Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


Скачать книгу
ge­stat­te­te.

      O du süße, bal­sa­mi­sche, süd­deut­sche Som­mer­nacht, hilft uns denn nie­mand da­von, ist es denn un­be­dingt nö­tig, dass wir dich ent­wei­hen müs­sen? Es scheint nicht nur so, son­dern es ist in der Tat so, und dem­ge­mäß fah­ren wir fort, zwar be­ru­higt in un­serm Ge­wis­sen, aber des­sen un­ge­ach­tet tief ge­kränkt, be­schä­digt und be­lei­digt in un­sern in­nigs­ten Ge­füh­len.

      Sie war da, die bal­sa­mi­sche, süd­deut­sche Nacht. Sie war über die Ber­ge her­auf­ge­kom­men und hat­te die Tä­ler er­füllt. Ei­gent­lich hat­te sie zu­erst die Tä­ler er­füllt und war dann erst um den Berg und über die Ber­ge her­auf­ge­kom­men; doch auf sol­che Spitz­fin­dig­kei­ten kann sich nur ein be­hag­li­cher Mensch ein­las­sen, und wir füh­len uns, un­se­rer ge­gen­wär­ti­gen Auf­ga­be ge­gen­über, durch­aus nicht be­hag­lich.

      Sie hat­te sich um den Gip­fel des al­ten hei­li­gen Kai­ser­ber­ges ge­legt, die­se wun­der­vol­le Nacht des deut­schen Sü­dens, und wer sie oben ge­dul­dig er­war­tet hat­te, der hör­te nun ob sei­nem Haup­te und um sei­ne Ohren den lei­sen Flug ih­res Ge­vö­gels und das Sur­ren und Schnur­ren ih­rer Kerb­tie­re und sah die Tal­ebe­ne sich be­de­cken mit glit­zern­den Pünkt­chen, den Lich­tern in den Woh­nun­gen der Men­schen, sei­ner Brü­der und Schwes­tern.

      Hohe Fan­ta­sie wür­de au­ßer dem Geräusch des nächt­li­chen Tier­le­bens viel­leicht noch al­ler­lei an­de­re und auf­span­nen­de­re Töne von dem ge­wei­he­ten Gip­fel aus ver­nom­men ha­ben; schon selbst der Baron von Ripp­gen, dem man im Grun­de nicht nach­sa­gen konn­te, dass er eine aus­neh­mend hohe Fan­ta­sie be­sit­ze, hör­te der­glei­chen. Chri­stoph Pech­lin, des­sen Ein­bil­dungs­kraft häu­fi­ger mit ihm durch­ging, als sei­nen bes­ten Freun­den lieb sein konn­te, hör­te in die­ser ah­nungs­vol­len Stun­de ein­mal und aus­nahms­wei­se durch­aus rich­tig und ver­fehl­te na­tür­lich nicht, sei­nen Freund auf sei­ne Beo­b­ach­tun­gen auf­merk­sam zu ma­chen.

      Was der ge­schäf­ti­ge Tag, die Lei­den­schaft des Ta­ges­lich­tes über­rauscht hat­te, das mach­te sich jetzt mehr und mehr be­merk­bar. Aus der Tie­fe drang es zu den bei­den in der Höhe em­por, und Pechle spitz­te die Ohren.

      Er spitz­te sie mehr und mehr, und dann leg­te er dem ne­ben ihm kau­ern­den Baron die Hand auf den Hut, um auch sei­nes Fer­di­n­ands Auf­merk­sam­keit mög­lichst zu er­re­gen,

      Was aber drang aus der Tie­fe em­por?

      Zu­erst ein an­hal­ten­der, krei­schen­der Jauch­zer, so­dann ein noch län­ger an­hal­ten­des Ge­joh­le. Dann lei­se, lei­se zar­te­rer Klang – hei­te­re Lie­der­lust – weh­mü­tig ele­gi­sches Aus­klin­gen der Volks­see­le in Moll! Ge­sang von Män­nern und Wei­bern, und da­zwi­schen lei­der wie­der ein höh­nisch schril­lend Ge­jo­del, alle zar­ten Ge­füh­le eben ge­nann­ter Volks­see­le zum Faust­kampf, zum Kampf mit ei­che­nen und hain­bü­che­nen Knüp­peln und aus­ge­ris­se­nen Stuhl­bei­nen, zur Wein­schop­pen und Bier­sei­del schleu­dern­den Wirts­haus­schlacht her­aus­for­dernd! Da­zwi­schen Gei­gen- und Horn­mu­sik, kurz, das Ge­tön der Hoch­zeit im Och­sen zu Ho­hen­stau­fen; – im Och­sen, nicht im Lamm! – –

      »Horch«, sag­te Pechle. »Ver­nimmst du?«

      »Ei ja«, seufz­te der Frei­herr, »dass an­de­re Leu­te ver­gnügt sein kön­nen, weiß ich schon lan­ge.«

      »Auf die Dau­er könn­test du mir im­po­nie­ren!« sag­te hier­auf Pechle. »Auf die Ant­wort muss ich mich üb­ri­gens in der Ein­sam­keit und Stil­le sam­meln, ent­schul­di­ge mich für ei­ni­ge Au­gen­bli­cke bei dir!«

      Da­mit ließ er den hocken­den Freund an sei­ner Stel­le und schritt tie­fat­mend von ihm weg. Da er ein­mal im Gan­ge war, so um­schritt er auch der Nacht zum Trotz die gan­ze Plat­te des von sei­ner frü­he­ren Herr­lich­keit so ganz und gar ent­blö­ßten Ke­gels, und als er zu sei­nem Aus­gangs­punk­te zu­rück­ge­langt war, fand er den Baron selbst­ver­ständ­lich noch am al­ten Orte und in der­sel­ben Hal­tung, näm­lich sit­zend im Nacht­tau und mit dem Kinn auf den Kni­en.

      »Hast du nichts wei­ter ver­nom­men, Ripp­gen?«

      »Nichts!«

      »Das wun­dert mich!« sprach Pechle, trat ei­ni­ge Schrit­te wei­ter an der dem Dor­fe zu­ge­wand­ten Ab­da­chung des Ber­ges hin­un­ter und leg­te hor­chend die Hand hin­ter das Ohr.

      Er hat­te nicht lan­ge zu hor­chen. Sei­ner Sin­nes­wahr­neh­mun­gen ge­wiss, tat er einen Sprung, stieß er sel­ber einen Jauch­zer aus, fass­te den Arm des Freun­des und schrie:

      »O, du – du, nun wird’s doch schön! Nun sind wir ge­bor­gen, un­ter al­len Um­stän­den ge­bor­gen, sage ich dir! Sechser­le, jetzt wird es so­gar sehr schön, ver­lass dich auf mich. Und dun­kel ist’s mitt­ler­wei­le auch ge­wor­den, so­dass nie­mand mehr im Dor­fe un­ser Er­rö­ten sieht, und jetzt ge­hen auch wir still hin­ab und den Frau­en­zim­mern nach. Wir lo­gie­ren im Lamm auf dem Tanz­bo­den, und im Och­sen ist Tanz! Fer­di­n­and­le, fürs ers­te kom­men wir noch nicht ins Bett. Hur­ra, hie gut Würt­tem­berg al­le­weg!«

      Er tat noch einen Luft­sprung, schwang den Hut und ließ einen zwei­ten Jauch­zer vom Ho­hen­stau­fen in die Nacht hin­aus­schal­len; so­dann ließ er dem Vor­schlag zur Rück­kehr ins Dorf auf der Stel­le die Aus­füh­rung fol­gen und schritt dem Freun­de vor­an bergab.

      Ängst­lich – die Aus­sicht, auf der Stät­te so großer His­to­rie al­lein zu­rück­ge­las­sen zu wer­den, durch­aus nicht er­quick­lich fin­dend, war der Baron auf­ge­sprun­gen und hat­te den Rock­schoss des Freun­des er­fasst. Er hielt ihn fest, die­sen Schoß des leich­ten Som­mer­ge­wan­des sei­nes Psy­cho­pom­pos, sei­nes See­len­füh­rers und ließ ihn nicht los, bis in das Dorf hin­ein.

      Es war fast lä­cher­lich be­trüb­lich, mit wel­chem fei­nen Tast­sinn der Gat­te Lu­ci­as jeg­li­chen Stein auf dem Wege, an wel­chem man sich sto­ßen konn­te, fand und sich an ihm stieß. Über nicht eine ein­zi­ge Une­ben­heit des Pfa­des hob ihn sein Schutz­geist schmerz­los hin­weg. Schutz­geist? O ja, Schutz­geist! Wenn die­ser Schutz­geist mit Ge­halt für sei­ne Leis­tun­gen an­ge­stellt war, so ver­dien­te er wahr­lich das Geld mit Sün­den, und es war un­ver­ant­wort­lich, wenn die himm­li­sche Vor­se­hung bei der nächs­ten Bud­get­be­rech­nung ihn nicht vom Etat strich!

      Schwerat­mend und tief­seuf­zend stol­per­te der Baron hin­ter sei­nem Füh­rer her.

      »Gro­ßer Gott«, ächz­te er, »der Weg ist mir lang er­schie­nen im Hin­auf­klet­tern; aber er muss ge­wach­sen sein, wäh­rend wir da oben mit mei­ner Frau und Miss Chri­sta­bel zu­sam­men­tra­fen und nach­her die Dun­kel­heit er­war­te­ten.«

      »Wohl mög­lich!« brumm­te Pechle.

      »Jetzt ha­ben wir die Nacht; doch ob ich sie über­le­be, das ist eine an­de­re Fra­ge.«

      »Eine Fra­ge, die du wohl schon ziem­lich häu­fig und auch bei Tage ge­stellt hast. Hal­te dich fest und ru­hig an mei­ne Ge­dich­te – Trös­ten­de Trä­nen – Pa­gi­na Hun­dert­sie­ben­und­zwan­zig.«

      »An dei­ne Ge­dich­te?«

      »Tra­ge ich sie nicht etwa hin­ten in der Rock­ta­sche?


Скачать книгу