Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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hat­te und, sich an­mu­tig an der Rück­leh­ne ei­nes Stuh­les hin- und her­wie­gend, Rosa das Re­sul­tat die­ser Un­ter­su­chung mit­teil­te. »O ja, viel zu stark«, wie­der­hol­te Rosa und hef­te­te ihre ge­spannt fle­hen­den Bli­cke auf den Arzt. »Ich mei­ne«, fuhr Dr. Bar­tau­er fort und lä­chel­te, wo­bei die Spit­zen sei­nes Schnurr­bar­tes zit­ter­ten: »Ich mei­ne, sol­che Krämp­fe müs­sen einen so jun­gen Or­ga­nis­mus not­wen­di­ger­wei­se arg mit­neh­men, da­her die Schwä­cheer­schei­nun­gen. Vor al­lem müss­ten die Krämp­fe be­sei­tigt wer­den. Ich habe da ei­ni­ges ver­ord­net…«

      »Dann wer­den die Krämp­fe nicht mehr wie­der­kom­men?« frag­te Rosa und at­me­te tief auf.

      Der Dok­tor lä­chel­te wie­der und zog sei­ne Man­schet­te un­ter dem Rock­är­mel her­vor. »Ja – das zu wis­sen«, ver­setz­te er und such­te einen Au­gen­blick nach ei­ner pas­sen­den An­re­de, dann sag­te er ent­schlos­sen: »Lie­be Dame! Das zu wis­sen, lie­be Dame, ver­mö­gen wir Ärz­te nicht; das geht über un­se­re Kunst. Wenn die Na­tur nicht will, dann sind wir ohn­mäch­tig. Üb­ri­gens schaue ich mor­gen nach. Sie selbst soll­ten sich auch scho­nen. Ich emp­feh­le mich bes­tens.« Er ver­beug­te sich und ging.

      Mut­los fiel Rosa auf einen Stuhl nie­der. »Wenn die Na­tur nicht will! Wie soll ich es denn wis­sen, ob die Na­tur will? Was hilft mir die Na­tur? Er ist ja der Arzt, er muss es doch wis­sen, der dum­me, dum­me Mensch!« Sie hat­te Trä­nen in den Au­gen und mach­te ein sehr zor­ni­ges Ge­sicht. Zum Kla­gen je­doch war kei­ne Zeit; das Kind wein­te, sie muss­te zu ihm.

      Rosa ließ die große Sor­ge gar nicht auf­kom­men, son­dern diente nur un­abläs­sig ih­rem Kin­de, mach­te sich stets et­was zu schaf­fen, floh je­den lee­ren Au­gen­blick. Wenn die Heb­am­me sie ein­mal über­re­de­te, sich Ruhe zu gön­nen, dann brach eine un­nenn­ba­re Furcht, ein tie­fes Mit­leid über sie her­ein, und Mit­leid, mit großer Lie­be ver­eint, ist das herz­bre­chend pein­volls­te Ge­fühl. Rosa sah wie­der den ge­quäl­ten Kör­per des Kin­des, das arme ent­stell­te Ge­sicht vor sich und fuhr be­bend auf. Kaum ver­moch­te sie sich in der Däm­me­rung der Som­mer­nacht zu­recht­zu­fin­den; dort glomm das blei­che Fünk­chen der Nacht­lam­pe, dort stand die Wie­ge, dort hör­te man des Kin­des lei­sen, schnel­len Atem, und die schwe­re Trau­rig­keit, die Ro­sas fie­ber­haf­ten Schlum­mer be­drückt hat­te, hing auch über dem Ge­mach und war Wirk­lich­keit. – Rosa muss­te sich wie­der mit ih­ren Be­schäf­ti­gun­gen be­täu­ben. Nur nicht stil­le­hal­ten, den­noch – zu­wei­len ver­sag­te ihr Kör­per ihr den Dienst. Sie wun­der­te sich über ihre Hän­de, die so zit­ter­ten, dass sie nichts zu hal­ten ver­moch­ten, über ihre Bei­ne, die nicht ste­hen woll­ten. Sie hät­te die­se un­ge­hor­sa­men Glie­der schla­gen mö­gen. –

      »Heu­te scheint es bes­ser zu ge­hen«, sag­te die Heb­am­me ei­nes Abends. »Heu­te mor­gen wa­ren die Krämp­fe zwar hef­tig, jetzt aber schläft das Kind ja ganz ru­hig. Ich geh zu Bett. Tun Sie das auch. Soll­te et­was pas­sie­ren, so ru­fen Sie; Gre­the schläft ne­ben­an.«

      Das Kind war rot im Ge­sicht, fühl­te sich heiß an, schi­en aber fest zu schla­fen, die Wan­ge in das Kis­sen ge­drückt, die win­zi­gen Hän­de ge­ballt und in das Bet­tuch ge­wi­ckelt.

      Gut! Rosa be­schloss, sich auf ihr Bett zu le­gen, ohne zu schla­fen. Ehe sie sich je­doch des­sen ver­sah, ent­schwand ihr das Be­wusst­sein, und sie ver­fiel in einen öden Schlum­mer, aus dem sie be­täubt und ge­bro­chen auf­fuhr, als hät­te sie eine schlech­te Tat be­gan­gen.

      Es moch­te ein Uhr mor­gens sein. Durch die Fens­ter­schei­ben sa­hen das küh­le Blau des nächt­li­chen Him­mels und ei­ni­ge blas­ser wer­den­de Ster­ne her­ein, am Wie­sen­ran­de däm­mer­te es weiß. Still und schwül war es im Ge­mach, die Nacht­lam­pe warf einen en­gen, trüb­gel­ben Licht­kreis um sich her­um.

      Rosa, die El­len­bo­gen in die Kis­sen ge­stützt, saß auf. Es frös­tel­te sie, und schwe­re Mü­dig­keit lähm­te ihr die Glie­der. Sie dach­te nach; es war ihr, als hät­te ihr et­was Bö­ses ge­träumt, des­sen sie sich nicht mehr ent­sin­nen konn­te.

      Plötz­lich drang ein lei­ser Ton zu ihr; ein Schlu­cken; es klang, als gös­se man Was­ser aus ei­ner Fla­sche mit zu en­gem Hals in ein Glas. Da war es wie­der! Von der Wie­ge kam der Ton. Has­tig sprang Rosa auf. Das Kind lag re­gungs­los da und hielt die Au­gen of­fen, so weit of­fen, wie Rosa es bei ihm bis­her nie ge­se­hen hat­te. – »Mein Gott!« stöhn­te Rosa. Sie ging zur Türe, rief nach Frau Böhk, nahm dann das Kind auf ihre Knie, als sie es an­fass­te, wand es sich je­doch hin und her. Die ro­ten Pup­pen­händ­chen fuh­ren hilf­los em­por, und in der klei­nen Brust koch­te es. Mit den Fü­ßen stemm­te sich das Kind ge­gen Ro­sas Arm, und der gan­ze Kör­per ar­bei­te­te, als woll­te er sich auf­rich­ten. Rosa beug­te sich tief auf ihr Kind nie­der und sah es an. Vor die­ser stum­men Qual wur­de sie mut­los und ge­dan­ken­los. Alle Ener­gie ih­rer Lie­be ver­ließ sie. Sie war­te­te. Von ir­gend­wo­her muss­te doch Hil­fe kom­men! »Gott, es stirbt ja!« sag­te je­mand ne­ben ihr. Sie schlug die Au­gen auf, de­ren Blau ganz dun­kel vor Ent­rüs­tung und Er­re­gung wur­de. Frau Böhk und Gre­the stan­den in der Türe: »Wer sagt es Ih­nen, dass es stirbt?« frag­te Rosa mit zit­tern­der tiefer Stim­me. »Das wird es nicht!« Wie um ihr Kind zu schüt­zen, beug­te sie sich wie­der auf das­sel­be nie­der und be­deck­te es mit ih­ren blon­den Haa­ren. »Nein! Nie­mand soll sa­gen, dass es stirbt!«

      Frau Böhk zuck­te ver­le­gen die Ach­seln: »Ein Bad könn­te man ver­su­chen«, mein­te sie, »ob­gleich wohl kaum noch zu hel­fen sein wird.« Als sie aber das Kind neh­men woll­te, keuch­te die­ses und zuck­te zu­sam­men, als fürch­te es sich. »Las­sen Sie es nur!« rief Rosa hef­tig und ließ den Vor­hang ih­rer Haa­re dich­ter auf das Kind nie­der­fal­len. »Sie glau­ben ja, dass es stirbt. Ge­hen Sie, ich will es al­lein pfle­gen.« Frau Böhk wich zu­rück und blieb mit Gre­the stumm auf der Tür­schwel­le ste­hen. Rosa ach­te­te nicht dar­auf, ganz hin­ge­nom­men von dem ver­zwei­fel­ten Kampf, den der hilflo­se Kin­der­kör­per auf ih­ren Kni­en kämpf­te.

      Die Hän­de des Kin­des be­weg­ten sich un­si­cher und matt, als woll­ten sie et­was fort­schie­ben, ab­weh­ren. An den Mund­win­keln war wei­ßer Schaum, und die Au­gen fleh­ten angst­voll zu Rosa em­por. Was konn­te sie tun? Das war die ent­setz­li­che Pein, die ihr das Herz ab­drück­te, dass sie ohn­mäch­tig vor der bit­tern Not ih­res Kin­des stand. Das arme klei­ne We­sen, das noch kei­nen Schmerz kann­te, wur­de ganz al­lein ei­nem dun­keln, grau­sa­men Et­was ge­gen­über­ge­stellt, mit ihm zu rin­gen. Das Klei­ne, das sich vor sei­nen ei­ge­nen Hän­den fürch­te­te, soll­te ein­sam den dun­kels­ten, un­heim­lichs­ten Weg ge­hen, und sei­ne Mut­ter muss­te mü­ßig zu­se­hen, muss­te es dem Tode über­las­sen. Dazu misch­te sich in das über­mäch­ti­ge Er­bar­men der mensch­li­che egois­ti­sche Ab­scheu vor dem Tode. Rosa hat­te es nie ge­se­hen, wie ein Mensch stirbt, und jetzt mach­te sich eine schmerz­li­che Neu­gier gel­tend. Rosa ver­folg­te ge­nau jede Be­we­gung des Kin­des, als lese sie in den krampf­haft zu­cken­den Zü­gen et­was von dem Ge­heim­nis des To­des, das sie mit schau­dern­dem Er­stau­nen er­füll­te.

      Sehr stil­le war es im Zim­mer ge­wor­den; nur ein ganz lei­ses Geräusch war hör­bar, wie das Pras­seln ei­ner Nacht­lam­pe, die ver­lö­schen will. Das war das Rö­cheln des Kin­des. End­lich ver­stumm­te auch die­ses. Das Kind be­weg­te sei­nen Kopf hin und her, wie tau­melnd, zuck­te mit den Hän­den, streck­te sich und lag be­we­gungs­los da.

      Frau


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