Gesammelte Werke. George Sand
Читать онлайн книгу.Lebens zu vertreiben, hatte sie sich schon hundert Male in Gedanken das Bild ihrer zukünftigen Freundin entworfen. Da sie das verdrießliche Wesen Porporas kannte, hatte sie gefürchtet, dass er ihr eine sauerblickende pedantische Gouvernante schicken möchte. Sie hatte auch heimlicherweise an den Professor noch besonders geschrieben, und ihm gedroht, dass sie jede Gouvernante über fünf und zwanzig Jahre alt sehr übel aufnehmen würde, als ob es nicht hinlänglich gewesen wäre, ihren Wunsch den alten Verwandten auszudrücken, deren Abgott sie war, und die sie ganz beherrschte.
Während sie Porporas Antwort las, kam sie so in Entzücken, dass sie sich in ihrem Kopfe geschwind ein neues Bild zusammensetzte, Musikerin, des Professors Adoptivtochter, jung, vor allem Venetianerin, das hieß, nach Amaliens Vorstellung, ein Wesen ganz für sie geschaffen, nach ihrem Genre und recht nach ihrem Herzen.
Sie war daher ein wenig bestürzt, als sie statt der schelmischen, rotbäckigen Kleinen, die sie sich vorgestellt hatte, eine bleiche, schwermütig aussehende und sehr verlegene junge Person erblickte. Denn der Seele Consuelo’s hatte sich außer dem tiefen Gram, unter dem ihr armes Herz erlag und der Ermüdung einer langen und schnellen Reise, eine peinliche, fast tödliche Angst bemächtigt, unter diesen Waldungen voll sturmgepeitschter Fichten, im Schoße dieser schwarzen, blitzdurchflammten Nacht, und zumal beim Anblick dieses düstern Schlosses, das beim Geheul der Meute des Barons und bei dem Lichte der Fackeln, welche die Dienerschaft trug, einen unheimlichen Eindruck machte. Welch ein Gegensatz zu dem firmamente lucido Marcellos, zu dem harmonischen Schweigen venetianischer Nächte, zu der sorglosen, traulichen Freiheit ihres früheren Lebens im Schoße der Liebe und lachender Poesie. Als der Wagen langsam über die Zugbrücke gerollt war, die dumpf unter den Hufschlägen der Pferde dröhnte, und das Fallgatter mit erschreckendem Kreischen hinter ihr niederfuhr, glaubte sie in Dante’s Höllentor einzutreten und empfahl ihre Seele Gott.
Ihr Gesicht sah daher verstört aus, als sie vor ihren Wirten erschien, und als ihr das des Grafen Christian plötzlich in die Augen fiel, dieses lange, bleiche Gesicht von Alter und Gram verschrumpft, und dazu diese hagere, steife Gestalt in ihrer altertümlichen Kleidung, glaubte sie das Gespenst eines Burgherrn aus dem Mittelalter vor sich zu sehen und alles, was sie umgab, für eine Erscheinung haltend, wich sie mit einem erstickten Schrei des Entsetzens zurück.
Der alte Graf, der ihr Schwanken und ihre Blässe nur der Erstarrung vom Fahren und der Ermüdung von der Reise zuschrieb, bot ihr seinen Arm, um die Rampe hinaufzusteigen und gab sich Mühe, ein paar teilnehmende und höfliche Worte herauszubringen, die er ihr sagen könnte. Aber der würdige Mann, der ohnehin von Natur ein schroffes, nicht entgegenkommendes Äußere hatte, war in seiner langjährigen Zurückgezogenheit der Welt so fremd geworden, dass sich seine Ängstlichkeit verdoppelt hatte und seine auf den ersten Anblick ernste und strenge Erscheinung die Unsicherheit und Verlegenheit eines Kindes verbarg. Die Verpflichtung, welche er sich auflegte, italienisch zu sprechen (er hatte es früher ziemlich gut gesprochen, war aber außer Übung), vergrößerte sein Ungeschick; er vermochte nur ein paar Worte hervorzustammeln, die Consuelo kaum hören konnte und die sie für die unbekannte, geheimnisvolle Sprache der Schatten hielt.
Amalie, die mit der Absicht gekommen war, ihr um den Hals zu fallen, um es ihr gleich traulich zu machen, fand nichts ihr zu sagen, wie es oft durch Ansteckung den unternehmendsten Naturen widerfährt, wenn des anderen Schüchternheit vor ihrem Entgegenkommen zurückzuweichen scheint.
Consuelo wurde in den großen Saal geführt, in welchem man gespeist hatte. Schwankend zwischen dem Wunsche ihr Ehre zu erweisen, und der Furcht, ihr seinen Sohn in einem Totenschlaf zu zeigen, blieb der Graf unschlüssig stehen, und Consuelo, über und über zitternd und fühlend, dass ihre Knie wankten, ließ sich auf den ersten Stuhl sinken, den sie erreichte.
– Lieber Onkel, sagte Amalie, welche die Verlegenheit des alten Grafen verstand, ich glaube, dass wir besser täten, die Signora hier aufzunehmen. Es ist wärmer hier als in dem großen Saal und sie muss von diesem eisigen Sturmwind unserer Berge ganz erstarrt sein. Ich sehe leider, dass sie vor Ermattung umsinkt und ich glaube gewiss, dass ihr eine Stärkung und ein tüchtiger Schlaf mehr not tun als alle Höflichkeitsbezeigungen. Nicht wahr, meine liebe Signora? fügte sie hinzu, indem sie sich bis zu dem Mute erhob, sanft mit ihrer hübschen, runden Hand Consuelo’s schlaffen Arm zu drücken. –
Der Ton dieser frischen Stimme, welche das Italienische dreistweg mit deutscher Härte aussprach, brachte Consuelo wieder zu sich. Sie schlug ihre von Furcht umflorten Augen zu dem anmutigen Gesicht der jungen Baronin auf, und der eine schnell unter ihnen gewechselte Blick brach sogleich die Bahn. Die Reisende erkannte augenblicklich, dass dies ihre Schülerin und dass dieser allerliebste Kopf nicht der eines Gespenstes wäre. Sie erwiderte den Druck ihrer Hand, und gestand, dass sie von dem Geräusch des Wagens ganz betäubt und von dem Ungewitter noch sehr erschrocken wäre. Sie überließ sich den hilfreichen Händen Amaliens, rückte dem Feuer näher, ließ sich von ihrem Mantel befreien, nahm das Anerbieten, etwas zu Abend zu essen, an, obgleich sie nicht den geringsten Hunger hatte, und durch die zunehmende Freundlichkeit ihrer jungen Wirtin immer mehr beschwichtigt, fand sie sich endlich wieder ganz imstande, zu sehen, zu hören und zu antworten.
Während die Bedienten das Essen auftrugen, entspann sich ein Gespräch, zuerst natürlich über Porpora. Consuelo hörte mit inniger Freude den alten Grafen von ihm sprechen wie von einem Freunde, wie von seines Gleichen, ja wie von einem Höheren. Dann kam man auf Consuelo’s Fahrt zu reden, auf den Weg, den sie genommen und besonders auf das Gewitter und wie sie das habe erschrecken müssen.
– Wir sind in Venedig, antwortete sie, an Gewitterstürme gewöhnt, die noch plötzlicher kommen und viel gefährlicher sind; denn in unsern Gondeln, wenn wir durch die Stadt fahren und bis dicht vor unsere Türen, sind wir in Gefahr Schiffbruch zu leiden. Das Wasser, das unser Straßenpflaster ist, schwillt an und schlägt Wellen gleich der hohen See und treibt unsere gebrechlichen Barken mit solcher Gewalt an das Gemäuer hin, dass sie zerscheitern können, ehe wir Zeit haben auszusteigen. Indessen ob ich schon dergleichen Unfälle in der Nähe mit angesehen habe und nicht sehr furchtsam bin, so hatte ich doch diesen Abend einen größeren Schreck als je in meinem Leben, als der Blitz einen großen Baum vom Gebirge herunterschlug und uns quer über den Weg stürzte; die Pferde stiegen kerzengrade auf und der Postillion schrie: Da ist der Unglücksbaum, der Hussit umgestürzt! Können Sie mir nicht