Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band). Theodor Storm

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Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band) - Theodor Storm


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zarten Tenorstimme an mich gerichtet, und ich wollte eben wohlgemut eine Antwort geben, als zum Unglück mein Blick in die offene Tür einer Kammer fiel, und ich drinnen eine ganze Reihe halbgeöffneter spiegelblanker Schermesser an dem Balken hängen sah. Aber schon legte sich beschwichtigend eine große Hand gar sanft auf meinen Kopf: »Warte nur, mein Söhnchen; wir sollen wohl meine Haustierchen einmal zu Gaste laden!« Ich blickte auf, vermochte aber nur durch ein stummes Nicken mein Einverständnis zu erkennen zu geben; der Mann sah mir so altertümlich vornehm aus, und es war plötzlich, ich weiß nicht wie, in meinem Knabenhirne fertig, daß der Amtschirurgus, wenn auch kein Prinz, so doch wenigstens ein in Ungnade gefallener Kammerherr sein müsse. Der blaue Kleidrock mit dem aufrechtstehenden Kragen und den blanken Knöpfen, zwischen dessen Schößen der goldene Schlüssel nicht übel gepaßt hätte, mochte ein Wesentliches zu dieser Vorstellung beitragen. Freilich, en grande tenue habe ich ihn auch später nie gesehen; seine hellgrauen Pantalons waren über den Knöcheln zugebunden, und seine Füße steckten immer in großen Lederpantoffeln, wenn er, die Hände auf dem Rücken, in seinem öden Reiche promenierte.

      Damals war übrigens zu langen Betrachtungen keine Zeit gelassen; denn der Amtschirurgus begann jetzt in scharfem Tempo den Marsch des alten Dessauer zu pfeifen. Unter dieser Musik stieg er die Treppe zu dem zweiten Boden hinan, und während ich ihn so immer weiter bis unter das Dach hinauf pfeifen hörte, wurden über mir alle Böden nach und nach lebendig, überall hörte ich es rascheln und an dem Holzwerk herunterhuschen, kleine Kalkstückchen fielen mir vor die Füße, und hie und da zwischen Pfannen und Sparren fuhr ein grauer Rattenkopf hervor und lugte wie suchend mit den blutschwarzen Augen umher, während an der anderen Seite der kahle Schwanz herabhing. Meine Gegenwart schien hier keinen Zwang zu tun; denn bald begann es dicht neben mir immer emsiger auf den Fußboden herabzuplumpen, bis endlich ein ganzer Haufen von glatten grauen Pelzen durcheinanderwimmelte. Und jetzt verbreitete sich auch der eigentümliche Dunst, den die Ratte an sich hat, so daß ich unwillkürlich einen Schritt zurücktrat.

      Mittlerweile hatte der Amtschirurgus seinen Marsch vollendet und war mit einer Brotschnitte in der Hand herangetreten. Einen Augenblick wurde es ruhig, und die sämtlichen Köpfchen hoben sich empor; sobald aber der erste Brocken zwischen sie fiel, fuhr alles wieder quieksend und beißend in einen Haufen zusammen. Nur eine Ratte mit lichtgrauem Fell, es mochte eine junge sein, war nicht unter dem Wirrsal; sie hob sich auf den Hinterfüßchen, ließ die Vorderpfötchen hängen und sah erwartungsvoll zu ihrem Meister auf. Alsbald auch begann dieser eine neue musikalische Figur zu pfeifen; die Ratte huschte über den Fußboden und saß im Nu in derselben zuwartenden Stellung auf der Lehne einer zerbrochenen Holzbank; und der Amtschirurgus trat dicht an sie heran. – Sie kannten sich wohl, das fremde unheimliche Tier und der einsame alte Mann; sie blickten sich traulich in die Augen, als hätten sie in deren Tiefe den kleinen Punkt gefunden, der unterschiedslos für alle Kreatur aus dem Urquell des Lebens springt. Und jetzt nahm der Alte ein Krüstchen Brot zwischen seine Lippen, und sein Lieblingstier lief an ihm herauf, erfaßte es mit den zierlichen Pfötchen und saß gleich darauf wieder auf der zerbrochenen Bank, behaglich knuspernd und dann und wann einen Blick auf seinen großen menschlichen Freund werfend, der lächelnd danebenstand.

      Ehe ich fortging, führte der Amtschirurgus mich noch in seine Kammer, wo die blanken Schermesser mich nun nicht mehr erschreckten. – Es war nur ein Bretterverschlag, den man von dem großen Boden abgeteilt hatte; darin stand ein Stuhl, ein Tisch und ein Bett; das war alles. Ein Ofen war nicht darin; und wenn im Januar die »hahnebüchene« Kälte bei uns einzog, so mußte der Amtschirurgus auch den Tag über im Bette bleiben, und er lag dann, wie mir die Ratskellerwirtin später erzählte, so tief darin vergraben, daß nur die bläuliche Burgundernase und die kleinen Augen über der rotkarierten Bettdecke hervorsahen. – Allein es war auch dann so übel nicht in seiner Kammer; denn die Wände waren ganz mit jenen hübschen Bilderbogen bedeckt, wie wir Älteren sie in unserer Kinderzeit für einen Schilling uns beim Krämer holen konnten. Derzeit, vor der Erfindung des Steindrucks, war noch jeder Bilderbogen ein illuminierter Kupferstich und zum mindesten ein halbes Kunstwerk, und der Amtschirurgus wußte wohl, was er tat, als er mit dieser Tapete seine Bretterwand bekleiden ließ. Da sah man außer dem Affen-und dem Ritterspiel jenen berühmten Bilderbogen von der verkehrten Welt, wo die Bauern von den Ochsen auf die Weide getrieben werden, und der Schulmeister von den Schuljungen die Rute bekommt; da war ferner ein Bogen mit kleinen Landschaften in runden Schildern, hier eine Heuernte, über der so lustig die gelbe Sommersonne schien, dort ein Vogelherd mit dem alten Vogelsteller im tiefen grünen Walde; lauter trauliche Orte für den Amtschirurgus; denn ich zweifle nicht, daß er sich dieselben Bilder ausgesucht hatte, für welche einst in seiner Knabenzeit seine ersparten Dreier zum Krämer gewandert waren. Und so, während draußen auf den wüsten Böden die Bretter im Froste krachten, während das Trinkwasser vor seinem Bett gefror und durch die bereiften Dachfenster das kalte Dämmerlicht des Winters in seine Kammer fiel, führte er seine Augen an den Wänden spazieren und wandelte vergnügt in seinem Kindheitsgarten, wo er einst gewandelt, da er noch nicht der Kronprinz von Preußen und der Wetterprophet unserer grauen Stadt gewesen war.

       Aber es gab noch andere Unterhaltungen für den alten Herrn. – Unter seinem ersten Bodenraum befand sich der große Rathaussaal, in welchem nicht nur unsere heimischen Komödianten zuweilen ihr Gerüste aufschlugen, sondern wo auch wir Primaner alljährlich um Michaelis von einem hohen Katheder herab mehr oder minder selbstverfertigte Reden hielten. Von allem diesen bekam der Alte seinen stillen Anteil. Denn wenn unten – und das geschah unfehlbar jedesmal – die Begeisterung die Luft allzusehr erhitzt hatte, dann wurde in der Bretterdecke des Saales eine Luke ausgehoben, und alsbald vom Rande der Öffnung glänzte das rote Gesicht des Amtschirurgus teilnehmend zu uns herab.

      Es war immer ein großer Tag, diese »Redefeierlichkeit«. Wir konnten damals noch nicht am eignen Tische frühstücken und in Hamburg zu Mittag essen; alles blieb deshalb hübsch zu Hause, und was wir dort hatten, das würzten wir uns und machten es schmackhaft und kosteten es aus bis auf den letzten Tropfen. – An jenem Tage standen die Häuser der Honoratioren wie der kleineren Bürgersleute leer; der Rattenfänger von Hameln hätte sie nicht leerer fegen können. Frauen und Töchter in Flor und Seide saßen dicht gereiht vor dem weißen Katheder mit der grünsamtenen goldbefransten Bordüre; den Männern blieben nur die hintersten Bänke, oder sie standen an der Wand unter den großen Bildern vom Jüngsten Gericht und vom Urteil Salomonis. Wer hätte auch zu Hause bleiben können, wenn wir Primaner uns nicht zu vornehm hielten, die gedruckten Einladungen in eigener Person von Haus zu Haus zu tragen! Freilich war auch diese Pflicht, besonders für die älteren Schüler, nicht ohne allen Reiz; denn die »Stellen«, welche nach einem Maßstabe von Wein und Kuchen in »fette« und »magere« zerfielen, wurden von dem Primus Classis streng nach der Anciennität verteilt. Die Einladungen selbst enthielten nur unsere Namen und die Thematen unserer Vorträge; aber dessenungeachtet waren es keine öden Listen, wovon es heutzutage an allen Ecken wimmelt; unser alter Rektor – möge der allverehrte Greis noch lange seiner fruchtbringenden Muße genießen! – wußte durch eine feine Abtönung auch diesen Dingen einen munteren Anstrich zu geben. Denn während der erste nur »redete«, suchte der zweite schon »auszuführen«, der dritte »vertiefte sich in«, der vierte »verbreitete sich über«; und so arbeitete jeder in seinem eigenen Charakter. Was blieb endlich mir übrig, der ich schon damals in einigen Versen gesündigt hatte? Ich, selbstverständlich: »besang«. – »Matathias, der Befreier der Juden«, so hieß meine Dichtung, welche der Rektor mir ohne Korrektur und mit den lächelnd beigefügten Worten zurückgab, er sei kein Dichter. Ich will nicht leugnen, es überrieselte mich so etwas von einer exklusiven Lebensstellung, und ich mag in jenem Augenblick meinen Knabenkopf wohl um einige Linien höher getragen haben. – Freilich, unser Schultisch war derzeit nur mit geistiger Hausmannskost besetzt: wir kannten noch nicht den bunten Krautsalat, der – »Friß Vogel, oder stirb!« – den heutigen armen Jungen aufgetischt wird. Ich habe niemals Kaviar essen können, und – Gott sei Dank! – ich habe ihn auch niemals im Namen der »Gleichmäßigkeit der Bildung« essen müssen; diese schöne Lehre beglückte noch nicht unsere Jugend; der Fundamentalsatz aller Ökonomie: »Was kostet es dir, und was bringt es dir ein?« fand damals, freilich harmlos und unbewußt, auch für die Schule noch seine Anwendung. – Leider muß ich bekennen, daß auch die deutsche Poesie als Luxusartikel betrachtet und lediglich dem Privatgeschmack anheimgegeben war; und


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