Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band). Theodor Storm

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Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band) - Theodor Storm


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dufteten von den Fensterbrettern noch wie sonst, sogar der leckere Kuchenteller fehlte nicht unter dem blankpolierten Messingstülp; nur daß statt des alten Ehepaares jetzt ein junges da war und statt des aufhorchenden Knaben ein schon dem Alter entgegengehender Mann. Aber die Sitte, die geistige Luft des Hauses war dieselbe geblieben, und Lenas braune Augen blickten noch so klar und klug wie immer.

      Sie hatte noch die Freude, aus den beiden Töchtern ihrer Schwester zwei wohlangesehene Predigerfrauen und aus ihrem einzigen Neffen einen der angeseheneren Ärzte jener großen Stadt werden zu sehen. Wiederholt und dringend wurde sie zu diesem eingeladen; aber sie meinte, sie passe nicht dahin, die Kinder könnten zu ihr kommen. Und so geschah es auch.

      Der Ausgang des Lebens sollte ihr nicht leicht werden. Eine jener Krankheiten ergriff sie, die sich an den Menschen anhaften wie ein fressendes Tier, das er nicht abschütteln, noch ausreißen kann, sondern jahrelang mit sich umhertragen muß, bis er ihm endlich erlegen ist. In ihrem letzten Lebensjahre war ich als einer der dazu erforderlichen Zeugen bei der Niederschrift ihres Testaments zugegen. Sie hatte sich zu dieser feierlichen Handlung aufs sorgfältigste kleiden lassen, und empfing uns ernst und ruhig; ihr Antlitz schaute noch unverstellt aus der weißen Haube mit dem lila Seidenband; nur ihre Gestalt war jetzt zusammengesunken. Vorher nahm sie mich in eine Nebenkammer und sprach über ihren bevorstehenden Tod und die jetzt vorzunehmenden Verfügungen; nicht ihrer Leiden, sondern nur mit Dank der Liebe gedenkend, die sie während derselben von den Ihrigen empfangen hatte; nur eine Besorgnis äußerte sie dabei: sie fürchte, ihr sonst noch kräftiger Körper möge sie noch lange auf das Ende warten lassen.

      Und lange hat es gedauert. Ihr wurde keine Qual, kein Entsetzen jener furchtbaren Krankheit erspart; aber sie blieb bis zu Ende aus dieselbe, die sie in gesunden Tagen gewesen war, ruhig in sich selbst, fürsorglich für andere. »Lena Wies stirbt wie ein Held!« pflegte ihr Arzt von ihr zu sagen. – Um das Hauswesen der jungen Verwandten nicht gar zu sehr mit ihrem Leid zu stören, begehrte sie in der letzten Zeit wiederholt, in eine kleine nach dem Hofe hinaus liegende Kammer gebracht zu werden. Aber freilich, für »Tante«, so lange sie noch da war, durfte nichts zu gut sein; und so blieb sie denn bei ihren Blumen, in der freundlichen Stube, wo die Erinnerung aller guten Stunden ihres Lebens bei ihr war.

      Mitunter während ihrer Krankheit empfing sie auch den Besuch des Ortsgeistlichen; aber Lena Wies hatte über Leben und Tod ihre eigenen Gedanken, und es lag nicht in ihrer Art, was sie durch lange Jahre in ihr aufgebaut hatte, auf Zureden eines Dritten in einer Stunde wieder abzutragen. Still und aufmerksam folgte sie den Auseinandersetzungen des Seelsorgers ; dann, mit ihrem klugen Lächeln zu ihm aufschauend, legte sie sanft die Hand auf seinen Arm: »Hm, Herr Propst! Se kriegen mi nich!« – Und er, in seinem Sinne, mag dann wohl gedacht haben: »Wehre dich nur! Die Barmherzigkeit Gottes wird dich doch zu finden wissen.« – –

      Als ich zum letztenmal in ihre Stube trat, erschrak ich bei ihrem Anblick; denn ihr Gesicht war ganz entstellt. Meine Bewegung entging ihr nicht; aber selbst dem Tode suchte sie mit ihrer guten Laune zu begegnen. »Ja kiek man mal! Wo seh ick ut!« rief sie, scheinbar mit der alten Munterkeit, mir entgegen. – Als ich mich kaum gesetzt hatte, entstand ein Lärmen draußen vor den Fenstern. »Da hebb’t se all wedder de arme Jung to’m besten!« sagte sie; und krank und sterbend, wie sie war, ging sie aus der Stube und hinaus auf die Gasse. – Es war ein blödsinniger Knabe aus der Nachbarschaft, der sich vergebens gegen ein Rudel übermütiger Jungen zu wehren suchte. Bald aber hörte ich draußen vor der Haustür die gelassene Stimme meiner Freundin, und sah durchs Fenster, wie still und beschämt die Ruhestörer auseinander schlichen.

      »Se hebben noch immer so väl Respekt vör Tante«, sagte, nicht ohne einen gewissen Stolz, die junge Frau, die neben mir am Fenster stand. – –

      Das war das letzte Mal, daß ich Lena Wies gesehen habe. Noch einige schwerste Leidenswochen folgten; dann hat auch sie das trauliche Häuschen mit dem engen Kirchhofsgrab vertauscht, in dem sie jetzt bei ihren Eltern ruht.

      – – Mitunter an stillen Sommervormittagen besuche ich die alten Freunde meiner Jugend und lese die Inschrift auf ihrem Grabkreuze. Auch hier singen dann die Grillen; aber es sind nicht die Heimchen des häuslichen Herdes, und Geschichten werden bei ihrem Gesange nicht erzählt.

       Inhaltsverzeichnis

      Allerlei Seltsames war in der alten Stadt. In der alten, sage ich; denn seit der große Brand ihre Treppengiebel verzehrt und die Eisenbahn den Arm nach ihr ausgestreckt hat, ist sie jünger geworden, als sie es in meiner Jugend war.

      Damals, wenn Unwetter in der Luft drohte, ließen wir uns das nicht, wie anderwärts, durch ein Wetterglas prophezeien, auch nicht durch einen Laubfrosch, der die Leiter in seinem Glase hinab kletterte, sondern durch einen alten Amtschirurgus, der die Treppen der drei Rathausböden hinaufstieg und dann aus der obersten Giebelluke über die Stadt hinaus prophezeite. Zwar betrafen seine Worte nicht zunächst das Wetter; vielmehr pflegte er sich dann als Kronprinzen von Preußen zu proklamieren und hinterher allerlei Verwünschungen über die höchsten Würdenträger der Stadt herabzurufen; aber wir Eingeborenen wußten Bescheid, ein Sturm aus Nordwest war gewiß im Anzuge. Oft habe ich aus dem engen Steinhofe eines Nachbarhauses hinaufgeschaut, wenn das breite rubinrote Gesicht mit dem weißgepuderten Haarschopf droben aus dem Rathausgiebel hinausfuhr, und mit Wonne die ungeheuren Aufrichtigkeiten eingesogen, die der aufgeregte Redner mit beiden Armen aus der Bodenluke hervorarbeitete. Es war dies allerdings nicht das geeignetste Mittel, um in einem jungen Herzen den Respekt vor den Autoritäten des Staatskalenders großzuziehen, und ich habe später oft darüber nachdenken müssen, was der Mann nicht alles in mir zerstört haben mag. – Ob im Grunde genommen nicht der Amtschirurgus klarer sah als die Leute unten in der Stadt, die ihn für einen Narren hielten? – Nur soviel ist gewiß: auch wir Gesunden sehen die Dinge nicht, wie sie sind; uns selber unbewußt webt unser Inneres eine Hülle um sie her, und erst in dieser Scheingestalt erträgt es unser Auge, sie zu sehen, unsere Hand, sie zu berühren.

      Ich glaube nicht, daß unser Amtschirurgus der Kronprinz von Preußen war; aber er war vielleicht ein Prinz jenes weit entlegenen, aber viel größeren und schöneren Reiches, in welchem Aschenbrödel einst den Thron bestieg. Bestimmtes über seine Herkunft kann ich nicht berichten; denn er war lange vor meiner Geburt aus der Fremde eingewandert. Seit seine Denkweise von der der anderen guten Bürger in so Anstoß erregender Weise abzuweichen begonnen hatte, und, wie es hieß, sogar die Kehle eines hohen Beamten unter seinem Schermesser in Gefahr geraten war, hauste er, ich weiß nicht infolge welches Abkommens, auf den wüsten Böden des Rathauses, die er weder sommers noch winters verließ. – Dennoch konnte man sein Leben kein ungeselliges nennen; nur etwas seltsam mochte, wenigstens dem oberflächlichen Beobachter, die Gesellschaft erscheinen, die er bei sich sah. Da er nämlich auf menschlichen Besuch nicht eingerichtet war, so hatte er dafür desto traulichere Beziehungen mit den großen Ratten der benachbarten Brauerei angeknüpft; und er stand sich dabei um nichts schlechter.

      Die meisten Leute in der Stadt kannten von dem Amtschirurgus nur noch die Stimme, wie sie an düsteren Novembertagen in der Luft über ihren Köpfen laut wurde; mich aber hatte schon lange die Neugierde geplagt, dies geheimnisvolle Leben einmal in unmittelbarer Nähe zu betrachten; auch wußte ich von meiner dicken Freundin, der Ratskellerwirtin, daß der Amtschirurgus, wenn die Geister des Sturmes ihn nicht beunruhigten, ein gar wohlanständiger alter Herr sei. Und so schlich ich denn an einem sonnigen schulfreien Nachmittage die engen Wendelstiegen hinauf, bis ich endlich durch die Bodentür in den untersten der weiten unbenutzten Räume eintrat. Es war totenstill, von dem Wirtschaftsleben drunten im Keller drang kein Laut herauf; überall jene bekannte Bodendämmerung; nur hie und da durch die kleinen Dachfenster fiel ein Lichtstrahl mit emsig tanzenden Sonnenstäubchen. Dort hinten in der dunklen Ecke sah ich eine Stiege, die durch einen Ausschnitt in der Decke zu einem weiteren Boden führte, der, wie ich wußte, noch nicht der letzte war. Eine seltsame Beklommenheit befiel mich, und ich wollte schon ganz leise meinen Rückzug nehmen; da hörte ich hinter mir eine Tür aufklinken, und als ich mich umwandte, stand eine aufrechte breitschultrige Gestalt vor mir, und ein stattliches Burgundergesicht


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