Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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      Quan­gels Kopf fällt in den Korb.

      Ei­nen Au­gen­blick lag er ganz still, als sei die­ser kopf­lo­se Kör­per ver­blüfft über den Streich, den man ihm da ge­spielt. Dann bäum­te der Leib sich auf, er wand sich zwi­schen Rie­men und Stahl­bü­geln, die Ge­hil­fen des Scharf­rich­ters war­fen sich auf ihn und ver­such­ten, ihn nie­der­zu­drücken.

      Die Ve­nen in den Hän­den des To­ten wur­den dick und di­cker, und dann fiel al­les zu­sam­men. Man hör­te nur das Blut, das zi­schen­de, rau­schen­de, dumpf nie­der­fal­len­de Blut.

      Drei Mi­nu­ten nach dem Fall des Beils ver­kün­de­te der blei­che Arzt mit et­was zit­tern­der Stim­me den Tod des Hin­ge­rich­te­ten.

      Sie räum­ten den Ka­da­ver fort.

      Otto Quan­gel war nicht mehr.

      72. Anna Quangels Wiedersehen

      Die Mo­na­te ka­men, und die Mo­na­te gin­gen, die Jah­res­zei­ten wech­sel­ten, und Frau Anna Quan­gel saß noch im­mer in ih­rer Zel­le und war­te­te auf das Wie­der­se­hen mit Otto Quan­gel.

      Manch­mal sag­te die Auf­se­he­rin, de­ren Lieb­ling Frau Anna jetzt war, zu ihr: »Ich glau­be, Frau Quan­gel, die ha­ben Sie ganz ver­ges­sen.«

      »Ja«, ant­wor­te­te die Ge­fan­ge­ne 76 freund­lich. »Es scheint bei­na­he so. Mich und mei­nen Mann. Wie geht es Otto?«

      »Gut!«, ant­wor­te­te die Auf­se­he­rin rasch. »Er lässt auch grü­ßen.«

      Sie wa­ren sich alle ei­nig ge­wor­den, die gute, im­mer flei­ßi­ge Frau den Tod des Man­nes nicht er­fah­ren zu las­sen. Sie be­stell­ten ihr re­gel­mä­ßig Grü­ße.

      Und die­ses Mal mein­te es der Him­mel gnä­dig mit Frau Anna: kein mü­ßi­ges Ge­schwätz, kein pflicht­be­wus­s­ter Pas­tor zer­stör­ten ihr den Glau­ben an das Le­ben Otto Quan­gels.

      Fast den gan­zen Tag saß sie an ih­rer klei­nen Hand­strick­ma­schi­ne und strick­te St­rümp­fe, St­rümp­fe für die Sol­da­ten drau­ßen, strick­te tag­aus, tagein.

      Manch­mal sang sie lei­se da­bei. Sie war jetzt fest da­von über­zeugt, dass Otto und sie sich nicht nur wie­der­se­hen, nein, dass sie auch lan­ge mit­ein­an­der noch le­ben wür­den. Ent­we­der wa­ren sie wirk­lich ver­ges­sen, oder man hat­te sie im Ge­hei­men be­gna­digt. Es konn­te nicht mehr lan­ge dau­ern, und sie wa­ren frei.

      Denn so we­nig die Auf­se­he­rin­nen da­von auch spra­chen, das hat­te Anna Quan­gel doch ge­merkt: es stand schlecht drau­ßen mit dem Krieg, und die Nach­rich­ten wur­den von Wo­che zu Wo­che schlech­ter. Sie merk­te es auch an dem sich rasch wei­ter ver­schlech­tern­den Es­sen, an dem oft feh­len­den Ar­beits­ma­te­ri­al, durch den zer­bro­che­nen Teil ih­rer Strick­ma­schi­ne, des­sen Er­satz wo­chen­lang dau­er­te, dass al­les im­mer knap­per wur­de. Aber wenn es schlecht mit dem Krie­ge stand, so stand es gut für die Quan­gels. Bald wa­ren sie frei.

      So sitzt sie und strickt. Sie strickt ihre Träu­me, Hoff­nun­gen, die sich nie er­fül­len wer­den, Wün­sche, die sie frü­her nie ge­habt, in die St­rümp­fe. Sie malt sich einen ganz an­de­ren Otto aus, als der ist, an des­sen Sei­te sie ge­lebt hat, einen hei­te­ren, ver­gnüg­ten, zärt­li­chen Otto. Sie ist fast zu ei­nem jun­gen Mäd­chen ge­wor­den, dem das gan­ze Le­ben noch früh­lings­froh winkt. Träumt sie nicht manch­mal so­gar da­von, noch Kin­der zu ha­ben? Ach, Kin­der …!

      Seit Anna Quan­gel das Zy­an­ka­li ver­nich­te­te, als sie be­schlos­sen hat­te, nach schwers­tem Kampf, aus­zu­hal­ten bis zum Wie­der­se­hen mit Otto, es möge ihr ge­sche­hen, was wol­le – seit­dem ist sie frei und jung und fröh­lich ge­wor­den. Sie hat sich selbst über­wun­den.

      Und nun ist sie frei. Furcht­los und frei.

      Sie ist es auch in den im­mer schwe­re­ren Näch­ten, die der Krieg jetzt über die Stadt Ber­lin ge­bracht hat, wenn die Si­re­nen heu­len, die Flie­ger in stets dich­teren Schwär­men über der Stadt zie­hen, die Bom­ben fal­len, die Mi­nen zer­rei­ßend schrei­en und Feu­ers­brüns­te über­all auf­glü­hen.

      Auch in sol­chen Näch­ten blei­ben die Ge­fan­ge­nen in ih­ren Zel­len. Man wagt nicht, sie in Schutz­räu­me zu füh­ren, aus Furcht vor Meu­te­rei. Sie schrei­en in ih­ren Zel­len, sie to­ben, sie bit­ten und fle­hen, wer­den wahn­sin­nig vor Angst, aber die Gän­ge sind leer, kei­ne Wa­che steht noch dort, kei­ne er­bar­men­de Hand schließt die Zel­len­tü­ren auf, das Wacht­per­so­nal sitzt in den Luft­schutz­räu­men.

      Anna Quan­gel ist ohne Furcht. Ihre klei­ne Rund­ma­schi­ne ti­ckert und tu­ckert, reiht Ma­schen­kreis an Ma­schen­kreis. Sie be­nutzt die­se Stun­den, in de­nen sie doch nicht schla­fen kann, zum Stri­cken. Und beim Stri­cken träumt sie. Sie träumt von dem Wie­der­se­hen mit Otto, und in einen sol­chen Traum bricht oh­ren­zer­rei­ßend die Mine ein, die die­sen Teil des Ge­fäng­nis­ses in Schutt und Asche legt.

      Frau Anna Quan­gel hat kei­ne Zeit mehr ge­habt, aus ih­rem Wie­der­se­hens­traum mit Otto auf­zu­wa­chen. Sie ist schon bei ihm. Sie ist je­den­falls dort, wo auch er ist. Wo im­mer das nun auch sein mag.

      73. Der Junge

      Aber nicht mit dem Tode wol­len wir die­ses Buch be­schlie­ßen, es ist dem Le­ben ge­weiht, dem un­be­zwing­li­chen, im­mer von Neu­em über Schmach und Trä­nen, über Elend und Tod tri­um­phie­ren­den Le­ben.

      Es ist Som­mer, es ist der Früh­som­mer des Jah­res 1946.

      Ein Jun­ge, ein jun­ger Mann fast schon, kommt über den Hof ei­ner mär­ki­schen Sied­lung ge­gan­gen.

      Eine äl­te­re Frau be­geg­net ihm. »Na, Kuno«, fragt sie. »Was gib­t’s heu­te?«

      »Ich will in die Stadt«, ant­wor­tet der Jun­ge. »Ich soll un­sern neu­en Pflug ab­ho­len.«

      »Na«, sagt sie, »ich schrei­be dir noch auf, was du mir mit­brin­gen kannst – wenn du’s kriegst!«

      »Wenn’s nur da ist, dann krie­ge ich es auch schon, Mut­ter!«, ruft er la­chend. »Das weißt du doch!«

      Sie se­hen sich la­chend an. Dann geht sie ins Häu­schen zu ih­rem Mann, dem al­ten Leh­rer, der längst das Pen­si­ons­al­ter hat und der noch im­mer sei­ne Kin­der lehrt – wie der Jüngs­te.

      Der Jun­ge zieht das Pferd Toni, ih­rer al­ler Stolz, aus dem Schup­pen.

      Eine hal­be Stun­de spä­ter ist Kuno-Die­ter Bark­hau­sen auf dem Wege zur Stadt. Aber er heißt nicht mehr Bark­hau­sen, rech­tens und mit al­len For­ma­li­tä­ten ist er von den Ehe­leu­ten Kien­schä­per ad­op­tiert, da­mals, als es klar wur­de, dass we­der Karl noch Max Klu­ge aus dem Krie­ge heim­keh­ren wür­den. Üb­ri­gens ist auch der Die­ter bei die­ser Ge­le­gen­heit aus­ge­merzt: Kuno Kien­schä­per klingt aus­ge­zeich­net und ist völ­lig ge­nug.

      Kuno pfeift ver­gnügt vor sich hin, wäh­rend der Brau­ne Toni lang­sam in der Son­ne den aus­ge­fah­re­nen Feld­weg ent­lang­zu­ckelt. Soll er sich Zeit las­sen, der Toni, zum Mit­tag sind sie im­mer wie­der zu­rück.

      Kuno sieht auf die Fel­der rechts und links, prü­fend, fach­män­nisch be­ur­teilt er den Saa­ten­stand. Er hat viel ge­lernt hier auf dem Lan­de, und er hat – gott­lob! – fast eben­so viel ver­ges­sen. Der Hin­ter­hof mit der Frau Otti, nein, an den denkt


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