Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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dach­te sie ohne Bit­ter­keit und Auf­re­gung an Am­bro­si­us. Es galt ihr als aus­ge­macht, dass sie trotz al­lem doch zu ihm ge­hör­te. Er war der Va­ter ih­res Kin­des.

      Dann wie­der schnür­te eine große Ban­gig­keit Rosa das Herz zu­sam­men. Am­bro­si­us’ lüs­tern-sü­ßes Lä­cheln in die­sem Kin­der­ge­sicht er­schi­en ihr wie eine Ge­fahr für das Kind. Wur­de es da­durch nicht der bö­sen Welt nä­her­ge­bracht? Stör­te es nicht den Kin­des­frie­den? Gro­ßes Mit­leid er­griff Rosa, Mit­leid für den klei­nen Mär­ty­rer, der nicht ahn­te, was sei­ner harr­te. Ach Gott, blieb das Kind doch im­mer so klein, dass sie es vor dem feind­li­chen Le­ben schüt­zen könn­te. Doch Rosa lä­chel­te über ihre eig­nen Ge­dan­ken. Noch hat­te das Klei­ne vie­le Jah­re in ih­ren Ar­men Raum, und nie­mand durf­te es krän­ken. Es soll­te glück­lich sein und oft – oft lä­cheln, wenn es auch Am­bro­si­us’ Lä­cheln war!

      Wäh­rend der fol­gen­den Nacht muss­te Rosa das Kind be­stän­dig auf ih­ren Ar­men wie­gen, denn es schrie und jam­mer­te kläg­lich. Plötz­lich wur­den die Glie­der des Kin­des steif, das Ge­sicht nahm eine blau­ro­te Far­be an, und der Kopf wur­de krampf­haft zu­rück­ge­ris­sen. An­fangs war Rosa starr vor Schreck, dann rief sie nach Frau Böhk, nach ei­nem war­men Bade. Eine ziel­be­wuss­te Ge­schäf­tig­keit trat an die Stel­le des ers­ten Schre­ckens und ließ für die Sor­ge kaum Raum üb­rig. Erst als das Kind wie­der ru­hig auf den Kni­en sei­ner Mut­ter schlief, fühl­te die­se am Be­ben ih­res gan­zen We­sens, wie furcht­bar es sie er­schüt­tert hat­te, ihr Kind lei­den zu se­hen. Bleich und ernst auf das Kind nie­der­ge­beugt, saß sie noch da, als die Son­ne schon hoch am Him­mel stand. Frau Böhk trat in das Zim­mer. »Jetzt scheint es vor­über zu sein. Gott sei Dank«, sag­te sie und setz­te sich auf einen Stuhl.

      »Ja«, er­wi­der­te Rosa, »es schläft ru­hig. Wir wol­len lei­se spre­chen, da­mit es nicht er­wacht.«

      Frau Böhk lach­te. »Ach was, das stört so ’n klei­nen Kerl nicht. Von der Stim­me der Böhk ist noch kein Kind auf­ge­weckt wor­den, will ich mei­nen. Aber«, füg­te sie hin­zu und rieb sich be­däch­tig die Schen­kel, »ich woll­te Sie fra­gen, lie­bes Kind, wie wird es mit der Tau­fe? Mor­gen ist Sonn­tag; da ha­ben wir den Pfar­rer.«

      »Hat denn das Eile?« frag­te Rosa er­staunt. »Ag­nes woll­te kom­men; und dann…«

      »Gut, gut! Ich ver­ste­he schon. Ich mei­ne aber ge­ra­de, wir kön­nen nicht war­ten.«

      »Wie?«

      »Ver­ste­hen Sie mich recht, lie­bes Fräu­lein.«

      Frau Böhk mach­te ein stren­ges, höf­li­ches Ge­sicht. »Das Kind hat in vo­ri­ger Nacht böse Krämp­fe ge­habt und ist über­haupt ein ver­teu­felt zar­tes Würm­chen. Je­dem Men­schen kann et­was zu­sto­ßen, wie viel mehr ei­nem so schwa­chen Kin­de. Nicht? – Ich habe nun dar­auf zu se­hen, dass ein Kind ge­tauft ist, wenn et­was pas­siert. Da­für wer­de ich ver­ant­wort­lich ge­macht, nie­mand an­de­res. Von der Tau­fe ist auch noch kein Kind ge­stor­ben.«

      Rosa hat­te ernst zu­ge­hört, nun schau­te sie auf ihr Kind nie­der, das ru­hig in ih­ren Ar­men schlum­mer­te. Sie lä­chel­te. »Nein, Frau Böhk«, sag­te sie. »Das wird es nicht tun, das nicht! Ster­ben kann es nicht.«

      Un­ge­dul­dig er­hob sich Frau Böhk. »Kann – kann! Wa­rum kann es nicht? Wir alle kön­nen heu­te oder mor­gen ster­ben. Ich sage nur: Die Verant­wor­tung hab ich zu tra­gen. An mich muss ich auch den­ken.«

      »Ich habe ja nichts da­ge­gen, dass mor­gen die Tau­fe ist«, be­schwich­tig­te Rosa die Heb­am­me. »Herr Böhk ist viel­leicht so gut, der Pate des Klei­nen zu sein. Ich sage nur…«

      »Dann ist ja al­les in Ord­nung«, rief Frau Böhk er­leich­tert aus. »Der Pfar­rer kommt oh­ne­hin nur alle vier­zehn Tage vom Schloss zu uns her­über, dem Kin­de wird’s auch gut­tun, ein Christ zu wer­den. Her­nach trin­ken wir Scho­ko­la­de. Das muss so sein; das ist selbst­ver­ständ­lich. Ich be­sor­ge schon das nö­ti­ge, spä­ter be­rech­nen wir uns. Die Leb hab ich auch ein­ge­la­den. – Sie sind ein lie­bes, ver­nünf­ti­ges Kind.«

      Als Frau Böhk fort war, blick­te Rosa sin­nend ihr Kind an. Die Heb­am­me hat­te sie er­schreckt. So et­was war nicht mög­lich! Die­ses arme, zar­te Kind­chen und eine so grau­sa­me, fins­te­re Sa­che wie der Tod, was konn­ten die ge­mein ha­ben? »Nein, das tust du nicht, mein En­gel! Das werd ich dir nie er­lau­ben«, flüs­ter­te sie.

      Der Sonn­tagnach­mit­tag war für die Fa­mi­lie Böhk voll großer Ge­schäf­tig­keit. Schon das Auf­set­zen der Hau­be mit den gel­ben Bän­dern, die Frau Böhk nur an Tauf­ta­gen aus dem Kas­ten nahm, war ein Er­eig­nis. Herr Böhk, als der Wel­ter­fah­rens­te, be­sorg­te das. »Sitz still, Frau Böhk!« be­fahl er. »Die eine Sei­te mit der großen Rose muss zu­rück­ge­scho­ben wer­den, sonst sieht es steif aus. Eine Hau­be muss ein we­nig schief sit­zen, nicht ge­ra­de wie eine Nacht­müt­ze. Nein, ein we­nig, wie soll ich sa­gen? Ein we­nig lie­der­lich muss es aus­se­hen; so – so – ›Komm und küs­se mich‹ – ver­stehst du?«

      »Böhk, Böhk!« mahn­te die Heb­am­me. »Dass du mich nicht ganz gott­los her­rich­test!«

      »Nein, Wil­hel­mi­ne!« er­wi­der­te Herr Böhk über­le­gen. »Du kannst ru­hig sein. Für die Wür­de ist ge­sorgt, aber auch für die Schön­heit. So, jetzt siehst du gut aus, blü­hend – gelb und rot.«

      Für sich hol­te Herr Böhk einen Frack, wei­ße Hand­schu­he und einen Zy­lin­der aus dem Kas­ten. Er war stolz auf die­se Sa­chen. Die Schö­ße des Frackes vor­sich­tig in der Hand hal­tend, ging er mit aus­ge­bo­ge­ner Tail­le fei­er­lich im Zim­mer auf und ab, ge­folgt von sei­nem Sohn, der über die Klei­dung des Va­ters spot­te­te. »Wie dumm das ist, so ’n Frack.«

      »Dumm?« er­wi­der­te Herr Böhk hoch­mü­tig. »Der Frack ist hier nicht der Dum­me.«

      »Da fehlt ja vor­ne was!«

      »Lie­ber Hans, dir fehlt et­was.«

      Die­ses Mal nahm Frau Böhk die Par­tei ih­res Man­nes. »Lass ihn, Hans, du ver­stehst wirk­lich nichts da­von.« Sie heg­te selbst große Ach­tung vor die­sem Klei­dungs­stück.

      End­lich war al­les be­reit, man woll­te je­doch noch war­ten, bis der Got­tes­dienst aus­ge­läu­tet wur­de, um das Ge­drän­ge zu ver­mei­den. Rosa hielt das Kind auf dem Schoß. Sie trug heu­te ihr wei­ßes Mus­se­lin­kleid und wei­ße Ro­sen im Haar. Wer sie da­sit­zen sah mit dem er­reg­ten blas­sen Ge­sicht, hät­te sie für ein klei­nes Mäd­chen ge­hal­ten, das man zur Ein­seg­nung führt.

      »Also das Kind wird Ernst nach Ihrem Herrn Papa und Ar­nold nach mir hei­ßen?« frag­te Herr Böhk und blieb vor dem Täuf­ling ste­hen. Rosa nick­te. Da beug­te er sich auf das Kind her­ab und sag­te ge­rührt: »Was machst du, klei­nes Ar­nold­chen?«

      Als die Kir­chen­glo­cken zu läu­ten be­gan­nen, mach­te sich die Tauf­ge­sell­schaft auf den Weg. Sie hat­te es nicht weit; links hin­ter dem Böhkschen Hau­se lag die Kir­che auf ei­ner An­hö­he, dicht von al­ten Ahorn­bäu­men um­ge­ben. Sie war ein acht­e­cki­ger Pa­vil­lon ohne Turm. Das fla­che Land und die Nähe der See lie­ßen be­fürch­ten, ein Turm könn­te die Schif­fe ir­re­lei­ten.

      Der Got­tes­dienst war zu Ende. Eine große Men­schen­men­ge be­weg­te sich die An­hö­he her­ab.

      In der licht­vol­len At­mo­sphä­re des Ju­li­ta­ges


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