Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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      Aber wer soll­te auf einen so tro­ckenen, un­aus­gie­bi­gen Mann wie Otto Quan­gel groß ach­ten? Er schi­en zeit sei­nes Le­bens nur ein Ar­beit­s­tier ge­we­sen zu sein, ohne ir­gend­ein an­de­res In­ter­es­se als das für die Ar­beit, die er zu ver­rich­ten hat­te. Er hat­te nie einen Freund hier be­ses­sen, nie zu je­man­dem ein freund­li­ches Wort ge­spro­chen. Ar­beit, nur Ar­beit, ganz gleich, ob Men­schen oder Ma­schi­nen, wenn sie nur ihre Ar­beit ta­ten!

      Da­bei war er nicht ein­mal un­be­liebt, trotz­dem er die Auf­sicht über die Werk­statt hat­te und zur Ar­beit an­trei­ben muss­te. Aber er schimpf­te nie, und er schwärz­te nie je­man­den bei den Her­ren vor­ne an. Schi­en ihm ir­gend­wo die Ar­beit nicht rich­tig vor­an­zu­ge­hen, so ging er dort­hin und be­sei­tig­te wort­los mit sei­nen ge­schick­ten Hän­den das Ar­beits­hin­der­nis. Oder er stell­te sich zu ein paar Schwät­zern und blieb, die dunklen Au­gen fast blick­los auf die Spre­chen­den ge­hef­tet, so lan­ge bei ih­nen ste­hen, bis ih­nen die Lust zum Wei­ter­re­den ver­gan­gen war. Stän­dig ver­brei­te­te er ein Ge­fühl von Küh­le um sich. In den kur­z­en Ru­he­pau­sen such­ten die Ar­bei­ter mög­lichst ent­fernt von ihm zu sit­zen, und so ge­noss er eine ihm ganz selbst­ver­ständ­lich ge­zoll­te Ach­tung, die ein an­de­rer mit noch so viel Re­den und An­feu­ern sich nicht ver­schafft hät­te.

      Auf der Fa­brik­lei­tung wuss­ten sie auch wohl, was sie an Otto Quan­gel hat­ten. Sei­ne Werk­statt er­ziel­te stets die höchs­ten Leis­tun­gen, es gab nie Schwie­rig­kei­ten mit den Leu­ten, und Quan­gel war wil­lig. Er wäre längst auf­ge­rückt, wenn er sich hät­te ent­schlie­ßen kön­nen, in die Par­tei ein­zu­tre­ten. Aber das lehn­te er stets ab. »Für so was habe ich kein Geld üb­rig«, sag­te er dann wohl. »Ich brauch jede Mark. Ich muss ’ne Fa­mi­lie er­näh­ren.«

      Man grins­te im Ge­hei­men über das, was man sei­nen schmut­zi­gen Geiz nann­te. Die­ser Quan­gel schi­en ja in­ner­lich über je­den Gro­schen, den er zu ei­ner Samm­lung spen­den muss­te, vor Leid zu ver­ge­hen. Er be­dach­te gar nicht, dass er durch den Ein­tritt in die Par­tei viel mehr an Ge­halts­zu­la­ge ge­wann, als er durch den Par­tei­bei­trag ver­lor. Aber die­ser tüch­ti­ge Werk­meis­ter war eben po­li­tisch ein hoff­nungs­lo­ser Idi­ot, und so hat­te man denn auch kei­ne Be­den­ken, ihn in die­ser klei­nen lei­ten­den Stel­lung zu be­las­sen, ob­wohl er kein Par­tei­mit­glied war.

      In Wahr­heit war es nicht der Geiz Otto Quan­gels, der ihn von ei­nem Ein­tritt in die Par­tei ab­hielt. Ge­wiss, er war in Geld­din­gen sehr ge­nau und konn­te sich über einen un­über­legt aus­ge­ge­be­nen Gro­schen noch wo­chen­lang hin­ter­her är­gern. Aber eben, weil er bei sich ge­nau war, war er es auch bei an­de­ren, und die­se Par­tei schi­en al­les an­de­re als ge­nau bei der Durch­füh­rung ih­rer Grund­sät­ze zu sein. Was er bei der Er­zie­hung sei­nes Soh­nes durch Schu­le und Hit­ler­ju­gend er­lebt, was er von Anna ge­hört hat­te, wie er selbst er­lebt hat­te, dass alle gut be­zahl­ten Pos­ten in der Fa­brik mit Par­t­ei­ge­nos­sen be­setzt wur­den, de­nen die tüch­tigs­ten Nicht­par­tei­ge­nos­sen stets zu wei­chen hat­ten – das al­les be­stärk­te ihn in sei­ner Über­zeu­gung, dass die Par­tei nicht ge­nau, das heißt nicht ge­recht war, und mit ei­ner sol­chen Sa­che woll­te er nichts zu tun ha­ben.

      Da­rum hat­te ihn ja auch An­nas Ruf ›Du und dein Füh­rer‹ am Mor­gen so sehr ge­kränkt. Ge­wiss, er hat­te bis­her an den ehr­li­chen Wil­len des Füh­rers, an sei­ne Grö­ße und sei­ne gu­ten Ab­sich­ten ge­glaubt. Man brauch­te nur alle die­se Schmeiß­flie­gen und Speck­jä­ger, de­nen es nur um Gelds­chef­feln und Le­be­schön ging, aus sei­ner Um­ge­bung zu ent­fer­nen, und al­les wur­de bes­ser. Aber bis es so weit war, mach­te er nicht mit, er nicht, und das wuss­te Anna, die Ein­zi­ge, mit der er wirk­lich mal ein Wort sprach, auch ganz gut. Nun schön, sie hat­te es in ih­rer ers­ten Auf­re­gung ge­sagt, er wür­de es mit der Zeit schon ver­ges­sen, er konn­te ihr nie was nach­tra­gen.

      Was es frei­lich mit dem Füh­rer und mit die­sem Krie­ge auf sich hat­te, das muss­te er sich erst noch ge­nau über­le­gen. All so et­was ging nur lang­sam bei ihm. An­de­re wa­ren von über­ra­schen­den Er­leb­nis­sen so­fort be­ein­druckt, sie re­de­ten los oder schri­en und ta­ten ir­gen­det­was, bei ihm wirk­te es lan­ge, lan­ge.

      Und wäh­rend sein Auge nun zu dem Zei­ger der Wand­uhr glei­tet und fest­stellt, dass Doll­fuß tat­säch­lich in drei Mi­nu­ten zehn Mi­nu­ten ge­schwänzt ha­ben wird, fällt ihm nicht nur die­ses has­sens­wer­te Pla­kat über Tru­dels Kopf ein, denkt er nicht nur dar­über nach, was das ei­gent­lich ge­nau ist: Lan­des- und Hoch­ver­rat und wo man so was wohl er­fährt, son­dern er denkt auch dar­an, dass er einen vom Pfört­ner ihm über­ge­be­nen Brief in der Jack­en­ta­sche trägt, durch den der Werk­meis­ter Quan­gel kurz und knapp auf­ge­for­dert wird, pünkt­lich fünf Uhr in der Be­am­ten­kan­ti­ne zu er­schei­nen.

      Nicht, dass die­ser Brief ihn ir­gend­wie auf­regt oder stört. Er hat frü­her, als die Mö­bel­her­stel­lung noch im Gan­ge war, oft auf die Fa­brik­lei­tung ge­musst, um die Her­stel­lung ei­nes Mö­bel­stückes zu be­spre­chen. Be­am­ten­kan­ti­ne ist et­was Neu­es, aber das ist ihm gleich, bis fünf Uhr sind es aber nur noch sechs Mi­nu­ten, und bis da­hin möch­te er den Tisch­ler Doll­fuß ger­ne an sei­ner Säge ha­ben. So geht er eine Mi­nu­te frü­her, als er be­ab­sich­tigt hat, los, um den Doll­fuß zu su­chen.

      Aber er fin­det ihn we­der auf den Ab­trit­ten noch auf den Gän­gen, noch in den an­lie­gen­den Werk­stät­ten, und als er in die ei­ge­ne Werk­statt zu­rück­kehrt, zeigt die Uhr eine Mi­nu­te vor fünf Uhr, und es wird höchs­te Zeit für ihn, wenn er nicht un­pünkt­lich sein will. Er klopft sich schnell den gröbs­ten Sä­ge­staub von der Ja­cke und geht dann ei­lig hin­über in das Ver­wal­tungs­ge­bäu­de, in des­sen Erd­ge­schoss sich die Be­am­ten­kan­ti­ne be­fin­det.

      Sie ist er­sicht­lich für einen Vor­trag vor­be­rei­tet, eine Red­ner­tri­bü­ne ist er­rich­tet, ein lan­ger Tisch für die Vor­sit­zen­den, und der gan­ze Saal ist mit Stuhl­rei­hen aus­ge­füllt. Er kennt das al­les von den Ver­samm­lun­gen der Ar­beits­front, an de­nen er oft hat teil­neh­men müs­sen, nur dass die­se Ver­samm­lun­gen stets drü­ben in der Werk­kan­ti­ne statt­fan­den. Der ein­zi­ge Un­ter­schied ist der, dass dort rohe Holz­bän­ke stan­den statt der Rohr­stüh­le hier, und dann sa­ßen die meis­ten dort wie er in Ar­beits­kluft, wäh­rend es hier mehr brau­ne und auch graue Uni­for­men gibt, die Be­am­ten in Zi­vil ver­schwin­den da­zwi­schen.

      Quan­gel hat sich auf einen Stuhl ganz nahe an der Tür ge­setzt, um beim Schluss der Rede mög­lichst rasch wie­der in sei­ne Werk­statt zu kom­men. Der Saal ist schon ziem­lich ge­füllt, als Quan­gel ge­kom­men


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