Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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ein langgezogener Ruf durch die Nacht. Es klang ähnlich wie: Fedolar! Fedolar! Sonst war kein Laut zu hören.

       Inhaltsverzeichnis

      Tarnow hatte dem Jäger Klein Auftrag wegen der Abholzung im Zeller Revier gegeben und stand dann, wie unfähig, weiter zu gehen, am Brunnen, lehnte sich an den Trog und starrte vor sich hin. Da trat die Schaffnerin aus dem Hause und ging auf ihn zu. Sie tippte mit den Fingern kokett auf seinen Arm und fragte: »So finster, Tarnow? Was haben Sie? Was ist Ihnen?«

      »Sie wissen es wohl, Schaffnerin,« entgegnete Tarnow traurig. »Was haben Sie mir da alles erzählt!«

      »Was? Was denn? Reden Sie doch!«

      »Nun, gestern abend –«

      »Was? Ja, was denn, gestern abend –?«

      »Ich hab es ja gesehen, Schaffnerin. Der Amtmann –«

      Die Schaffnerin wurde purpurrot. Ihre Nasenflügel zitterten. »Reden Sie nicht weiter,« flüsterte sie erregt. Sie sah ihn starr an, mit einem Blick, der ihm etwas Unerbittliches zu enthalten schien. »Sehen Sie, Tarnow, wenn ich nicht so wäre, wie ich bin, wär ich längst über alle Berge oder wär ich tot. Das müssen Sie mir glauben. Ich weiß, er war bei mir gestern, Tarnow, aber Sie hätten mich sehen sollen, Tarnow. Wie ein Kind hab ich geheult und hab ihm gesagt, was das ist für meine Ehre, wenn er so kommt. Aber dann hat er gelacht und hat gesagt, er kann im Haus herumgehen, wo er will. Sonst war nichts, bei meiner Ehr und Seligkeit, hier haben Sie die Hand drauf.«

      Tarnow, gänzlich erschüttert von ihrem Bekenntnis und ihrer bebenden Art zu sprechen, legte unbedenklich seine Hand in die ihre. »Ich glaube Ihnen, Schaffnerin,« sagte er einfach.

      Indem sie so bei einander standen, hielt ein eleganter Kutschierwagen vor dem Hofthor. Die am Bau der Waschküche beschäftigten Maurer hielten in ihrer Arbeit inne und sahen neugierig hinüber. Der Adjutant des Generalleutnants kam zur Besichtigung des kleinen Neubaus. Tarnow führte ihn ehrerbietig herein und erstattete Bericht, bis der Amtmann selbst kam. Als Truchs erschien, stand er mit der Schaffnerin in respektvoller Entfernung, doch vernahm er deutlich, wie der Adjutant dem Amtmann erzählte, die Verwalterstelle auf Gut Strelentin, das ebenfalls dem Herrn von Bruneck gehörte, sei frei geworden. Ein Gedanke, dessen Kühnheit ihn schwindeln machte, durchzuckte Tarnow. Aber es war, als ob er seinen Bedenken und seiner Zaghaftigkeit diesmal die Zeit rauben wollte; rasch trat er einige Schritte vor und sagte: »Verzeihung, Herr Adjutant; ich möchte wohl gerne Administrator auf Strelentin werden. Ich würde gewiß mich sehr befleißigen, Exzellenz zufrieden zu stellen. Ich bitte den Herrn Adjutanten sehr, sich dafür zu verwenden.«

      Der Adjutant runzelte die Brauen und musterte den Bittsteller vom Kopf bis zu den Füßen. Der Amtmann verzog keine Miene. Tarnow verwunderte sich im stillen, daß er die Worte so verständlich hatte fügen können, und achtete dabei kaum auf die Antwort, an die er sich erst erinnerte, als der Adjutant sich wieder zu seinem Wagen gewandt hatte. »Wir werden ja sehen,« hatte er gesagt und hatte Truchs fragend angeblickt, der in unbestimmter Weise die Achseln gezuckt hatte.

      Der Amtmann, die Schaffnerin und Tarnow standen dann auf der Straße und sahen dem zierlichen Gefährt nach. »Na, Tarnow,« wandte sich da die Schaffnerin scherzend an ihn, »Sie wollen wohl heiraten, weil Sie so große Pläne haben?«

      »O, das kann wohl sein,« antwortete Tarnow ebenso scherzend.

      »Und haben Sie denn schon eine Braut?« fragte die Schaffnerin lächelnd weiter.

      »Sie sind ja noch zu haben, Schaffnerin,« erwiderte Tarnow lebhaft, dem über dieser neuen Kühnheit das Herz stürmisch zu klopfen begann.

      Bei alledem blieb der Amtmann still und teilnahmlos.

      Zu seiner großen Verwunderung erhielt Tarnow eine Stunde später ein Billet vom Amtmann. Er wußte noch nicht, daß es eine Liebhaberei von Truchs war, solche kleine Nachrichten nicht mündlich abzumachen, sondern zu schreiben. »Es ist nunmehr ausgemacht,« schrieb der Amtmann in einem wohlgefällig verschnörkelten Stil, »daß Sie ein Liebesverständnis mit der Leuthold haben. Daher verlange ich und habe das Recht zu verlangen eine bestimmte Erklärung, ob Sie die Leuthold heiraten wollen oder nicht. Im ersten Fall will ich, Truchs, mich für Sie und die Leuthold bei der Exzellenz verwenden. Im entgegengesetzten Fall müssen Sie entweder oder es muß die Schaffnerin das Gut verlassen. Truchs.«

      Tarnow wußte nicht, wie ihm geschah. Er lachte kindisch, glaubte zu träumen und besann sich, wo er sei. Endlich nahm er einen großen, weißen Bogen Papier und schrieb darauf mit der schönsten Schrift, deren seine Hand fähig war: »Geehrtester Herr Amtmann! Meine Gefühle zu der Leuthold sollen dem Herrn Amtmann kein Geheimnis sein. Ich wünsche sehr, die Schaffnerin zu heiraten und zwar noch in Bruneck. Und ist es mein heißester Wunsch, mit ihr nach Strelentin zu kommen.«

      Dieses Schriftstück legte er auf den Platz, wo der Amtmann seine Arbeiten vorzunehmen pflegte, und wo er es sogleich sehen mußte, wenn er kam. Und Truchs kam, las es, und obwohl er jetzt in demselben Raum mit Tarnow war, schrieb er auf das Blatt Tarnows die Worte: »Gut, ich werde dem Generalleutnant Anzeige machen und ihm alles von der besten Seite vorstellen,« und reichte Tarnow stumm das Blatt zurück.

      Darauf ging Tarnow hinaus, weil die Libuhn zum Mittagessen rief. Er fand die Schaffnerin allein beim Tisch. Und jetzt, wie er sie sah in einer blendend weißen Schürze, dem schöngeformten Hals, dem etwas geöffneten und feuchten Mund, jetzt glaubte er, sein unverdientes Glück fürchten zu müssen. Trotzdem ging er hin und ergriff Fanny Leutholds Hand. »Schaffnerin,« sagte er bewegt und seine treuen Augen glänzten trunken, »ich habe beim Amtmann um Ihre Hand angehalten.«

      »Nun, und?« erwiderte sie, ohne überrascht zu sein.

      »Er ist doch ein generöser Mann. Er will sich für uns beide verwenden, daß wir Strelentin bekommen.«

      »So?« machte die Schaffnerin.

      Jetzt erst bemerkte Tarnow, daß sie ungewöhnlich bleich war, und er fragte, was ihr fehle.

      »Nennen Sie mich nicht Schaffnerin,« sagte sie mit müder Betonung. »Sagen Sie Fanny zu mir.«

      Tarnow nickte und schwieg.

      Der Amtmann trat ein und sein Gesicht zuckte kaum merklich zusammen, als er die beiden am Tisch sah. Doch als er sich setzte und begonnen hatte, die Suppe zu essen, wurde er plötzlich sehr aufgeräumt. »Also, ihr Brautleutchen«, sagte er lachend, »jetzt küßt euch einmal anständig.«

      Tarnow gab es einen Ruck vom Kopf bis zu den Knien. Der Löffel entfiel seiner Hand.

      »Na wird’s?« ermunterte der Amtmann freundlich und klopfte ungeduldig an sein Trinkglas.

      Die Schaffnerin beugte sich hinüber zu Tarnow. Er sah ihr Gesicht unter sich mit halbgeschlossenen Augen und ihren Mund immer noch ein wenig geöffnet. Er seufzte auf, schloß seine Augen, ließ das Kinn gegen die Brust sinken und in demselben Augenblick fühlte er ihre Lippen auf den seinen, und er schauderte, als ob er nackten Leibes im Eis stünde.

      Der Amtmann bog sich vor Lachen. Dann sagte er, ein Stück Brot abbeißend und emsig kauend. »Kinderchen, wenn ihr’s redlich meint unter euch, werde ich schon sorgen, daß euch die Exzellenz Brot giebt und daß ihr euch noch in Bruneck nehmen könnt. Ja, der Tarnow,« fuhr er dann fort, das eine Auge zuzwickend, »der hat’s dick hinter den Ohren, wa? Ein Schuftkerl, hä!« Er stand auf, nahm das Kinn Tarnows zwischen Daumen und Zeigefinger, schob es zurück, und mit dem fröhlichsten Gesicht der Welt gab er ihm nun einen Schlag auf die Wangen. Jetzt lachte auch Tarnow, aber etwas sonderbar.

      Jedoch blieb die Stimmung bis zum Ende der Mahlzeit eine scherzhafte. Nach dem Fleisch stand Tarnow auf und sagte, er wolle etwas holen. Mit freudigem Gesicht kam er zurück und brachte Krachmandeln, die er auf der Messe gekauft. Truchs machte sich emsig darüber her. »Wie ist’s, Leutholdin, wollen wir Vielliebchen essen?« fragte er.


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