Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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klopf­te Sach­sen, oder viel­mehr Mei­ßen an die Tür Pech­lins, und konn­te der­sel­be nun end­lich mit sei­ner tiefs­ten Brust­stim­me:

      »Nur her­ein!« ru­fen.

      Nie hat­te sich Pechles Pfor­te lei­ser ge­öff­net und be­hut­sa­mer ge­schlos­sen, als jetzt vor und hin­ter dem Frei­herrn Fer­di­nand von Ripp­gen, kö­nig­lich säch­si­schem As­ses­sor au­ßer Dienst aus Dres­den. Nie, we­nigs­tens seit lan­gen Jah­ren nicht, war der Frei­herr so kräf­tig an den Schul­tern ge­fasst und un­ter sol­chem bar­ba­ri­schen Ge­schrei so derb ab­ge­schüt­telt wor­den, als jetzt durch den Ex-Stift­ler Chri­stoph Pechle aus dem Schön­buch. Wie ge­wöhn­lich Dia­lekt und Bü­cher­spra­che je nach dem Stei­gen und Fal­len der Stim­mung und Lei­den­schaft an­mu­tig durch­ein­an­der spie­len las­send, don­ner­te der schwä­bi­sche Freund:

      »Hur­ra! Hie gut Würt­tem­berg al­le­weg! Zieh den Rock aus – den Schlaf­rock mein’ ich. Willscht du eine Pfei­fe, oder hascht du dir eine Zi­gar­re mit­ge­bracht! Du dankst? Wes­halb dankst du? Da, set­ze dich, Al­ter­le; ich freue mich un­mensch­lich, dich wie­der zu se­hen. Sechser­le, du jam­merst mich; of­fen ge­sagt, je län­ger ich dich nun auch in der Nähe be­gut­ach­te, de­sto mehr tust du mir leid; weißt du, und ich bin im­mer ein gu­ter Mensch ge­we­sen, und es zuckt mir in al­len zehn Fin­gern, dich auch wie­der zu ei­nem Men­schen zu ma­chen.«

      »Ei ja, du bist ja noch im­mer so grob wie in Tü­bin­gen. Du hast dich we­nig ver­än­dert in den Jah­ren un­se­rer Tren­nung; aber jetzt bit­te ich dich in­stän­dig, lass mich ein we­nig zu Atem kom­men. Lie­ber Pech­lin, man hat zu stei­gen, um zu dir hin­auf, zu ge­lan­gen!«

      »Hat man, du Schmeich­ler? Aber du hast recht, Ripp­gen, es ist im­mer mein Be­stre­ben ge­we­sen, mich auf den Hö­hen des Da­seins zu er­hal­ten, und bis jetzt ist das mir so ziem­lich ge­lun­gen. Willst du dich wirk­lich nicht set­zen?«

      »Doch, doch! Nach­her, wenn du es er­laubst. Jetzt lass mich noch ein we­nig vor dir ste­hen und dich so be­trach­ten.«

      »Nach Be­lie­ben. Stel­le dir nur recht leb­haft vor, du sei­est nach Loschwitz in die Baum­blü­te ge­zo­gen, und Sach­sens schöns­ter Kir­schen­baum schütt­le sei­ne lieb­lichs­te Früh­ling­s­pracht auf dich her­nie­der!« sprach Pechle tro­cken, sah aber sei­nen nächt­lich-ver­stoh­le­nen Be­su­cher eben­falls von neu­em an und brach in je­nes lang­hal­len­de, un­er­schöpf­li­che, don­ner­ar­ti­ge Ge­läch­ter aus, mit wel­chem wir un­ser ers­tes Ka­pi­tel und also sei­ne, Chri­stoph Pech­lins, Ge­schich­te er­öff­ne­ten. Das Wa­schen der schmut­zi­gen Wä­sche nahm dann auch so­fort sei­nen An­fang; denn nach­dem der Schwa­be end­lich doch aus­ge­lacht hat­te, setz­te sich der Sach­se, das heißt, er fiel dem Freun­de ge­gen­über auf einen Stuhl und seufz­te aus tiefs­ter, ge­press­tes­ter Brust: »Pech­lin, ich bin nicht glück­lich!«

      Pech­lin, ich bin nicht glück­lich, hat­te der Baron ge­sagt, und Pechle zeig­te jetzt, dass er in der Tat ein gu­ter Mensch war. Statt dem Freun­de von neu­em hell in das Ge­sicht hin­ein­zu­la­chen, stieß er ober­halb des Ti­sches nur einen dump­fen Seuf­zer aus, bück­te sich schnell un­ter den Tisch, ließ wäh­rend meh­re­rer Se­kun­den ein mit al­len Kräf­ten un­ter­drück­tes, un­heim­lich hei­te­res Gur­geln und Schnau­fen ver­neh­men, tas­te­te da­bei in ei­nem Hand­kor­be, fuhr hoch­rot wie­der em­por und stell­te mit Nach­druck ei­ni­ge Fla­schen und zwei Glä­ser zwi­schen sich und dem le­bens­mü­den Haus­ge­nos­sen auf den Tisch.

      »Da!… Also du bischt nicht glück­lich?«

      Der Baron schüt­tel­te trüb­se­lig den Kopf, und Pechle, die ers­te sei­ner Fla­schen be­dacht­sam ent­kor­kend, fuhr fort:

      »So wirst du mir in die­ser Nacht dei­ne Ge­schich­te er­zäh­len. Sieh, dort in je­nem Tisch­kas­ten liegt mei­ne Über­set­zung des Pla­ton; – nur gute, das Ver­trau­en ih­rer Mit­bür­ger ver­die­nen­de Men­schen über­set­zen den Pla­ton, und du weißt doch noch, dass ich schon in Tü­bin­gen an­fing, mich dar­an zu ma­chen! – und nun rücke her­an und pro­bie­re die­sen hier, es ist ein recht an­ge­neh­mer und leich­ter Weins­ber­ger, von der gü­ti­gen Vor­se­hung ei­gens für dei­ne Zu­stän­de er­zeugt. Da – und jetzt schüt­te dei­ne Le­bens­qual aus in mei­nen Bu­sen! Es wird dich er­leich­tern; – Kind­le hast du ja­wohl nicht?«

      Der Gast schüt­tel­te wie­der­um mit dem Kop­fe, und der Freund rück­te ihm nä­her, stieß ihm mit bie­de­rer Ver­trau­lich­keit den El­len­bo­gen in die Sei­te und flüs­ter­te:

      »Gut! Ich habe der­glei­chen Im­pe­di­men­ta auch nicht un­ter dei­nem neu­lich ins Haus ge­schaff­ten Haus­rat be­merkt, und das ist mir au­gen­blick­lich ganz lieb, denn da brau­chen wir kei­ne Rück­sich­ten auf sie zu neh­men. Auf das Wohl dei­ner Frau wol­len wir erst nach an­ge­hör­ter Re­la­ti­on dei­nes Le­bens­lau­fes an­sto­ßen. Nun hei­ter her­aus da­mit; was hast du mit dir an­ge­fan­gen?«

      Der Frei­herr Fer­di­nand von Ripp­gen, wel­cher nächt­li­cher­wei­le und ohne das Vor­wis­sen sei­ner Gat­tin die Trep­pe hin­auf­ge­schli­chen war, um sei­ne Ge­schich­te von sei­ner See­le an die füh­len­de See­le ei­nes an­de­ren los­zu­wer­den, konn­te nach sol­chem freund­li­chen Ent­ge­gen­kom­men und un­ter die­sen drin­gen­den Auf­for­de­run­gen des an­de­ren wahr­lich nicht um­hin, sei­ne Ge­schich­te zu er­zäh­len. Er er­zähl­te sie, und es kam eine ganz alte His­to­rie her­aus, die kaum des Er­zäh­lens wert war.

      Fer­di­nand von Ripp­gen hat­te sei­ne Stu­di­en auf der Uni­ver­si­tät Leip­zig vollen­det, war nach Hau­se ge­kom­men und hat­te sei­ne Exa­mi­na, wie sich das nicht an­ders er­war­ten ließ, mit höchs­tem Lobe be­stan­den. Man hat­te ihn an­ge­stellt im Staats­dienst, und er hat­te dem Staat ge­dient. An­fangs ohne Ge­halt, so­dann für einen un­zu­rei­chen­den. In Loschwitz be­saß H. K. Fla­the, der große zu­rück­ge­zo­ge­ne Sei­den­händ­ler sein Land­haus, und in Loschwitz lern­te Fer­di­nand, der da­selbst im Som­mer 186– eine Milch­kur ge­brau­chen muss­te, die ein­zi­ge Toch­ter des großen Sei­den­händ­lers, Fräu­lein Lu­cie Fla­the ken­nen und wur­de auf der Stel­le von ihr so­wohl als Baron wie als Mensch rich­tig ta­xiert.

      Wie nennt man doch gleich einen Men­schen, der das Glück, wel­ches ihm vor die Füße fällt, nicht auf­zu­neh­men ver­steht? Ach, ge­ben wir uns kei­ne Mühe: Fer­di­nand er­griff sein Glück mit bei­den Hän­den. Ein Jahr nach dem Tode ih­res Va­ters ver­sprach Lu­cie dem As­ses­sor, nur ihm al­lein an­ge­hö­ren zu wol­len, und ein hal­b­es Jahr nach der Hoch­zeit war der Frei­herr ein As­ses­sor au­ßer Dienst, das heißt, er hat­te den Staats­dienst quit­tiert, um sei­ner Frau ganz al­lein an­zu­ge­hö­ren, das heißt, um sich gänz­lich dem Diens­te des Wei­bes wid­men zu kön­nen. Lu­cie hat­te die Skla­ve­rei des Staa­tes für un­ele­gant und un­er­träg­lich er­klärt, und der Kö­nig Jo­hann, der je­den­falls aus sei­nen Dan­te-Stu­di­en wuss­te, was es be­deu­te, eine fie­ra mo­glie im Hau­se zu ha­ben, hat­te den Baron auf sein Ge­such in Gna­den ent­las­sen. Den Amts­ti­tel ließ Sei­ne Ma­je­stät dem ar­men gu­ten Men­schen, und dar­auf, so­wie auf sei­nen Ti­tel als Frei­herr und das Ver­mö­gen sei­ner Frau war Fer­di­nand von jetzt an al­lein an­ge­wie­sen, Lu­cie war drei Jah­re äl­ter als ihr Gat­te, und das jun­ge Paar reis­te, wahr­schein­li­cher­wei­se, um sich auf der Rei­se ge­gen­sei­tig ge­nau­er ken­nen zu ler­nen und sich in­ni­ger in­ein­an­der hin­ein­zu­le­ben.


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