Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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her­über. »Das sind die Mäd­chen und ihre Liebs­ten«, sag­te sich Rosa und lehn­te sich an die Trep­pen­ram­pe. Für sie war das vor­über. Die­ser Ge­dan­ke schmerz­te so, dass sie hät­te wei­nen mö­gen. Sie woll­te ins Wohn­zim­mer hin­ab­ge­hen; wenn sie die Mäd­chen da­durch stör­te, um so schlim­mer für jene! Fest auf­tre­tend stieg sie die Trep­pe hin­ab.

      An der Hoftü­re lehn­te Mar­tha. Vor ihr stand ein Bur­sche und hielt ihre Hän­de. Als Rosa an ih­nen vor­über­ging, sag­te Mar­tha ru­hig: »Es ist nur der Pe­ter, Fräu­lein, drü­ben von der Schmie­de.« Pe­ter ließ Mar­thas Hän­de los und zog die Müt­ze ab. »Gu­ten Abend«, sag­te Rosa, blieb ste­hen und sah das Lie­bes­paar mit kla­ren, er­reg­ten Au­gen an.

      Wie sorg­los die da Hand in Hand auf der hell­be­schie­ne­nen Schwel­le stan­den und ihre Lie­bes­stun­de be­gin­gen, wie et­was, das ih­nen zu­kam!

      »Sie wer­den Licht brau­chen, Fräu­lein«, mein­te Mar­tha. »Die Tan­te ist fort­ge­gan­gen.«

      »Nein, ich dan­ke.«

      Rosa ging wei­ter. Durch die Kü­chen­tü­re sah sie Gre­the im Fens­ter lie­gen. Zwei große Hän­de wur­den von au­ßen ins Zim­mer ge­steckt und fass­ten den run­den, brau­nen Kopf des Mäd­chens.

      Im Wohn­zim­mer stütz­te Rosa die Stirn an die Fens­ter­schei­ben und war tief be­küm­mert. Sie be­griff es wohl, ihre Lie­bes­stun­den wa­ren vor­über, wa­ren alle aus­ge­ge­ben.

      Ach, jetzt woll­te es ihr fast schei­nen, sie habe sie nie ge­habt. Ne­ben den fried­lich lä­cheln­den Lie­bes­leu­ten dort im Flur nahm sich ihre eig­ne Lie­bes­ge­schich­te wie ein wir­rer, al­ber­ner Fie­ber­traum aus. Sie hät­te es gern an­ders ge­macht!

      Drittes Kapitel

      Im Böhkschen Haus­halt ging ein je­der sei­nen eig­nen Weg, das sah Rosa schon am ers­ten Tage. Frau Böhk war we­nig zu Hau­se. Sie war sehr be­schäf­tigt. Bei Tag und bei Nacht ver­lang­ten die Leu­te nach ihr, und an der Hau­stü­re hing eine Schie­fer­ta­fel, auf wel­che Frau Böhk, wenn sie das Haus ver­ließ, schrieb, wo­hin sie ging, da­mit ein je­der, der sie such­te, sie fin­den konn­te. Aber rie­fen sie auch nicht ge­ra­de Amts­ge­schäf­te, es litt sie doch nicht lang zwi­schen ih­ren vier Wän­den. Sie lieb­te es, mit Be­kann­ten an den Stra­ßen­e­cken zu plau­dern, sich durch die Kü­chen­fens­ter einen Trop­fen Kirsch­geist, einen Löf­fel ein­ge­mach­ten Sta­chel­bee­ren her­aus­rei­chen zu las­sen und da­für ihre ver­nünf­ti­gen Grund­sät­ze, ihre al­lein­se­lig­ma­chen­den Leh­ren aus­zu­streu­en. Wenn man ei­ner gan­zen Ge­ne­ra­ti­on dazu ver­hol­fen hat, das Licht der Welt zu er­bli­cken, dann hat man auch ein Recht zu er­fah­ren, wie die­se Ge­ne­ra­ti­on lebt. Mein Gott, was es heut­zu­ta­ge für un­ver­stän­di­ge Müt­ter gibt. Wenn Frau Böhk mit ih­ren Ratschlä­gen nicht da wäre!

      Beim Schrei­ner er­kun­dig­te sie sich nach dem klei­nen skro­fu­lö­sen Mar­tin. Das arme Kind! Eine so schö­ne leich­te Ge­burt, und solch ein Würm­chen! Beim Ge­würz­krä­mer riet Frau Böhk, dem Fried­rich, dem un­ge­zo­ge­nen Ben­gel, tüch­ti­ge Schlä­ge zu ge­ben, wenn er die Nacht über schrie. Die Apo­the­kers­frau war zwar eine ein­ge­bil­de­te Gans, die vor­nehm tat, aber zu­wei­len sprach die Heb­am­me auch dort vor, ließ sich ein Glas Soda mit Him­bee­ren rei­chen und er­teil­te Leh­ren, denn des Apo­the­kers Eli­se war im ge­fähr­li­chen Al­ter, und da muss man… Gott, was wäre aus der ar­men Eli­se ge­wor­den, wenn Frau Böhk nicht hin­ter dem gelb­po­lier­ten La­den­tisch der Apo­the­ke­rin Ver­hal­tens­maß­re­geln ge­ge­ben hät­te!

      Au­ßer den Mahl­zei­ten konn­te sich Frau Böhk so­mit den Ih­ri­gen nur auf Au­gen­bli­cke zei­gen.

      Die Mäd­chen trie­ben un­ter­des­sen da­heim ihr We­sen. Zu­wei­len kam ein Ar­beits­fie­ber über sie, wenn die Tan­te zu­fäl­lig einen Blick in die Kü­che und die Stäl­le ge­wor­fen hat­te. Ein Sturm von Un­zu­frie­den­heit pfleg­te dann los­zu­bre­chen: »Wie in ei­nem Schwei­ne­stall le­ben wir hier! Hab ich euch dazu ins Haus ge­nom­men, da­mit ihr die Hän­de in den Schoß legt oder da­mit ihr euch mit Schmie­de­ge­sel­len her­um­treibt?« So ging es fort, bis Frau Böhk wie­der auf der Stra­ße war. Nach solch ei­nem Wet­ter streng­ten sich die Mäd­chen an. In al­len Win­keln des Hau­ses klatsch­ten nas­se Tü­cher; im Hof wur­den Pols­ter und Bet­ten ge­stäubt. Die­se Auf­re­gung dau­er­te je­doch nicht lan­ge. Bald kam wie­der tiefer Frie­de über das Haus. Mar­tha und Gre­the sa­ßen auf den Fens­ter­bän­ken um­her, san­gen vor sich hin, schau­ten hin­aus, stie­ßen sich, lach­ten – wenn sie nicht ge­ra­de et­was an ih­ren Klei­dern aus­zu­bes­sern hat­ten oder Wä­sche bü­geln muss­ten. Mar­tha hat­te oft drü­ben beim Schmied et­was zu tun. Stun­den­lang konn­te man sie vor der Werk­statt ste­hen se­hen – an den ru­ßi­gen Tür­pfos­ten ge­lehnt. Bis zum Schrei­ner, wo Greth­chens Liebs­ter Ge­sell war, war es zwar wei­ter, da­für er­schi­en er pünkt­lich un­ter dem Kü­chen­fens­ter.

      Wie Herr Böhk sei­nen Tag ver­brach­te, konn­te nie­mand ge­nau an­ge­ben. Er ging – er kam – die Hän­de in den Ho­sen­ta­schen, eine sanf­te Me­lo­die pfei­fend. Er war im­mer hei­ter, hat­te im­mer Zeit, half den Mäd­chen ihre Hüte be­ste­cken – ver­schwand dann auf vie­le Stun­den, saß plötz­lich wie­der im Wohn­zim­mer und bau­te an ei­ner Maus mit ei­nem Uhr­werk, war­te­te auf das Mit­ta­ges­sen, auf das Abendes­sen, guck­te in den Koch­topf, ging wie­der fort und kam oft sehr spät nach Hau­se. »Wo­hin gehst du?« frag­te Hans sei­nen Va­ter.

      »Was küm­mert das dich, mein Jun­ge?« er­wi­der­te Herr Böhk hei­ter.

      »Ich will mit.«

      »Das geht nicht, mein ein­zi­ges Kind.«

      »Ja!«

      »Nein!«

      »Die Mut­ter er­laubt es nicht, dass du fort­gehst.«

      »Des­halb fra­ge ich sie auch nicht.«

      »Ich will aber mit.«

      »Un­mög­lich! Ich neh­me dich aber nicht mit, mein sü­ßer Hans.«

      Die ge­heim­nis­vol­len Gän­ge sei­nes Va­ters wa­ren das ein­zi­ge, nach dem Hans sich mit ei­ni­ger Lei­den­schaft sehn­te. Sein Kopf war »zu schwach«, dar­um brauch­te er nicht die Schu­le zu be­su­chen, so hat­te er denn nichts auf der gan­zen Welt zu tun, ging von ei­nem Zim­mer in das an­de­re, neck­te den Hahn im Hof, schlief in al­len Ecken ein, hing sich an die Rö­cke der Mäd­chen; nur wenn der Va­ter ei­lig und schmun­zelnd zur Tür hin­aus­schlüpf­te, ward Hans un­ru­hig und woll­te mit. Stun­den­lang be­wach­te er den Hut sei­nes Va­ters, so dass die­ser ge­zwun­gen war, sich einen zwei­ten Hut an­zu­schaf­fen, um der Auf­sicht sei­nes Soh­nes zu ent­ge­hen, und als Hans end­lich die­ses Ma­nö­ver be­griff, wein­te er und trat den zu­rück­ge­blie­be­nen Hut mit Fü­ßen. Täg­lich klam­mer­te sich die­ses enge Ge­hirn an die Hoff­nung, hin­ter des Va­ters Sch­li­che zu kom­men.

      Nun – und Rosa ging auch ih­ren ei­ge­nen Weg; aber sie fühl­te es wohl, ihr Weg war der we­nigst hei­te­re. In ih­rer Kam­mer saß sie am Fens­ter, näh­te Kin­der­hemd­chen und schau­te auf die Stra­ße hin­ab. Sie in­ter­es­sier­te sich für die Vor­gän­ge in der Schmie­de, für das re­gel­mä­ßi­ge Auf­fla­ckern des Schmied­feu­ers, für das hel­le Ping­ping des Ham­mers, und wenn Mar­tha in die Türe der Werk­statt trat, leg­te Rosa ihre Ar­beit bei­sei­te und drück­te


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