Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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et­was dem Ähn­li­ches lei­hen. Fer­di­nand, als Gat­te sei­ner Frau und als Haupt­sün­der, brach­te es nur zu letz­te­rem, das heißt zu ei­nem ei­ner Wort­fol­ge ähn­li­chen, un­ver­ständ­li­chen, in der See­le wie in der Keh­le ste­cken­blei­ben­den Ge­mur­mel. Er hät­te sich auch das er­spa­ren kön­nen; denn die Gat­tin schnitt ihm selbst die­ses ab und sprach ihn jetzt an, und zwar in schnel­len, kur­z­en, keu­chen­den Sät­zen.

      »Siehst du, mein Lie­ber«, sag­te sie, »da sind wir! wo du uns nicht er­war­tet hast… na­tür­lich! Siehst du, o, wir be­nutz­ten die Frei­heit, un­ser Le­ben ein­zu­rich­ten… die ihr uns so gern gönnt!… Du scheinst nicht recht wohl zu sein?… Kommt dir die­ses Zu­sam­men­tref­fen… wirk­lich so über­ra­schend?«

      »O Teu­re, – Lu­cie, es ist frei­lich –«

      »Was ist frei­lich?… So sprich doch! – der Herr Dok­tor, dein Freund, wird dich nicht ge­nie­ren – was wünsch­test du, wie wünsch­test du, dass… dein Weib sich ge­gen dich stel­le?… Nicht wahr, du wünsch­test uns – mei­ne arme Chri­sta­bel und mich – als die Hü­te­rin­nen dei­nes Hau­ses… dei­nes Her­des ru­hig da­heim dich… er­war­tend zu fin­den? O sprich dich ru­hig aus, ge­nie­re dich nicht vor Chri­sta­bel! Ist es nicht so? war es nicht so? wird es so nicht sein?«

      »Ge­wiss nicht, Lie­be!… Ich habe gar nicht dar­über –«

      »Nach­ge­dacht?! Na­tür­lich! Siehst du, Chri­sta­bel, mein ar­mes Herz?! Ge­wiss, du hat­test recht, und ich hat­te recht, wir bei­de hat­ten recht, als wir es für das ein­zig Rech­te, das ein­zig Men­schen­wür­di­ge hiel­ten, un­se­re ei­ge­nen Wege zu ge­hen! Du hast mich vor dem Wahn­sinn ge­ret­tet, Chri­sta­bel, und dei­net­we­gen ein­zig und al­lein in der wei­ten Welt, dan­ke ich dir, und nun wol­len wir die Her­ren nicht wei­ter auf­hal­ten.«

      »Aber liebs­te Lu­cie?!« stam­mel­te Fer­di­nand, der von sei­ner Men­schen­wür­de jetzt für im­mer Ab­schied ge­nom­men ha­ben wür­de, wenn nicht in die­sem Au­gen­blick der höchs­ten Not und jam­mer­volls­ten Zer­schmet­te­rung, das Schick­sal sich un­se­res Freun­des Chri­stoph Pech­lin be­dient hät­te, ihn, den kö­nig­lich säch­si­schen As­ses­sor a. D., noch ein­mal zu ret­ten.

      Pechle misch­te sich in die Un­ter­hal­tung. Er er­laub­te es sich, sich in die Un­ter­hal­tung zu mi­schen! Mit ei­ner Harm­lo­sig­keit, die in der Bre­sche ei­ner be­la­ger­ten Fes­tung, vor den Ba­jo­net­ten der an­drin­gen­den Sturm­ko­lon­ne, von Wir­kung hät­te sein müs­sen, sag­te er freund­lich:

      »Aber, gnä­di­ge Frau – lie­ber Freund, du hast bis jetzt mich noch nicht dem gnä­di­gen Fräu­lein vor­ge­stellt! Willst du nicht die Güte ha­ben?«

      Und der Baron griff mit bei­den Hän­den zu; – er stell­te vor – un­ter dem hef­tigs­ten Feu­er der Bresch­bat­te­ri­en stell­te er Miss Chri­sta­bel Ed­dish und Herrn Chri­stoph Pech­lin ein­an­der vor.

      »Mein gnä­di­ges Fräu­lein«, sag­te der Ex­stift­ler, »ich habe mich wäh­rend des gan­zen Mar­sches durch jene Ber­ge auf ein dem­nächs­ti­ges Zu­sam­men­tref­fen mit Ih­nen ge­freut; aber dass mir das Glück heu­te schon und ge­ra­de auf die­sem glor­rei­chen Punk­te zu­teil wer­den wür­de, habe ich mir doch nicht träu­men las­sen. Ja, hier mein Freund Ripp­gen hat mir fast bei je­dem Schritt von Ih­nen ge­spro­chen. O, Sie hät­ten ihn spre­chen hö­ren sol­len, Miss Ed­dish! Gnä­di­ge Frau, wie be­fin­den Sie sich denn? Das lass ich mir ge­fal­len! Es war ein herr­li­cher Ge­dan­ke, uns mü­den Land­strei­chern bis hier­her auf den Ho­hen­stau­fen ent­ge­gen­zu­kom­men.«

      Die eng­li­sche Maid war vor dem fröh­li­chen Wort­fluss in stum­mer Ho­heit zur Sei­te ge­tre­ten; aber die be­lei­dig­te Gat­tin warf ihm sich na­tür­lich ent­ge­gen. »Mein Herr«, rief sie, »ich bit­te Sie, über­zeugt zu sein, dass wir nicht hoff­ten, Sie hier zu tref­fen!«

      »Umso bes­ser! Umso bes­ser und er­freu­li­cher! Mein Gott, und drun­ten im Lamm über­nach­ten wir auch zu­sam­men. Siehst du, Ripp­gen, dass un­se­re Dä­mo­nen über uns wa­chen und uns die rich­ti­gen Wege zu füh­ren wis­sen! Ich hab’ es dir im­mer ge­sagt, und du hast nur all­zu oft an dei­nem Schutz­en­gel ge­zwei­felt. Ich an sei­ner Stel­le wür­de es dir zu­letzt übel ge­nom­men ha­ben!«

      Die gnä­di­ge Frau mur­mel­te auch et­was von ei­nem »Dä­mon« und das schar­fe theo­lo­gi­sche Ohr fass­te das Wort und die Be­zü­ge des­sel­ben so­fort in der rich­tigs­ten Wei­se auf.

      »O, gnä­di­ge Frau«, rief Pechle mit bei­den Hän­den ab­leh­nend und ab­weh­rend, »wie ver­ken­nen Sie mich, gnä­di­ge Frau!«

      »Wie du aus­siehst, Fer­di­nand?!« wand­te sich die Baro­nin kurz um und an ih­ren Gat­ten. »Wie an­ge­grif­fen! Wie heiß! Wie er­schöpft!«

      »Teu­re, lie­be Lu­cie!«

      »Fin­dest du nicht auch, Chri­sta­bel, dass er ganz und gar den zwi­schen uns aus­ge­tausch­ten Schreck­bil­dern ent­spricht? Herr Dok­tor Pech­lin, ehe wir uns tren­nen, bit­te ich Sie ge­hor­samst, mir zu sa­gen, was Sie mit mei­nem Mann wäh­rend der letz­ten Tage an­ge­fan­gen ha­ben.«

      »Gnä­di­ge Frau, ich hab’ ihn wie ein Lamm auf die Wei­de mei­nes schö­nen Hei­mat­lan­des ge­führt. Stel­len Sie sich ein sei­de­nes, him­melblau­es Band an sei­nem Hal­se vor –«

      »Herr Dok­tor?!«

      »Und er­lau­ben Sie mir nun­mehr, Ih­nen hier das Ende wie­der in die ei­ge­nen, treu­en, sor­gen­den Hän­de zu­rück­ge­ben zu dür­fen.«

      »Mein Herr?!«

      »Frau Baro­nin, ver­las­sen Sie sich ganz ru­hig dar­auf, Ihrem Herrn Ge­mahl ist un­ter mei­ner Füh­rung, wenn Sie das wirk­lich so nen­nen wol­len, nichts zu­ge­sto­ßen, was Ihre Be­sorg­nis­se sei­nes kör­per­li­chen Woh­les we­gen er­re­gen könn­te. Was aber sein geis­tig Teil be­trifft, so bringt er Ih­nen auch das un­ver­rin­gert und un­ver­min­dert zu­rück. Un­ter mei­ner Lei­tung hat er dies Ka­pi­tal nicht an­ge­grif­fen und wird also wohl im­mer noch von sei­nen Zin­sen le­ben kön­nen. So rede doch, sprich doch, Fer­di­n­and­le, oder noch bes­ser, küs­se dei­ner gu­ten Frau die Hand, und dann, mei­ne Herr­schaf­ten, las­sen Sie uns hei­ter und ge­ho­ben die Stel­le und die Stun­de ge­nie­ßen. Fräu­lein, wie g’­fällt es Ihne denn bei uns in Schwa­be?«

      Die Miss, wel­che mit größ­ter Auf­merk­sam­keit, so gut es ihr mög­lich war, den häk­li­gen Ver­hand­lun­gen zwi­schen Mann, Gat­tin und Haus­freund ge­folgt war, trotz­dem dass sie an­schei­nend zer­streut und mit ih­ren ei­ge­nen Ge­dan­ken be­schäf­tigt mit der Spit­ze ih­res Son­nen­schir­mes ima­gi­näre Fi­gu­ren auf den Gras­bo­den der ro­man­ti­schen Höhe ge­zeich­net hat­te, sah auf und sag­te:

      »Oh in­de­e­d, nicht übel, Sir. Und wie ge­fällt es Ih­nen selbst, Sir?«

      Das ist das Lei­den, dass wir es wahr­schein­lich kei­nem au­ßer­halb der Gren­zen des Kö­nig­reichs Würt­tem­berg Ge­bo­re­nen wer­den be­greif­lich ma­chen kön­nen, wie sehr die Ge­gen­fra­ge der eng­li­schen Miss den schwä­bi­schen Au­to­chtho­nen über­rasch­te.

      »Wie es mir sel­ber g’­fällt?« lall­te er, die schö­ne Fra­ge­stel­le­rin


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