Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Fritz Feyer­abend, um da so ste­hen und zum Traum­ge­bild des Le­bens von heu­te die­ses aus dem Brun­nen, aus dem Ab­grund her­auf­ho­len zu kön­nen? Nicht bloß die­ses, son­dern – al­les: den Stein über dem Gra­ben, die al­ten Tür­pfos­ten, und – da, da – da den Ap­fel­baum dort an der Nach­bar­he­cke – dort, dort, den, den Ap­fel­baum, des­sen Früch­te wie­der mal eben reif ge­wor­den wa­ren wie vor zwei Men­schen­al­tern zu die­ser Jah­res­zeit!

      Er, in dem He­cken­we­ge, stand auf einen Stock ge­lehnt, und ihm, dem Al­ten jen­seits der le­ben­di­gen He­cke, hat­ten sie eine Stüt­ze un­ter­schie­ben müs­sen, ihm auch einen ei­ser­nen Ring um den klaf­fen­den Spalt im Stamm ge­legt; denn er saß sei­ner Ga­ben auch jetzt noch voll, und es lohn­te sich noch nicht bes­ser, ihn als Brenn­holz zu ver­wer­ten. Ge­heim­rat Feyer­abend hat­te plötz­lich den Schmack die­ser Ga­ben wie­der auf der Zun­ge, wie er alle sei­ne Zäh­ne wie­der hat­te, wie da­mals, als er vor dem Ka­the­der Rek­tor Schus­ters un­term Schul­tisch ver­stoh­len in die Äp­fel von die­sem Baum biss. Und er hing wie­der mit Lud­chen Bock im Ge­zweig die­ses Baums und hör­te aus der Tie­fe Schwes­ter Lin­chens Stimm­chen: »War­tet, ich sage es zu Hau­se! Ihr sollt das noch nicht – sie sind noch nicht reif!« – »Un­ter­steh es dich, dum­me Tri­ne, – da halt die Schür­ze auf und friss sel­ber mit!« Es ist Lud­chen Bock, der das von sei­nem Zweig her­un­ter­ruft, und – – Ge­heim­rat Frit­ze Feyer­abend stand auf dem al­ten Grab­stei­ne und leg­te die Hand auf den al­ten Tür­griff und rüt­tel­te an der al­ten Pfor­te. Die Tür war zu, und Ge­heim­rat Feyer­abend wür­de mit Ver­gnü­gen sei­nen Med­schi­dieh-Or­den, sei­nen rus­si­schen Wla­di­mir oder Sta­nis­laus, sei­nen Or­den der wen­di­schen Kro­ne oder sei­nen ja­pa­ni­schen Or­den der auf­ge­hen­den Son­ne für den Ap­fel von – sei­nem Baum dort im Wege an der Buchs­baum-Bee­tein­fas­sung ge­ge­ben ha­ben! Was wa­ren ihm, als er seuf­zend durch Licht und Schat­ten des ge­gen­wär­ti­gen Ta­ges sei­nen Weg wei­ter ver­folg­te, die nächt­li­chen his­to­ri­schen Träu­me? Da­ran, dass man vor sech­zig Jah­ren auch ne­ben der Tür durch ein Loch in der He­cke zu den ver­bo­te­nen Äp­feln des Pa­ra­die­ses ge­lan­gen konn­te, dach­te er: was wa­ren ihm im au­gen­blick­lichs­ten Wie­de­rer­le­ben des Ver­gan­ge­nen Pto­le­mais, die Kö­ni­ge Ernst Au­gust, Louis Phil­ip­pe, Fried­rich Wil­helm der Vier­te? was der Reichs­ver­we­ser Jo­hann, der Düp­pel­sturm, Kö­nig­grätz und die Schlacht bei Se­dan? Was Wis­sen­schaft und Kunst und Küns­te der letzt­ver­gan­ge­nen sie­ben­zig Jah­re? Mit sei­nem Trau­m­ap­fel vom Baum der Er­kennt­nis, Sau­er­süß auf der Zun­ge, stieg er wei­ter, der Wirk­li­che Ge­hei­me Me­di­zi­nal­rat Pro­fes­sor Dok­tor Feyer­abend, lei­se bergan, dem Brunn­quell von Al­ters­hau­sen, dem Mai­en­born, dem größ­ten Wohl­tä­ter sei­ner Hei­mat­stadt, zu… So schö­nes Wet­ter und er noch da­bei!…

      Der Weg mach­te eine Bie­gung um den Berg her­um. Aus dem Schat­ten in die Son­ne, die ei­nem Greis im­mer wohl­tut, und hin­ter den letz­ten Stadt­gär­ten wie­der in den Schat­ten, der ei­nem Greis auf dem Spa­zier­gan­ge doch auch wie­der ganz will­kom­men sein kann.

      Was sich in der Stadt da im Tal in dem letz­ten Jahr­hun­dert ge­än­dert ha­ben moch­te, der Wald war ge­blie­ben, wie er ge­we­sen war, – un­ter staat­li­cher Au­to­ri­tät und Forst­ver­wal­tung na­tür­lich, nicht bloß aus ei­ge­ner Kraft und Macht­voll­kom­men­heit. Der Weg zu ihm hin führ­te wie­der über eine son­ni­ge Blö­ße, wo Acker­fel­der und Wie­sen die Gär­ten und ih­ren Schat­ten ab­ge­löst hat­ten: es war dem al­ten Herrn und Re­ven­ant durch­aus nicht un­an­ge­nehm, als er, zu­letzt so­gar et­was steil auf­wärts, end­lich die ers­ten Bäu­me der »Wild­nis« er­reich­te. Es war zwar neu­er An­wuchs hier am Ran­de des Kul­tur­fors­tes, aber er hat­te Zeit ge­habt, wie­der mal nach­zu­wach­sen, um die alte Gren­ze fest­zu­hal­ten.

      Die Ge­gend war quel­len­arm; sie hat­ten wohl Grund, hier den Wald zu scho­nen: er half mit, ih­nen zu Luft, Licht und Acker­frucht das Bes­te, nach dem grie­chi­schen Wort, zu ge­ben. Eine Vier­tel­stun­de wei­ter in ihn hin­ein, in ei­nem dun­keln Sei­ten­täl­chen, ent­sprang der Born, wel­cher den Al­ters­hau­se­nern nicht nur das Trink­was­ser lie­fer­te, son­dern aus dem der Storch auch ih­nen und ih­ren Frau­en ihre Kin­der her­auf­hol­te: das eine in un­er­schöpf­li­cher Fül­le, die an­de­ren in ge­nü­gen­der Men­ge ge­gen ein- und an­drin­gen­des Se­mi­ten-, Wel­schen- und Sla­wen­tum.

      In den Fels der Ber­gleh­ne war da das Brun­nen­haus ge­gra­ben und ge­hau­en und durch eine schwe­re Tür ver­schlos­sen; drau­ßen hör­te man das schö­ne Was­ser nur rau­schen in der Tie­fe. In Röh­ren lief es tal­wärts, und wie stark es auch dem Er­den­schoss ent­spru­del­te, in hei­ßen Som­mern – Chro­ni­ken­som­mern – re­de­te man doch in Al­ters­hau­sen von ihm wie vom Eu­len­spie­gel, der ja auch dann und wann aus­blei­ben konn­te »wie das Röhr­was­ser«.

      An man­chem köst­li­chen Spring der Won­ne­bur­gen des Wal­chen­rei­ches hat­te der Alte ge­stan­den im Mit­tag sei­nes ar­beits­vol­len Le­bens und bei sin­ken­der Son­ne. Er hat­te die Was­ser stei­gen se­hen in son­nigs­tes, tiefs­tes Him­mel­blau und in tro­pi­sche Ster­nen­näch­te: nun hör­te er sie wie­der aus dem Brun­nen sei­ner Kind­heit un­ter sei­nen mü­den Fü­ßen rau­schen, nur den Mit­tags­schat­ten sei­ner hei­mat­li­chen Bu­chen und Ei­chen über sich, die deut­sche Wald­küh­le um sich, und – da er aus der Son­ne kam, stand er ei­ni­ge Au­gen­bli­cke ge­blen­det, ehe er be­mer­ken konn­te, dass er den Brun­nen, aus dem auch ihn der Storch sei­ner Mut­ter her­auf­ge­holt und ge­bracht hat­te, dass er den Mai­en­born von Al­ters­hau­sen nicht für sich al­lein hat­te, aber auch an kei­nem Orte in den Rei­chen der Wal­chen grö­ße­res Wun­der hät­te er­le­ben und er­fah­ren kön­nen. –

      Es war auch zu bei­den Sei­ten des Brun­nen­hau­ses im Hal­brund eine Bank in den Fel­sen ge­mei­ßelt, und ein alt Müt­ter­chen saß da und sah von sei­nem Strick­zeug em­por und er­wi­der­te scheu mit der Ver­le­gen­heit des »nie­de­ren Vol­kes« den Gruß des un­be­kann­ten al­ten Herrn und rück­te, trotz­dem des Rau­mes ge­nug war, ein we­nig wei­ter weg, als er sich auch mal wie­der nach zwei Men­schen­al­tern auf die­ser Bank am Mai­en­born nie­der­ließ.

      »Ein recht an­ge­neh­mer Mor­gen!« sag­te Ge­hei­mer Me­di­zi­nal­rat Feyer­abend. »Nicht die Wit­te­rung, son­dern die Un­ter­hal­tung dar­über bringt die Men­schen zu­sam­men!« sag­te ja­wohl Ari­sto­te­les? Wie soll­ten auch die­se bei­den am Mai­en­born von Al­ters­hau­sen an­ders wie­der zu­sam­men­ge­kom­men sein?

      Sie hiel­ten sich an den Hän­den, das heißt der Alte hat­te die der Al­ten ge­fasst und hielt sie fest trotz al­les Zu­rück­zer­rens und -zup­fens. Die Alte hat­te sie dem Al­ten schon las­sen müs­sen, um nicht der Über­ra­schung und der Ver­le­gen­heit der Kin­der we­gen in die Erde zu ver­sin­ken.

      Konn­te denn dies die Mög­lich­keit sein?

      Ja! Und es hat­te wirk­lich nur wie­der mal ein Wort das an­de­re ge­ge­ben. Vom ge­gen­wär­ti­gen schö­nen Wet­ter war man auf die Al­ters­hau­se­ner Wit­te­rung im All­ge­mei­nen ge­kom­men, von dem an­ge­neh­men Platz hier am Brun­nen auf die An­nehm­lich­kei­ten der Ge­gend über­haupt, von der Ge­gend auf die Leu­te drin und von den Leu­te im All­ge­mei­nen auf die Leu­te im be­son­de­re. Zum Bei­spiel als wer jetzt Su­per­in­ten­dent


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