Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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sich an­däch­tig durch den Saal schwen­ken. – – Rosa tanz­te mit Am­bro­si­us. Er drück­te ihre Hand mit ei­ner ab­ge­run­de­ten Be­we­gung auf sein Herz und blick­te ge­fühl­voll auf sie nie­der. »Oh, gnä­di­ges Fräu­lein! Ich habe viel an den gest­ri­gen Abend ge­dacht – an Sie – an den Mond – es war köst­lich!« – »Ich auch«, er­wi­der­te Rosa und schlug ihre Au­gen lang­sam zu ihm auf, ge­ho­ben von dem Ge­fühl, dass sie et­was Küh­nes, Un­er­hör­tes be­gin­ne. Als sie an der Türe vor­über­tanz­ten, sah Rosa ih­ren Va­ter dort ste­hen. Lä­chelnd wieg­te er sein wei­ßes Haupt nach dem Tak­te der Mu­sik und blick­te kri­tisch auf die vor­über­tan­zen­den Füße. Dies grei­se, lä­cheln­de Männ­lein er­schi­en Rosa ein we­nig ver­ächt­lich und ih­rer nicht ganz wür­dig. – Der Kron­leuch­ter warf durch den auf­ge­wir­bel­ten Staub ein röt­li­ches Licht auf die wo­gen­de Schar. Das Lä­cheln auf den Lip­pen der zu­schau­en­den äl­te­ren Leu­te nahm eine müde Ste­tig­keit an, wäh­rend die Tan­zen­den schwei­gend atem­los und eif­rig da­hin­stürm­ten.

      Fräu­lein Sal­ly wur­de sehr ge­fei­ert, und bei je­dem neu­en Tän­zer, der sei­nen Arm um ihre schlan­ke, fes­te Tail­le leg­te, be­trieb sie das Tan­zen ru­hi­ger, ge­schäfts­mä­ßi­ger. Sie mach­te einen äu­ßerst rou­ti­nier­ten Ein­druck, und das woll­te sie. Rosa war auch viel um­wor­ben, ihre Tri­um­phe er­reg­ten sie je­doch, ihre Lip­pen wur­den heiß und die Au­gen leuch­tend, »wie Gi­ran­do­len«, sag­te Klappe­kahl mit ei­nem groß­städ­ti­schen Fremd­wort. In der Tat! Sie fühl­te sich heu­te schön und an­zie­hend. Ihr war es, als ste­he sie hoch über ih­ren Ge­nos­sin­nen, als käme sie aus ei­ner frem­den, vor­neh­men Welt in die­se Ge­sell­schaft be­schränk­ter Schü­le­rin­nen und dürf­te mit Ver­ach­tung auf die schüch­ter­nen Back­fisch­ma­nie­ren und en­gen Vor­ur­tei­le die­ser klei­nen Mäd­chen mit den hoch über die Schul­tern ge­hen­den Klei­dern her­ab­se­hen. Sie sprach wäh­rend der Rund­tän­ze. Sie wur­de müde. und die Her­ren muss­ten lan­ge ne­ben ihr war­ten. Sie for­der­te den Apo­the­ker zu ei­nem Wal­zer auf, und als er ihr viel Lie­bens­wür­di­ges zu­flüs­ter­te, gab sie necki­sche Ant­wor­ten, die alle mit »mein Herr« be­gan­nen oder schlos­sen. Oh, viel hat­te sie heu­te abend ge­lernt! War sie nicht eine ganz an­de­re Per­son? Wie im Fie­ber, aber in ei­nem be­glücken­den, er­he­ben­den Fie­ber, flat­ter­te sie durch den Saal. Die Über­zeu­gung, der Mit­tel­punkt des Fes­tes zu sein, ver­schön­te sie.

      Klappe­kahl beug­te sich nah an Fräu­lein Schanks brau­ne Ban­deaux her­an und flüs­ter­te: »Se­hen Sie doch die Rosa Herz. Wel­che ver­ve! Die schaut nicht aus, als käme sie aus Ih­rer Schu­le.«

      »Ach was«, mein­te das Fräu­lein und mach­te ein Ge­sicht, als habe Klappe­kahl wie­der sei­ne Auf­ga­be nicht ge­lernt. »Sie wer­den das Kind ganz zur När­rin ma­chen; es ist oh­ne­hin heu­te laut ge­nug.«

      »Büh­nen­blut!« ki­cher­te Klappe­kahl, »aber fa­mos – die­se Büs­te!« Fräu­lein Schank tat. als höre sie ihn nicht, und saß ernst und ge­ra­de da.

      Es wur­de eine Pau­se ge­macht, die Da­men soll­ten sich vor dem Sou­per er­ho­len. Die Mäd­chen leg­ten ihre nack­ten Arme in­ein­an­der und gin­gen lang­sam im Saa­le auf und ab. Die Her­ren lehn­ten an der Wand und flüs­ter­ten mit­ein­an­der. Nur Am­bro­si­us hat­te sich den Da­men an­ge­schlos­sen. Mit klei­nen Schrit­ten ne­ben ih­nen ein­her­ge­hend, führ­te er die Un­ter­hal­tung. Er schil­der­te Fräu­lein Klappe­kahl den Ein­druck, den der ers­te Thea­ter­abend auf ihn ge­macht hat­te, wie ein Traum sei ihm al­les er­schie­nen, er habe vor Auf­re­gung fast mit­ge­spro­chen, und spä­ter habe er die gan­ze Nacht über ge­weint, denn er sei ein ner­vö­ses, phan­tas­ti­sches Kind ge­we­sen, so­zu­sa­gen »phan­tas­tisch-träu­me­risch«

      Rosa lehn­te ein­sam in der Türe des Da­men­zim­mers und schau­te sin­nend in den Saal hin­ein. Sie durf­te heu­te nicht das tun, was ihre Ge­nos­sin­nen ta­ten; sie hat­te einen Nim­bus zu wah­ren. Die Wür­de ei­ner Ball­kö­ni­gin war ihr noch zu neu, und sie fürch­te­te be­stän­dig, die­se Wür­de zu ver­let­zen. Je­der Au­gen­blick, der sie an die gest­ri­ge, ge­wöhn­li­che Rosa Herz er­in­ner­te, be­drück­te sie. Die Kühn­heit, mit der sie ei­ni­ge Schü­ler ne­ben sich hat­te war­ten las­sen, mit der sie wäh­rend des Tan­zes ge­spro­chen und ge­lacht, mach­te sie in ih­ren Au­gen – zu ei­ner glän­zen­den, mut­wil­li­gen Ge­sell­schafts­ni­xe, die alle Her­zen be­tört und selbst ein ge­heim­nis­vol­les Herz un­ter dem knap­pen Mie­der trägt. Gro­ßer Gott! We­ni­ge rote Bän­der, ei­ni­ge Hand­lungs­die­ner, die sich um einen Wal­zer sto­ßen, ei­ni­ge nei­di­sche Freun­din­nen­au­gen ma­chen aus ei­nem glück­s­ar­men Mäd­chen eine über­mü­ti­ge Ball­kö­ni­gin! Gebt solch ei­nem jun­gen Her­zen, das in sei­nem kärg­li­chen Le­ben stets von gren­zen­lo­ser Se­lig­keit träumt, gebt ihm einen klei­nen Au­gen­blick ganz ge­wöhn­li­cher Lus­tig­keit, und es wird in die­sem einen lus­ti­gen Au­gen­blick eine gan­ze Se­lig­keit hin­ein­zwän­gen. Rosa gab sich – dort am Tür­pfos­ten – ei­nem tie­fen weh­mü­ti­gen Sin­nen hin, das sie den­noch glück­lich mach­te. Denn ne­ben der schö­nen, ge­fei­er­ten Rosa leb­te noch Rosa, die Schank­sche Schü­le­rin im wei­ßen Mus­se­lin­klei­de, und die­se be­wun­der­te das trau­ri­ge Sin­nen der ge­fei­er­ten Rosa.

      Am­bro­si­us ward zer­streut und wie­der­hol­te sich in der Schil­de­rung sei­nes poe­tisch-träu­me­ri­schen Kin­der­ge­mü­tes. Er muss­te be­stän­dig zu Rosa hin­über­schie­len, den gan­zen Abend schon nag­te die Be­wun­de­rung für das Mäd­chen an sei­nem wei­chen Her­zen. Die Aner­ken­nung, die ihr an­de­re zoll­ten, er­höh­te sein Ver­lan­gen, und den­noch war es ihm, als ver­sag­te Rosa durch die Hul­di­gun­gen, die sie ent­ge­gen­nahm, ihm einen Teil der Ver­eh­rung, die sie ihm schul­de­te. »Ich mei­ne, es ist Zeit, ein we­nig nach dem Sou­per zu se­hen«, mein­te er neckisch und ver­ließ Fräu­lein Klappe­kahl, die die­se Neu­gier des Herrn von Tel­le­r­at köst­lich fand.

      Ernst und er­regt trat Am­bro­si­us an Rosa her­an.

      »So nach­denk­lich?« frag­te er.

      Rosa blick­te starr zum Kron­leuch­ter auf.

      »Soll ich in Ihren Au­gen le­sen?« fuhr er fort.

      »Vi­el­leicht«, mein­te Rosa.

      »Oh, ich lese schon – einen wah­ren Ro­man.«

      »Ro­man? Wer weiß?«

      »Ja – ich weiß es!« Am­bro­si­us sprach mit hal­ber Stim­me und et­was hei­ser: »Ich er­zäh­le ihn dir – spä­ter – hm – Lieb­chen.«

      Rosa zuck­te leicht mit den Schul­tern, er­rö­te­te und warf einen scheu­en Blick auf Am­bro­si­us, der eben­falls dun­kel­rot ge­wor­den war und mit bren­nen­den Au­gen auf die Lip­pen des Mäd­chens starr­te.

      Man ging zum Sou­per.

      Frau La­nin öff­ne­te die Tü­ren des Spei­se­saals und mach­te Kom­pli­men­te wie ein Herr. Die­ser Ein­la­dung fol­gend, er­ho­ben sich die äl­te­ren Da­men, schüt­tel­ten freu­dig die Mü­dig­keit ab, die auf ih­nen las­te­te, und knüpf­ten neue Ge­sprä­che an, wäh­rend sie lang­sam in den Spei­se­saal ein­zo­gen, denn kei­ne woll­te zu ei­lig er­schei­nen. Die jun­ge Schar dräng­te nach. Auch hier er­wärm­te die Er­war­tung des Mah­les die Hei­ter­keit. Die Ta­fel reich­te von ei­nem Ende des Ge­ma­ches


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