Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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den sie we­gen stän­di­gen Que­ru­lan­ten­tums mit uns ein­ge­sperrt hat­ten, ge­müt­lich eine ge­bra­te­ne Ente in un­se­rer Ge­gen­wart ver­zehr­te, Kno­chen für Kno­chen ab­nag­te. Er trief­te von Fett, wir aber sa­ßen da­bei, und un­se­re Au­gen wur­den im­mer grö­ßer, das Was­ser lief uns im Mun­de zu­sam­men und schließ­lich aus ihm her­un­ter, un­se­re Hän­de zit­ter­ten, und nur Gier und Neid er­füll­ten un­se­re Her­zen.

      Ich habe es nie ver­stan­den, warum man so et­was zuließ. Wenn man we­nigs­tens die­se Be­vor­zug­ten ihr Son­der­es­sen in al­ler Heim­lich­keit hät­te ver­til­gen las­sen, aber nein, vor un­se­ren Au­gen muss­te es ge­sche­hen! Frei­lich, es gab ja kei­ner­lei Heim­lich­keit auf die­ser Sta­ti­on, in die­sem Hau­se, alle la­gen zu sechs, acht Mann in ih­ren Zel­len, nichts, wo­hin man sich zu­rück­zie­hen konn­te, nicht ein­mal die Klos hat­ten Rie­gel, im­mer riss ei­ner die Tür auf, man saß eben erst auf der Bril­le.

      Aus all­dem aber, aus dem stän­di­gen Hun­ger­ge­fühl und dem Hass ge­gen die die­bi­schen Kal­fak­to­ren und aus dem Neid ge­gen die Pras­ser ent­stan­den jene nie en­den­den Ge­reizt­hei­ten, Strei­te­rei­en, Schlä­ge­rei­en, Be­stra­fun­gen. Nie war auch nur einen ein­zi­gen Tag Ruhe im Bau, im­mer war ir­gen­det­was los. Man hör­te schon gar nicht mehr hin, wenn zwei sich in der un­flä­tigs­ten Wei­se be­schimpf­ten. Man ging fort, wenn sie sich die Au­gen blau und die Na­sen blu­tig schlu­gen. Man war froh, wenn man nicht selbst noch hin­ein­ge­zo­gen wur­de. Man muss­te auf je­des Wort ach­ten, was man sag­te, es wur­de so­fort wei­ter­ge­tra­gen, so­fort kehr­te es sich ge­gen sei­nen Spre­cher.

      Ich für mei­ne Per­son muss ge­ste­hen, dass ich an­fäng­lich nicht nur mit Neid auf die Pa­ket­fres­ser sah. Ich hat­te es ja so ein­fach: Ich brauch­te nur einen Brief an Mag­da zu schrei­ben, und ich ge­hör­te auch zu die­sen Be­sit­zen­den. So wür­de Mag­da doch nicht sein, dass sie ih­ren ei­ge­nen an­ge­trau­ten Mann hun­gern ließ! Eine Wo­che lang kämpf­te ich mit mir, dann sieg­te der Hun­ger, und ich ent­schloss mich zu dem Brief.

      Ich hat­te we­der Schreib­pa­pier noch einen Um­schlag, und ge­lie­fert wur­de ei­nem von der An­stalt gar nichts; aber ich spar­te mir eine Schei­be Brot ab und be­kam da­für, was mir not­tat. Ich schrieb den Brief, und von da an war­te­te ich. Ich mal­te mir abends im Bett aus, was al­les in dem Pa­ket sein wür­de; wenn ich an eine dick mit fet­ter Le­ber­wurst be­stri­che­ne Schei­be Brot dach­te, wur­de mir bei­na­he übel vor Hun­ger und Wol­lust.

      Ich hat­te mir den frü­he­s­ten Tag aus­ge­rech­net, an dem das Pa­ket hier sein konn­te; aber der Tag ver­strich und man­cher Tag nach ihm, und das Pa­ket kam nicht. Dann er­fuhr ich, dass der Brief erst durch die Zen­sur des Me­di­zi­nal­ra­tes ge­hen muss­te, dann auf das Büro der Ver­wal­tung zum Fran­kie­ren ging und dass man die Brie­fe dort nicht etwa so­fort, son­dern nur ge­le­gent­lich, wenn man meh­re­re zu­sam­men­hat­te, ab­schick­te.

      »Die ha­ben die Ruhe weg«, sag­ten die Ge­fan­ge­nen. »Glaubst du, die lau­fen, wenn du was möch­test? Die set­zen sich dann ge­ra­de erst recht fest auf ih­ren Arsch!«

      So war­te­te ich wei­ter und hoff­te wei­ter.

      Dann sag­te der Ober­pfle­ger ei­nes Ta­ges bei­läu­fig zu mir: »Auf dem Büro liegt ein Brief von Ih­nen, Som­mer. Die las­sen Ih­nen sa­gen, der kann nicht ab­ge­hen, Sie ha­ben kein Geld gut für Por­to.«

      »Wie?«, rief ich. »We­gen zwölf Pfen­nig Por­to kann mein Brief nicht ab­ge­hen? Und ich habe aus dem Un­ter­su­chungs­ge­fäng­nis vier­tau­send Mark an mei­ne Frau zu­rück­ge­schickt!«

      »Da hät­ten Sie sich eben ein paar Mark zu­rück­be­hal­ten sol­len«, sag­te der Ober­pfle­ger und woll­te wei­ter­ge­hen.

      »Aber, Herr Ober­pfle­ger!«, rief ich. »Das geht doch nicht. We­gen zwölf Pfen­ni­gen! Die kön­nen doch an­ru­fen bei mei­ner Frau, und die wird be­stä­ti­gen …«

      »Ein Te­le­fon­ge­spräch kos­tet auch zehn Pfen­nig, die Sie nicht ha­ben, Som­mer!«, sag­te der Ober­pfle­ger kühl. »Be­ru­hi­gen Sie sich nur, der Brief wird schon ab­ge­hen, nächs­ten Mo­nat, wenn Ih­nen Ihre ers­te Ar­beits­be­loh­nung gut­ge­schrie­ben ist!«

      Ich habe kei­ne Ah­nung, ob der Brief an Mag­da schließ­lich wirk­lich ab­ge­gan­gen ist oder ob er in der Zwi­schen­zeit ver­lo­ren ging. Ein Fress­pa­ket habe ich je­den­falls nie be­kom­men, ich blieb im­mer un­ter den hung­ri­gen, gie­ri­gen Nei­dern. Denn als ich wirk­lich eine Ar­beits­be­loh­nung gut­hat­te, war ich längst viel zu mut­los ge­wor­den, noch ein­mal an Mag­da zu schrei­ben. Ich war dar­an ver­zwei­felt, dass ir­gend­ein Mensch es noch gut mit mir mein­te.

      40

      Ich bin den Er­eig­nis­sen weit vor­aus­ge­eilt. Noch ste­he ich am ers­ten Tage mei­nes An­stalts­auf­ent­hal­tes, habe mei­ne Pell­kar­tof­feln noch ganz vor­nehm ohne Scha­len in mich hin­ein­ge­ges­sen und bin nun tod­mü­de nach der durch­wach­ten Nacht. Ich wen­de mich an den Ober­pfle­ger und bit­te ihn, mich eine Stun­de auf mein Bett le­gen zu dür­fen, ich hät­te die gan­ze Nacht nicht schla­fen kön­nen.

      »Das ist ver­bo­ten!«, sagt der Ober­pfle­ger streng. Dann aber mil­der: »Also le­gen Sie sich hin. Aber zie­hen Sie sich aus und le­gen sich rich­tig ins Bett.«

      Ich tue es, und kaum lie­ge ich, habe die Au­gen ge­schlos­sen, so er­klingt schon die ver­hass­te gel­len­de Stim­me. »Willst du Schwein wohl ma­chen, dass du so­fort aus dem Bett kommst! Das möch­test du Speck­jä­ger, nichts tun, wenn wir für dich ar­bei­ten müs­sen. Marsch, raus aus der Fal­le!«

      Er hat­te mich auf­ge­stö­bert, der im­mer wa­che Spür­hund. Aber ich bin jetzt auch wü­tend, mein Hass gibt mir die Kraft zum Pro­test. »Hältst du so­fort das Maul!«, schreie ich wü­tend. »Du bist wohl mehr als der Ober­pfle­ger? Der hat’s mir er­laubt, und du Schwein …«

      »Hat er’s dir er­laubt, hat er’s dir wirk­lich er­laubt?« gei­fert er grin­send und ent­blö­ßt sei­ne ver­färb­ten Hau­er. »Na, du musst ja was mäch­tig Fei­nes sein, dass der Ober­pfle­ger sol­che Aus­nah­men für dich macht! Nim­m’s nicht übel, Kum­pel, ich bin hier, da­mit Ord­nung ist auf der Sta­ti­on, sonst scheißt mich der Ober­pfle­ger an!« Da­mit ver­schwin­det er, und ich lege mich zu­rück, ganz zu­frie­den, dass ich end­lich ihn ein­mal her­ein­ge­legt habe.

      Ich bin wirk­lich ein­ge­schla­fen, aber nur für we­ni­ge Mi­nu­ten, dann weck­te mich et­was. Es war wohl kein Geräusch, das mich weck­te, son­dern eher ein In­stinkt, der mich Ge­fahr wit­tern ließ: Ich bil­de­te in die­sem Haus den In­stinkt ei­nes ge­jag­ten Wil­des aus.

      Ich lie­ge auf der Sei­te und sehe ge­ra­de auf den Sche­mel vor mei­nem Bett, auf den ich mei­ne Klei­der ge­legt habe. Ich blin­ze­le und sehe et­was Wei­ßes, das sich mit die­sen Klei­dern zu schaf­fen macht. Es ist schon wie­der der Lexer, ganz be­hut­sam, un­end­lich lei­se nimmt er ein Klei­dungs­stück von mir nach dem an­de­ren zur Hand, fährt in die Ta­schen, fühlt die Näh­te ab …

      Mein ers­ter Im­puls ist, auf­zu­sprin­gen und mich auf die­sen Teu­fel zu stür­zen, die­sen nim­mer ru­hen­den Quäl­geist. Aber ich be­sin­ne mich, ich blei­be ru­hig lie­gen, ich be­ob­ach­te sein Tun. Lass ihn su­chen! Ich grin­se. Ich habe nicht das All­er­ge­rings­te in den Ta­schen, was sei­ne Be­gehr­lich­keit rei­zen könn­te. Nicht das All­er­ge­rings­te? Mir stockt das


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