Gesammelte Werke. George Sand

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Gesammelte Werke - George Sand


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      – Du bist eine När­rin, lie­be Co­ril­la, sag­te er; die Con­sue­lo ist nicht so ge­fähr­lich für dich, wie du es dir heut in dei­ner kran­ken Ima­gi­na­ti­on vor­ge­stellt hast. Was mich be­trifft, so habe ich dir ge­sagt, ihr Lieb­ha­ber bin ich nicht, ihr Mann wer­de ich ganz ge­wiss nicht, und ich will nicht wie ein arm­se­li­ges Vö­gel­chen un­ter dem Schirm ih­rer brei­ten Schwin­gen le­ben. Lass ihr ih­ren Flug! Es gibt zwi­schen Erd und Him­mel Luft und Raum ge­nug für alle, die ein mäch­ti­ger Trieb em­por­reißt. Sieh da, schau die­sen Sper­ling an: schwebt er nicht so gut über dem Kana­le wie die schwer­fäl­ligs­te Möve über dem Mee­res­s­pie­gel? Aus, fort die­se Grü­belei­en! der Tag ver­treibt mich aus dei­nen Ar­men. Auf mor­gen! Wenn du willst, dass ich wie­der­kom­me, so keh­re zu der Sanft­mut und Ge­duld zu­rück, die mich ent­zück­ten, und die dei­ner Schön­heit bes­ser ste­hen als die krei­schen­den und wil­den Aus­brü­che der Ei­fer­sucht.

      An­zo­le­to kam aber doch in fins­te­re Ge­dan­ken ver­senkt nach Hau­se; erst als er lag und eben ein­schla­fen woll­te, kam ihm die Fra­ge in den Sinn, wer wohl Con­sue­lo aus dem Pal­last Zus­ti­nia­ni ge­führt und heim­ge­lei­tet ha­ben moch­te. Dies Amt hat­te er bis­her noch nie­mals ei­nem an­de­ren über­las­sen.

      – Al­les in al­lem, sag­te er und ver­setz­te sei­nem Kopf­kis­sen tüch­ti­ge Faust­schlä­ge um es sich un­ter dem Kopf in Ord­nung zu brin­gen, wenn das Schick­sal will, dass der Graf mit ihr zu sei­nem Zwe­cke kom­me, ist’s für mich auch ei­ner­lei, ob frü­her oder spä­ter.

       En­de des ers­ten Teils.

      1 Gro­ße, wohl­fei­le Mu­scheln, wel­che das Volk in Ve­ne­dig gern isst. <<<

      2 Zu­sam­men­zie­hung aus An­zo­le­to, wel­ches die Ver­klei­ne­rung von An­gel­lo, oder im Volks­dia­lekt An­zo­lo ist. <<<

      3 Er gab der Kur­prin­zes­sin von Sach­sen, nach­he­ri­gen Gran­de Dau­phi­ne von Frank­reich, Mut­ter Lud­wigs XVI. und Carls X., Un­ter­richt im Ge­san­ge und in der Kom­po­si­ti­on. <<<

      4 Es geht hier mit den Na­men ein we­nig durch­ein­an­der. Wenn Mar­ti­ni und Du­ran­te von den »Al­ten« sein sol­len, so ist das ein Anachro­nis­mus; sie sind Zeit­ge­nos­sen Por­po­ra’s, Mar­ti­ni so­gar um ei­ni­ges jün­ger. <<<

      5 »Die Him­mel er­zäh­len die Ehre Got­tes, und die Fes­te ver­kün­di­get sei­ner Hän­de Werk.« Die obi­gen An­fangs­wor­tes des ita­lie­ni­schen Hym­nus ent­hal­ten die­sen ers­ten Vers des 19. Psalms in ver­si­fi­zier­ter Um­schrei­bung. <<<

      6 Jour­nal­ar­ti­kel, der auf die An­non­cen im hin­te­ren Tei­le des Blat­tes ver­weist. <<<

      Zweiter Teil.

      1.

      Als An­zo­le­to er­wach­te, fühl­te er auch sei­ne Ei­fer­sucht ge­gen den Gra­fen wie­der er­wa­chen. Tau­send strei­ten­de Ge­füh­le nah­men ab­wech­selnd Be­sitz von sei­ner See­le. Zu­erst jene an­de­re Ei­fer­sucht, wel­che Co­ril­la ge­gen Con­sue­lo’s Ge­nie und Glück in ihm auf­ge­rüt­telt hat­te. Es dräng­te sich die­se Ei­fer­sucht in sei­nen Ge­dan­ken im­mer wei­ter vor, je mehr er den Tri­umph sei­ner Braut mit dem ver­glich, was in sei­nem ge­kränk­ten Ehr­geiz er nur sei­ne ei­ge­ne Nie­der­la­ge nann­te. So­dann die Furcht, einst noch in Wirk­lich­keit, wie er es jetzt in der all­ge­mei­nen Mei­nung be­reits war, bei die­ser hin­fort be­rühm­ten und all­mäch­ti­gen Frau, de­ren Lie­be und Al­lein­be­sitz ihm Ta­ges zu­vor noch so ge­schmei­chelt hat­te, von ei­nem an­de­ren aus­ge­sto­chen zu wer­den.

      Die eine Ei­fer­sucht lag mit der an­de­ren in Streit, und er wuss­te nicht, wel­che von bei­den, wenn er sich ihr ganz über­lie­ße, stark ge­nug sein wür­de, um die an­de­re zu er­sti­cken. Soll­te er, um Con­sue­lo von dem Gra­fen zu ent­fer­nen, mit ihr Ve­ne­dig ver­las­sen und an­ders­wo das Glück auf­su­chen? Soll­te er sie sei­nem Ne­ben­buh­ler preis­ge­ben und selbst hin­weg­zie­hen, um ir­gend­wo al­lein und von ihr un­ver­klei­nert nach grö­ßerm Er­folg zu rin­gen?

      In sei­ner Un­schlüs­sig­keit, wel­che von Au­gen­blick zu Au­gen­blick pei­ni­gen­der wur­de, stürz­te er sich, statt bei sei­nen wah­ren Freun­den Ruhe zu su­chen, von Neu­em in das Un­wet­ter, in­dem er wie­der zur Co­ril­la ging. Die­se goss Öl ins Feu­er; noch ein­dring­li­cher als am vo­ri­gen Tage, hielt sie ihm die gan­ze Un­gunst sei­ner Lage vor.

      – Kei­ner, sag­te sie, ist Pro­phet in sei­nem Va­ter­lan­de. Von vorn­her­ein ist nicht die­je­ni­ge Stadt dein Ele­ment, wo du ge­bo­ren bist, wo man dich in Lum­pen auf dem öf­fent­li­chen Plat­ze um­her­lau­fen sah, wo je­der­mann (und die­se Ad­li­gen prah­len, weiß Gott nur gar zu gern, mit ih­ren, im­mer­hin ein­ge­bil­de­ten Wohl­ta­ten an den Künst­lern), wo je­der­mann sich sa­gen kann: Ich bin es, der ihn pro­te­giert hat; ich habe zu­erst sein Ta­lent ent­deckt; ich habe ihn Dem und Dem emp­foh­len; ich habe ihn Dem und Dem vor­ge­zo­gen. Du hast hier viel zu lan­ge un­ter frei­em Him­mel ge­lebt, mein ar­mer An­zo­le­to! Dein schö­ner Kopf war lan­ge zu­vor al­len Vor­über­ge­hen­den auf­ge­fal­len, ehe man ahn­te, dass du eine Zu­kunft ha­ben wür­dest. Wie willst du Leu­ten Sand in die Au­gen streu­en, wel­che dich auf ih­rer Gon­del ru­dern sa­hen, um mit et­li­chen Stro­phen aus dem Tas­so, die du absangst, ein Paar Hel­ler oder mit Bo­ten­lau­fen dein Abend­brot zu ver­die­nen! Con­sue­lo, wel­che häss­lich war und lan­ge zu­rück­ge­zo­gen leb­te, ist hier ein frem­des Wun­der. Auch ist sie ja Spa­nie­rin, ihr Dia­lekt ist nicht ve­ne­tia­nisch. Wäre sie so­gar wi­der­wär­tig, so wird man doch noch ihre schö­ne, et­was selt­sam klin­gen­de Spra­che an­zie­hend fin­den. Von dei­nem klei­nen Er­folg im ers­ten Akte musst du drei Vier­tel auf Rech­nung dei­ner Schön­heit schrei­ben; und dar­an war man im letz­ten Akte schon ge­wöhnt.

      – Set­zen Sie doch ge­fäl­ligst hin­zu, dass die ar­ti­ge Schram­me, die Sie mir über dem Auge bei­brach­ten – ich soll­te sie Ih­nen nie ver­ges­sen – nicht we­nig dazu bei­trug, mich im letz­ten Akte um die­sen nichts­nut­zi­gen Vor­teil zu brin­gen.

      – Nichts­nut­zig? Ja, in den Au­gen der Män­ner, wie­wohl ein wah­rer Vor­teil in de­nen der Wei­ber. In den Sa­lons wirst du mit den letz­te­ren herr­schen, aber ohne die ers­te­ren wirst du auf dem Thea­ter frei­lich un­ter­lie­gen. Und wie willst du die Män­ner er­obern, wenn es ein Weib ist, das sie dir strei­tig macht? Ein Weib, das sie nicht nur un­ter­jocht, wenn wirk­lich Di­let­tan­ti, das viel­mehr alle, auch die, wel­che nichts von Mu­sik ver­ste­hen, durch sei­nen Lieb­reiz, durch den Zau­ber des Ge­schlech­tes be­rauscht! Ha, um mit mir zu rin­gen, wie viel Ta­lent, wie viel Kunst­bil­dung hat­te Ste­fa­ni­ni, hat­te Sa­ve­rio, hat­ten alle nö­tig, die ne­ben mir die Büh­ne be­tra­ten.

      – Nach die­ser Voraus­set­zung, teu­re Co­ril­la, wür­de ich eben so viel Ge­fahr lau­fen, wenn ich ne­ben dir auf­trä­te, als jetzt ne­ben der Con­sue­lo.


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