine gewaltige Tat – aber ich will ein Lied darauf dichten, so gewaltig wie die Tat.

      König Skule. Hast Du viel ungedichtete Lieder in Dir, Jatgejr?

      Jatgjer. Nein, aber viel ungeborene – sie werden eins nach dem andern empfangen, bekommen Leben, und dann werden sie geboren.

      König Skule. Und wenn ich, der ich König bin und die Macht habe, Dich töten ließe, würde dann jeder ungeborene Skaldengedanke, den Du hegst, mit Dir sterben?

      Jatgjer. Herr, es ist eine große Sünde, einen schönen Gedanken zu töten.

      König Skule. Ich frage nicht, ob es Sünde ist, sondern ich frage, ob es möglich ist!

      Jatgjer. Ich weiß nicht.

      König Skule. Hast Du nie einen andern Skalden zum Freund gehabt, und hat er Dir nie ein großes und herrliches Lied geschildert, das er dichten wollte?

      Jatgjer. Ja, Herr.

      König Skule. Wünschtest Du dann nicht, ihn töten zu können, um seinen Gedanken ihm zu nehmen und selbst das Lied zu dichten?

      Jatgjer. Herr, ich bin nicht unfruchtbar; ich habe eigene Kinder; ich brauche nicht die anderer zu lieben. Ab.

      König Skule nach einer Pause. Dieser Isländer ist gewißlich ein Skalde. Er spricht Gottes tiefste Wahrheit aus und weiß es nicht – Ich bin wie ein unfruchtbares Weib. Deshalb lieb' ich Håkons königliches Gedankenkind, lieb' es mit meiner Seele heißester Liebe. O, könnt' ich es doch an Kindesstatt annehmen! Doch es würde sterben unter meinen Händen. Was ist besser: es stirbt unter meinen Händen, oder es wächst unter den seinen herrlich empor? Find' ich Frieden in der Seele, wenn das geschieht? Kann ich entsagen? Kann ich es mitansehen, daß Håkon sich solch einen Ruhm erwirbt! – Wie tot und leer ist's in mir, – und rings um mich her. Kein Freund – der Isländer! Er geht an die Tür und ruft hinaus: Hat der Skalde schon das Königsschloß verlassen?

      Ein Gefolgsmann von draußen. Nein, Herr, er steht in der Vorhalle und spricht mit der Wache.

      König Skule. So sag ihm, er solle kommen. Er geht an den Tisch; bald darauf erscheint Jatgejr. Ich kann nicht schlafen, Jatgejr, – all die großen Königsgedanken, sieh, die halten mich wach.

      Jatgjer. Es ist mit des Königs wie mit des Skalden Gedanken – das leuchtet mir ein. Sie fliegen am höchsten und gedeihen am besten, wenn ringsum nächtliche Stille ist.

      König Skule. Ist es so auch mit des Skalden Gedanken?

      Jatgjer. Ja, Herr, kein Lied wird beim Licht der Tages geboren; man kann es wohl aufzeichnen im Sonnenschein, aber gedichtet wird es in einer stillen Stunde der Nacht.

      König Skule. Wer hat Dir die Gabe des Leids verliehen, Jatgejr?

      Jatgjer. Sie, die ich liebte.

      König Skule. Sie starb?

      Jatgjer. Nein, sie verließ mich.

      König Skule. Und da wurdest Du Skalde?

      Jatgjer. Ja, da wurde ich Skalde.

      König Skule faßt ihn am Arm. Welche Gabe brauch' ich, um König zu werden?

      Jatgjer. Nicht die Gabe des Zweifels; sonst fragtet Ihr nicht.

      König Skule. Welche Gabe


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