Gesammelte Werke. George Sand

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Gesammelte Werke - George Sand


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dass du die Con­fes­si­ons nicht ge­ra­de bei der Hand hast, und in mei­ner Ge­schich­te fort­fah­ren.

      Nicht alle die­se jun­gen Mäd­chen wa­ren gleich arm, und es ist kein Zwei­fel, dass der äu­ßerst ge­wis­sen­haf­ten Ver­wal­tung un­ge­ach­tet man­che mit ein­schlüpf­ten, für wel­che es weit mehr eine Spe­ku­la­ti­on als ein Be­dürf­nis war, auf Kos­ten der Re­pu­blik ih­ren Un­ter­richt in der Kunst und eine Aus­stat­tung zu er­hal­ten. Da­her er­laub­ten es sich man­che die hei­li­gen Ge­set­ze der Gleich­heit zu ver­ges­sen, un­ter de­ren An­ru­fung es ih­nen ge­lun­gen war, sich auf die­sel­ben Bän­ke mit ih­ren wirk­lich ar­men Schwes­tern zu steh­len. Man­che ent­zo­gen sich dann wohl wie­der der erns­ten Be­stim­mung, wel­che die Re­pu­blik ih­nen zu­ge­dacht hat­te, und ver­zich­te­ten, nach­dem sie den Vor­teil des un­ent­geld­li­chen Un­ter­richts ge­nos­sen hat­ten, auf die Mit­gift, um an­der­wei­tig sich ein glän­zen­de­res Loos zu be­rei­ten. Die Ver­wal­tung hat­te es nicht ver­mei­den kön­nen, zu den Lehr­stun­den bis­wei­len auch die Kin­der ar­mer Künst­ler zu­zu­las­sen, de­nen ihr un­stä­tes Le­ben kei­nen län­ge­ren Auf­ent­halt in Ve­ne­dig ge­stat­te­te. Zu die­ser Klas­se ge­hör­te die klei­ne Con­sue­lo. Sie war in Spa­ni­en ge­bo­ren und von dort nach Ita­li­en ge­kom­men, ich weiß nicht ob über St. Pe­ters­burg oder Con­stan­ti­no­pel, Me­xi­ko, Archan­gel oder auf ei­nem Wege, noch di­rek­ter, nach Zi­geu­ner­art, als die ge­nann­ten.

      Zi­geu­ne­rin war sie nur durch Le­bens­wei­se und nach dem Re­de­ge­brauch, von Ab­kunft war sie we­der ir­gend­wie Gi­ta­na, noch Hin­du, noch Is­rae­li­tin; sie war von rei­nem spa­ni­schem Blu­te, von mau­ri­schem Ur­sprung ohne Zwei­fel, denn sie war so ziem­lich braun und ihr gan­zes We­sen war von ei­ner Ruhe, wie sol­che nicht den um­her­schwei­fen­den Stäm­men ei­gen ist. Ich will hier­mit von die­sen Stäm­men nichts Übles ge­sagt ha­ben. Hät­te ich mir Con­sue­lo’s Ge­stalt er­dacht, so weiß ich nicht, ob ich sie nicht von Is­rael hät­te aus­ge­hen las­sen: so aber war sie von der Rip­pe Is­ma­els ent­stammt, ihr gan­zes We­sen ver­riet das. Ich habe sie nicht ge­se­hen, denn hun­dert Jah­re bin ich noch nicht alt, aber man hat es mir ver­si­chert, und ich wüss­te nicht, was sich da­wi­der sa­gen lie­ße. Je­ner Wech­sel von fie­bri­schem Un­ge­stüm und stump­fer Ab­span­nung, wel­cher die Zin­ga­rel­le be­zeich­net, war ihr fremd. Sie hat­te nichts von der ge­schmei­di­gen Neu­gier und der un­er­müd­li­chen Zu­dring­lich­keit ei­ner bet­teln­den Eb­brea. Sie war so still wie das Was­ser der La­gu­nen und zu­gleich so ämsig wie die leich­ten Gon­deln, wel­che die Flä­che des­sel­ben un­abläs­sig durch­fur­chen.

      Da sie schnell wuchs und da sich ihre Mut­ter in großer Dürf­tig­keit be­fand, so trug sie Klei­der, wel­che ihr im­mer um ein Jahr zu kurz wa­ren: ih­ren lan­gen vier­zehn­jäh­ri­gen Bei­nen gab dies eine sol­che Art von wil­der Gra­zie und Dreis­tig­keit des Schrei­tens, dass es zu­gleich lus­tig und trau­rig an­zu­se­hen war. Ihr Fuß ließ nicht er­ken­nen, ob er klein sei, so plump war er be­klei­det. Ihr Wuchs da­ge­gen, um­spannt von dem zu eng ge­wor­de­nen und an al­len Näh­ten durch­bro­che­nen Leib­chen, zeig­te sich schlank und bieg­sam wie eine Pal­me, aber form­los, nicht ge­run­det, nicht ver­füh­re­risch. Das arme Mäd­chen dach­te dar­an nicht. Sie war es ge­wohnt, sich »Affe«, »Citro­ne«, »Mu­lat­tin« von den blon­den, wei­ßen und völ­li­gen Töch­tern der Adria schel­ten zu hö­ren. Ihr run­des, blei­ches, un­be­deu­ten­des Ge­sicht wür­de nie­man­den auf­ge­fal­len sein, wenn nicht ihr kur­z­es, dich­tes, hin­ter den Ohren zu­rück­ge­wor­fe­nes Haar und ihr ernst­haf­ter, auf kei­nem Ge­gen­stan­de ver­wei­len­der Blick die­sem Ge­sich­te eine ei­ge­ne, nicht ge­ra­de an­ge­neh­me Son­der­bar­keit ge­ge­ben hät­ten.

      Ein Äu­ße­res, das nie miss­fällt, ver­liert mehr und mehr die Fä­hig­keit, zu ge­fal­len. Wer ein sol­ches hat, wird durch die Gleich­gül­tig­keit an­de­rer gleich­gül­tig ge­gen sich selbst ge­macht und nimmt eine Ver­nach­läs­si­gung der Hal­tung an, wel­che im­mer mehr die Auf­merk­sam­keit von ihm ab­wen­det. Die Schön­heit nimmt sich in Acht, rich­tet sich ein, hält auf sich, be­trach­tet sich und stellt sich gleich­sam stets sich selbst in ei­nem ein­ge­bil­de­ten Spie­gel vor Au­gen. Die Häss­lich­keit ver­gisst sich und lässt sich ge­hen. Doch gibt es zwei ver­schie­de­ne Ar­ten: die eine fühlt sich von Al­len ver­wor­fen und sträubt sich da­wi­der in ste­ter Re­gung von Wut und Neid – das ist die wah­re, die un­be­ding­te Häss­lich­keit; die an­de­re ist un­be­fan­gen, sorg­los, hat sich be­schie­den, scheu­et nicht das Ur­teil und sucht es nicht, ge­winnt aber die Her­zen, in­dem sie den Au­gen wehe tut – so war Con­sue­lo’s Häss­lich­keit. Wohl­tä­ter, die sich ih­rer an­nah­men, mein­ten wohl zu­erst: wie Scha­de, dass sie nicht hübsch ist! be­san­nen sich dann und nah­men den Kopf des Kin­des so ver­trau­lich, wie man der Schön­heit nicht be­geg­net, in die Höhe.

      »Man sieht dir’s am Ge­sicht an, Klei­ne!« sag­ten sie nun, »du bist ein gu­tes Ge­schöpf.«

      Dar­über freu­te sich Con­sue­lo, ob­gleich sie recht gut wuss­te, dass dies hieß: »und bist eben wei­ter nichts.«

      In­des­sen blieb der schö­ne, jun­ge Herr, wel­cher ihr Weih­was­ser ge­reicht hat­te, bei dem Weih­kes­sel ste­hen und ließ die jun­gen »Sco­la­ri« eine nach der an­de­ren an sich vor­über­ge­hen. Er be­trach­te­te eine jede mit Auf­merk­sam­keit, und als die schöns­te von ih­nen, die Clo­rin­da, her­bei­kam, teil­te er ihr das ge­weih­te Was­ser mit den Fin­gern mit, um des Ver­gnü­gens wil­len, die ih­ri­gen zu be­rüh­ren. Das jun­ge Mäd­chen wur­de rot vor Stolz und warf im Wei­ter­ge­hen ihm je­nen halb scheu­en halb dreis­ten Blick zu, wel­cher der Aus­druck we­der des Selbst­ver­trau­ens noch der Scham ist.

      Nach­dem sie alle in das In­ne­re des Klos­ters ein­ge­tre­ten wa­ren, wen­de­te sich der ga­lan­te Pa­tri­zi­er wie­der dem Schif­fe zu und re­de­te den Pro­fes­sor an, der in­zwi­schen lang­sa­mer von der Em­po­re her­ab­ge­stie­gen war.

      – Beim Leib des Bac­chus, rief er, lie­ber Meis­ter! ihr müsst mir sa­gen, wel­che von eu­ren Ele­ven das Sal­ve Re­gi­na ge­sun­gen hat.

      – Und wes­we­gen be­gehrt ihr das zu wis­sen, Graf Zus­ti­nia­ni? ent­geg­ne­te der Pro­fes­sor, wäh­rend sie mit­ein­an­der aus der Kir­che tra­ten.

      – Um euch mein Kom­pli­ment zu ma­chen, ant­wor­te­te der Pa­tri­zi­er. Seit lan­ger Zeit ver­fol­ge ich eure Ve­s­per­mu­si­ken, und bis in die Pro­ben so­gar, denn es ist euch be­kannt, wie sehr ich di­let­tan­te der hei­li­gen Mu­sik bin – aber heut zum ers­ten male habe ich ein Stück vom Per­go­le­se mit sol­cher Voll­kom­men­heit sin­gen hö­ren; und die Stim­me an­lan­gend, so ist es wahr­haf­tig die schöns­te, die ich Zeit mei­nes Le­bens ge­hört habe.

      – Glaub’s wohl, beim Christ! ver­setz­te der Pro­fes­sor und nahm mit Be­ha­gen und mit Wür­de eine große Pri­se Ta­bak.

      – Sagt mir also den Na­men die­ses himm­li­schen We­sens, das mich so hoch ent­zückt hat. Wie barsch ihr auch seid, und wie­wohl ihr ewig klagt, so muss man doch ge­ste­hen, dass ihr aus eu­rer Schu­le eine der bes­ten in ganz Ita­li­en ge­macht habt; vor­treff­lich sind eue­re Chö­re und eue­re Soli wirk­lich sehr schätz­bar; je­doch sind die Mu­sik­stücke, wel­che ihr auf­füh­ren las­set, von so großem und stren­gem Stil, dass es den jun­gen Mäd­chen nur sel­ten ge­lingt alle Schön­hei­ten der­sel­ben zur Emp­fin­dung


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