Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


Скачать книгу
tu’ Se merr den Ge­fal­le und rücke Se um a Stuhl wei­ter; wis­se Se, Herr Rat, dass Se merr lieb sind, wis­se Se; aber was hier au­gen­blick­lich vor­geht, das nennt ma bei uns in Frank­fort a rih­ren­des Wie­der­fin­de, und da­von ver­ste­he Se gar nichts, Herr Rat. Also bit­te, Kanz­lei­rät­le, rücke Se zu, und las­se Se mich an die bei­de Her­re da driw­we ran, – wol­le Se?!«

      »Mit Verg­nige, Herr Dok­tor!« brumm­te der Kanz­lei­rat, füg­te je­doch hin­zu: »Des muss i sage; wenn wir ei’­mal grob sind, so ma­che wir des doch mit mehr Ma­nier ab, als die­se Aus­län­der! Re­bub­li­ka­ni­sche Ein­fach­heit nennt man das – wahr­schein­lich.«

      »Steigt Ih­nen was, Herr Kanz­lei­rat«, sprach der Dok­tor Schmol­ke im un­ta­del­haf­ten Hoch­deutsch, »bit­te, kom­men Sie nur end­lich ein­mal, wie Sie mir so häu­fig ver­spro­chen ha­ben, nach Frank­furt. Sie sol­len über­zeugt wer­den, dass wir es auch nicht übel­neh­men, wenn Sie uns an un­se­ren be­rech­tig­ten Ei­gen­tüm­lich­kei­ten kit­zeln.«

      Halb la­chend, halb är­ger­lich mach­te der alte wür­di­ge Herr dem Ad­vo­ka­ten Platz, und es fand nun­mehr in der Tat das statt, was das Frank­for­ter Ber­gers­kind vor­hin »a rih­rend Wie­der­fin­de« nann­te. Trä­nen flos­sen zwar nicht da­bei, aber sie tra­ten dem Mann aus dem Stif­te doch in die Au­gen, und der Frei­herr ge­bär­de­te sich sehr auf­ge­regt. Als je­doch die nö­ti­gen Äu­ßer­lich­kei­ten ab­ge­tan wa­ren, und ein jeg­li­cher dem an­de­ren die Hand ge­schüt­telt und ihn auf den Rücken ge­klopft hat­te, sag­te Schmol­ke aus Frank­furt:

      »Leu­te, ich wie­der­ho­le es, ich habe euch eben mit Ver­gnü­gen zu­ge­hört. Dass der Pechle ein ar­mer Sün­der vor dem Herrn ist, und dann und wann le vin ten­dre hat, das hab’ ich längst ge­wusst; aber dass der Ripp­gen da es durch­aus nicht las­sen konn­te, ein Mäd­chen glück­lich ma­chen muss­te, und jetzt von sei­ner Göt­tin nach Ge­bühr in gu­ter Zucht und Ord­nung ge­hal­ten wird, das war mir neu, und er­lau­be ich mir, bes­tens zu al­ler Sü­ßig­keit des Zu­stan­des zu gra­tu­lie­ren. Nun aber sagt, ihr Her­ren, wer von euch bei­den er­wähn­te vor­hin die Exis­tenz und den Na­men von Miss Chri­sta­bel Ed­dish?«

      Der Baron und sein Haus­ge­noss sa­hen sich einen Au­gen­blick in die Au­gen, um sich dar­auf bei­de die Stir­nen zu rei­ben. Dann sag­te der Baron:

      »Ich glau­be, Schmol­ke, wir ha­ben den Na­men wohl alle bei­de an die­sem Abend ei­ni­ge Male aus­ge­spro­chen –«

      »Und mit ei­gen­tüm­li­cher Be­to­nung«, warf der Frank­fur­ter Ad­vo­kat ein.

      »Ei Je ja, ja­wohl!« seufz­te der Frei­herr, und Pechle klopf­te von neu­em dem Dok­tor Schmol­ke zwi­schen die Schul­ter­blät­ter und sprach treu­her­zig auf­klä­rend:

      »Sieschst du, Schmol­ke, die bei­den Wei­ber sit­zen in die­sem fei­er­li­chen Mo­ment zu Hei­del­berg in Schrie­ders Ho­tel – wahr­schein­lich. Also und des­halb hab i das Lamm hier, das Sechser­le, heut abend aus der Dorn­he­cke her­aus­ge­wi­ckelt und hab’s in die fri­sche Luft und in die­se an­stän­di­ge Ge­sell­schaft ge­führt, Schmol­ke. Dass wir dich auch in die­sem Lo­ka­le tref­fen wür­den, das konn­ten wir frei­lich nicht wis­sen.«

      »Ich muss auch so­gleich fort. Ich hab’ noch einen Ter­min mor­gen um eilf Uhr auf dem Rö­mer; aber es war sehr nett, – wahr­haf­tig recht nett von euch, mir hier in die Arme zu fal­len. Dass aber die Tu­gend im­mer ih­ren Lohn fin­det, das will ich dir jetzt be­wei­sen, Ripp­gen. Höre, Fer­di­nand, wenn es ein­mal gar nicht an­ders ge­hen will, so be­su­che mich ver­trau­ens­voll auf mei­nem Büro in Frank­furt. Dei­ne Haus­freun­din, die Miss – Miss Chri­sta­bel – Miss Chri­sta­bel Ed­dish hab’ ich näm­lich auch in mei­nen Ak­ten, und wenn du abends kommst, fin­dest du mich auch stets. Je­doch leich­ter nach vor­aus­ge­gan­ge­ner Kon­fe­renz mit mei­ner Haus­häl­te­rin. Und wenn der Pechle da mit dir kommt, so wird’s mir stets sehr an­ge­nehm sein, und nun – Herr Kanz­lei­rat, rei­che Se merr doch ge­fäl­ligst noch emal Ihre Dose riw­wer.«

      Was für ein Ge­schlecht wür­de die Erde be­völ­kert ha­ben, wenn ihm nach ver­lau­fe­nen Sünd­fluts­ge­wäs­sern der Wein­stock und der Hop­fen vor­ent­hal­ten wor­den wäre? Wer aber sagt uns, wie sich die Ge­wäh­rung die­ser bei­den ver­derb­li­chen Pflan­zen so kurz nach Ver­nich­tung des ers­ten mo­ra­lisch ver­un­glück­ten Wur­fes der Mensch­heit recht­fer­ti­gen lässt? Sei­en wir vor­sich­tig und über­las­sen wir die Lö­sung der zwei Fra­gen je­dem, der nicht fürch­tet, sich die Fin­ger zu ver­bren­nen: wir wol­len uns ein­fach mit dem Hu­mor, der in dem Din­ge liegt, be­gnü­gen.

      Dok­tor Leo­pold Schmol­ke, der be­rühm­te in­ter­na­tio­na­le Frank­fur­ter Ad­vo­kat, fuhr mit dem ers­ten Schnell­zu­ge durch die graue Mor­gen­däm­me­rung nach Hau­se und sei­nem Ter­min auf dem Frank­fur­ter Rat­hau­se ent­ge­gen, und hauch­te, als er auf dem Hei­del­ber­ger Bahn­ho­fe frös­telnd sich dich­ter in sei­ne Rei­se­de­cke ein­wi­ckel­te:

      »O Chri­sta­bel! Chri­sta­bel!«

      Arm in Arm such­ten die bei­den an­de­ren Stu­di­en­freun­de ihre Be­hau­sung zu er­rei­chen, und es ge­lang ih­nen, wenn­gleich erst nach Über­win­dung man­nig­fa­cher Schwie­rig­kei­ten. Den Schlüs­sel des Barons hat­te, wie wir wis­sen, die treue und from­me Maid, Ka­tha­ri­na von Schwa­ben, mit sich nach ei­nem Tanz­lo­kal an der Wein­stei­ge ent­führt; aber der Ex-Stift­ler Pechle be­saß, wie wir gleich­falls wis­sen, auch einen Haus­schlüs­sel und ver­gaß, als frü­he­rer Stift­ler, den­sel­bi­gen nie an sei­nem Na­gel hin­ter der Tür. Wer von den Her­ren das Schlüs­sel­loch fand, wird wohl ewig­lich in Dun­kel­heit gehüllt blei­ben, aber ei­ner fand es, und da das ge­lun­gen war, so er­reich­ten sie auch die Pfor­te des Barons, und es stand für dies­mal ei­nem zärt­li­chen Ab­schied­neh­men nichts mehr im Wege. Sie nah­men zärt­lich von­ein­an­der Ab­schied. Au­gen­blick­lich hat­ten sie bei­de le vin ten­dre, und so hiel­ten sie sich eine ge­rau­me Wei­le schluch­zend um­schlun­gen. Dann küss­ten sie sich, dann ris­sen sie sich von­ein­an­der los, und dann – ja dann ver­wei­sen wir auf das im An­fan­ge die­ses Ka­pi­tels Ge­sag­te, und kom­men auf un­se­re dort nach­drück­lichst aus­ge­spro­che­nen Grund­sät­ze ru­hig zu­rück. In die­sem Fal­le je­doch mit ei­ner Wen­dung nicht an das De­duk­ti­ons- und In­duk­ti­ons­ver­mö­gen der Welt im All­ge­mei­nen, son­dern an das der Freifrau Lu­cie von Ripp­gen ganz im be­son­dern.

      Als die Frau Baro­nin am fol­gen­den Mit­tag mit ih­rer Kam­mer­jung­fer Char­lot­te auf dem Stutt­gar­ter Bahn­ho­fe an­lang­te, ver­wun­der­te sie sich sehr, den Ge­mahl da­selbst nicht auf sie war­tend vor­zu­fin­den, und sie sprach ein we­ni­ges mehr als blo­ße Ver­wun­de­rung ih­rer eben­so er­staun­ten Beglei­te­rin ge­gen­über aus.

      »Es ist zum min­des­ten un­be­greif­lich!« rief die letz­te­re. »Ein Un­glück wird hof­fent­lich doch nicht vor­ge­fal­len sein?!«

      »Nein!« sprach die gnä­di­ge Frau, ein Heer der­ar­ti­ger Ver­mu­tun­gen bloß durch das klei­ne Wort ver­nich­tend. Dass sie hin­zu­setz­te: »Nur eine Un­schick­lich­keit – eine Rück­sichts­lo­sig­keit, die ich mir si­cher­lich nicht ge­fal­len las­sen wer­de!« war uns ge­gen­über si­cher­lich nicht nö­tig.

      Ohne auf ein etwa doch noch mög­li­ches atem­los keu­chen­des


Скачать книгу