Gesammelte Werke. George Sand

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Gesammelte Werke - George Sand


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das Schloss emp­fun­den hat­te. Ama­li­ens plötz­li­ches Er­b­las­sen, das fei­er­li­che Schwei­gen die­ser al­ten Die­ner in ro­ten Ho­sen und alle mit dem­sel­ben brei­ten, vier­e­cki­gen, vio­let­ten Ge­sicht und dem to­ten, seel­lo­sen Blick, den das Ge­fühl ei­ner ewi­gen Knecht­schaft gibt, die Tie­fe die­ses mit dunklem Ei­chen­holz ge­tä­fel­ten Saa­l­es, den ein mit Wachs­ker­zen reich be­setz­ter Röhr­leuch­ter nicht hin­läng­lich er­hel­len konn­te, das Ge­schrei der Eule, die nach dem Ge­wit­ter ihre Jagd um das Schloss her wie­der an­fing, die großen Fa­mi­li­en­bil­der, die un­ge­heu­ern ge­schnitz­ten Hirsch- und Schweins­köp­fe, al­les bis in die kleins­ten Ein­zel­hei­ten weck­te von Neu­em die schwer­mü­ti­ge Stim­mung, wel­che kaum zer­streut war. Die Äu­ße­run­gen der jun­gen Baro­nin end­lich wa­ren auch nicht von sol­cher Art, dass sie Con­sue­lo sehr be­ru­hi­gen konn­ten.

      – Mei­ne lie­be Si­gno­ra, sag­te sie, in­dem sie sich an­schick­te, sie zu be­die­nen, Sie müs­sen sich dar­auf ge­fasst ma­chen, hier un­er­hör­te, un­er­klär­li­che, oft un­er­träg­li­che und manch­mal grau­si­ge Din­ge zu er­le­ben; wah­re Ro­ma­nen­aben­teu­er, die Ih­nen nie­mand glau­ben wür­de, dem Sie sie er­zäh­len woll­ten und die Sie sich wer­den auf Ehre ver­pflich­ten müs­sen, in ewi­ges Still­schwei­gen zu be­gra­ben.

      Als die Baro­nin so sprach, öff­ne­te sich lang­sam die Tür, und her­ein­trat das Stifts­fräu­lein Wences­la­wa, mit ih­rem Hö­cker, mit ih­rem ecki­gen Ge­sicht und in ih­rer stren­gen Tracht, mit dem Or­dens­strick, den sie nie­mals ab­leg­te. Sie gab sich eine so mäch­tig freund­li­che Mie­ne, wie noch nie wie­der seit dem denk­wür­di­gen Tage, an wel­chem die Kai­se­rin Ma­ria The­re­sia auf der Rück­rei­se aus Un­garn huld­voll ge­ruht hat­te, in Rie­sen­burg mit ih­rem Ge­fol­ge eine Stun­de zu ras­ten und ein Glas Ge­würzwein zu sich zu neh­men. Sie schritt auf Con­sue­lo zu, die, be­stürzt und er­staunt, sie mit ver­stör­tem Auge an­sah und vor ihr auf­zu­ste­hen ver­gaß, mach­te zwei tie­fe Kni­xe, rich­te­te an sie zu­vör­derst eine deut­sche Rede, die so wohl ge­setzt war, dass sie sie lan­ge ein­ge­übt ha­ben muss­te, und trat so­dann nä­her, um sie auf die Stirn zu küs­sen. Das arme Mäd­chen, das star­rer als eine Bild­säu­le da­saß, glaub­te den Kuss des To­des zu emp­fan­gen und lis­pel­te, nahe dar­an in Ohn­macht zu fal­len, ein un­ver­ständ­li­ches Wort des Dan­kes.

      Als das Stifts­fräu­lein aus dem Saa­le ge­gan­gen war, denn sie hat­te be­merkt, dass ihre Ge­gen­wart die Rei­sen­de mehr be­fan­gen mach­te als ihr lieb war, brach Ama­lie in ein lau­tes Ge­läch­ter aus.

      – Sie ha­ben, will ich wet­ten, ge­glaubt, sag­te sie zu ih­rer Ge­fähr­tin, den Geist der Kö­ni­gin Li­bus­sa zu se­hen? Aber be­ru­hi­gen Sie sich. Die­se gute Stifts­da­me ist mei­ne Tan­te, die lang­wei­ligs­te und die bes­te der Frau­en.

      Kaum hat­te sich Con­sue­lo von die­sem Schreck er­holt, als sie große Rei­ters­tie­fel hin­ter sich trap­pen hör­te. Ein schwe­rer, ab­ge­mes­se­ner Schritt er­schüt­ter­te den Fuß­bo­den und ein Ge­sicht so auf­ge­bla­sen, rot und vier­e­ckig, dass die stäm­mi­gen Be­dien­ten schmäch­tig und blass da­ne­ben aus­sa­hen, zog schwei­gend durch den Saal und ver­schwand durch die große Tür, wel­che die Be­dien­ten ehr­furchts­voll öff­ne­ten. Neu­er Schau­der Con­sue­lo’s, neu­es Ge­läch­ter Ama­li­ens.

      – Die­ser hier, sag­te sie, ist der Frei­herr von Ru­dol­stadt, der größ­te Jä­ger, der größ­te Schlä­fer und der bes­te der Vä­ter. Er hat eben sei­nen Na­ches­sens­schlaf im Sa­lon be­en­det. Mit dem Glo­cken­schlag Neun steht er aus sei­nem Groß­va­ter­stuhl auf, ohne des­we­gen wach zu sein: er geht durch die­sen Saal, sieht aber nichts und hört nichts, steigt im­mer im Schla­fe die Trep­pe hin­auf, legt sich nie­der ohne von sich zu wis­sen, und wacht mit dem Tage auf, so mun­ter, flink und rüs­tig wie der jüngs­te Manm um sei­ne Hun­de, Pfer­de und Fal­ken zur Jagd in Be­reit­schaft zu set­zen.

      Kaum war sie mit die­ser Er­klä­rung fer­tig, als der Ka­plan durch den Saal ging. Auch er war wohl­be­leibt, aber un­ter­setzt und blass wie ein Was­ser­süch­ti­ger. Das be­schau­li­che Le­ben sagt die­sen der­ben sla­vi­schen Na­tu­ren nicht zu, und die Cor­pu­lenz die­ses hei­li­gen Man­nes war krank­haft. Er be­gnüg­te sich die bei­den Da­men tief zu grü­ßen, sag­te ei­nem der Be­dien­ten lei­se ein paar Wor­te und ent­fern­te sich auf dem­sel­ben Wege, den der Frei­herr ge­nom­men hat­te.

      So­gleich be­gab sich der alte Hans mit noch ei­nem von je­nen Au­to­ma­ten, die Con­sue­lo nicht von­ein­an­der un­ter­schei­den konn­te, so sehr hat­ten sie alle das­sel­be stäm­mi­ge und schwer­fäl­li­ge We­sen, in den Sa­lon. Con­sue­lo, die sich nicht f mehr stark ge­nug fühl­te, um sich zu stel­len, als ob sie äße, wen­de­te sich um, und ver­folg­te die Be­dien­ten mit den Au­gen. Aber ehe die­se die Tür, wel­che hin­ter ihr lag, er­reicht hat­ten, zeig­te sich auf der Schwel­le eine neue Er­schei­nung, noch er­grei­fen­der als alle vo­ri­gen.

      Es war ein jun­ger, hoch­ge­wach­se­ner Mann, von ed­ler Ge­sichts­bil­dung, aber er­schre­cken­der Bläs­se, schwarz ge­klei­det vom Kopf bis zu den Fü­ßen und einen rei­chen Samt­pelz mit Mar­der­be­satz um­ge­schla­gen, den eine gol­de­ne Span­ge auf der Schul­ter fest­hielt. Sein lan­ges ra­ben­schwar­zes Haar fiel in Un­ord­nung auf sei­ne blei­chen Wan­gen nie­der, die ein sei­den­wei­cher, sich na­tür­lich kräu­seln­der Bart zum Teil ver­deck­te.

      Er wink­te ge­bie­te­risch mit der Hand, dass die Be­dien­ten, wel­che ihm ent­ge­gen­ka­men, zu­rück­wi­chen, und sich wie von sei­nem Blick ge­bannt in un­be­weg­li­cher Stel­lung ent­fernt hiel­ten. Dann zum Gra­fen Chris­ti­an ge­wen­det, der ihm auf dein Fuße folg­te, sag­te er mit wohl­klin­gen­der Stim­me und dem edels­ten Aus­druck:

      – Ich ver­si­che­re Ih­nen, Va­ter! dass ich nie so ru­hig war. Et­was Gro­ßes hat sich in mei­nem Ge­schi­cke zu­ge­tra­gen, und der Frie­de des Him­mels ist auf un­ser Haus her­ab­ge­kom­men.

      – Möge dich Gott er­hö­ren, mein Kind! ant­wor­te­te der Greis, die Hand aus­stre­ckend wie zum Seg­nen. Der jun­ge Mann neig­te sein Haupt tief un­ter die Hand sei­nes Va­ters; dann wen­de­te er sich mit sanf­ter, hei­te­rer Mie­ne und schritt bis in die Mit­te des Saa­l­es, be­rühr­te mit der Fin­ger­spit­ze schwach lä­chelnd die Hand, wel­che ihm Ama­lie reich­te, und sah Con­sue­lo starr ein paar Se­kun­den an. Un­will­kür­lich von Ehr­furcht er­grif­fen mach­te Con­sue­lo mit nie­der­ge­schla­ge­nen Au­gen ihm eine Ver­beu­gung. Aber er er­wi­der­te ih­ren Gruß nicht und fuhr fort, sie an­zu­star­ren.

      – Die­se jun­ge Dame, sag­te das Stifts­fräu­lein zu ihm, ist …

      Er un­ter­brach sie aber durch eine Ge­bär­de, wel­che zu sa­gen schi­en: – Sprich nicht, un­ter­brich nicht den Lauf mei­ner Ge­dan­ken.

      So­dann dreh­te er sich um, ohne ir­gend ein Zei­chen von Über­ra­schung oder An­teil und schritt lang­sam durch die große Tür hin­aus.

      – Mei­ne lie­be De­moi­sel­le, sag­te das Stifts­fräu­lein, Sie müs­sen ent­schul­di­gen …

      – Tan­te, ent­schul­di­gen Sie, dass ich Sie un­ter­bre­che, sag­te Ama­lie, aber Sie spre­chen mit der Si­gno­ra deutsch.

      – Ver­zei­hung, gute Si­gno­ra, ant­wor­te­te Con­sue­lo auf ita­lie­nisch, ich habe als Kind vie­ler­lei Spra­chen ge­spro­chen, denn ich war viel


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