Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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vom Tode mei­nes Otto. Das hat mich ir­gend­wie um­ge­wor­fen. Ich habe ihm ge­sagt, dass ich in ei­ner kom­mu­nis­ti­schen Zel­le ar­bei­te.«

      »Na­men ge­nannt?« Nie­mand hät­te ge­ahnt, dass der harm­lo­se Säug­ling so scharf fra­gen könn­te.

      »Na­tür­lich nicht. Ich habe über­haupt nichts wei­ter ge­sagt. Und mein Schwie­ger­va­ter ist ein al­ter Ar­bei­ter, der wird nie ein Wort sa­gen.«

      »Dein Schwie­ger­va­ter ist ein an­de­res Ka­pi­tel, du bist das ers­te! Du sagst, du hast kei­ne Na­men ge­nannt …«

      »Und du wirst mir das glau­ben, Gri­go­leit! Ich lüge nicht. Ich habe frei­wil­lig ge­stan­den.«

      »Sie ha­ben eben schon wie­der einen Na­men ge­nannt, Fräu­lein Bau­mann!«

      Der Säug­ling sag­te: »Aber seht ihr denn nicht ein, dass es ganz egal ist, ob sie jetzt Na­men ge­nannt hat oder nicht? Sie hat ge­sagt, dass sie in ei­ner Zel­le ar­bei­tet, sie hat ein­mal ge­schnat­tert, sie wird wie­der schnat­tern. Le­gen die be­wuss­ten Her­ren ihre Hand auf sie, quä­len sie ein biss­chen, so wird sie re­den, gleich­gül­tig, wie viel sie bis­her ver­ra­ten hat.«

      »Ich wer­de nie zu de­nen re­den, und wenn ich ster­ben müss­te!«, rief Tru­del mit flam­men­den Wan­gen.

      »Oh!«, sag­te der Hochstir­ni­ge, »Ster­ben ist sehr ein­fach, Fräu­lein Bau­mann, aber manch­mal kom­men vor dem Ster­ben noch recht un­an­ge­neh­me Din­ge!«

      »Ihr seid un­barm­her­zig«, sag­te das jun­ge Mäd­chen. »Ich habe einen Feh­ler be­gan­gen, aber …«

      »Ich fin­de auch«, ließ sich der auf dem Sofa ne­ben ihr ver­neh­men. »Wir wer­den uns Ihren Schwie­ger­va­ter an­se­hen, und wenn er ver­läss­lich ist …«

      »Un­ter den Hän­den von de­nen gib­t’s kei­ne Ver­läss­lich­keit«, sag­te Gri­go­leit.

      »Tru­del«, sag­te der Säug­ling sanft lä­chelnd, »Tru­del, du sag­test eben, du hät­test noch kei­ne Na­men ge­nannt?«

      »Ich habe es auch nicht ge­tan!«

      »Und du hast be­haup­tet, du wä­rest zum Ster­ben be­reit, ehe du so was tä­test?«

      »Ja! Ja! Ja!«, rief sie lei­den­schaft­lich.

      »Nun«, sag­te der Säug­ling und lä­chel­te ge­win­nend, »nun, Tru­del, wie wäre es, wenn du heu­te Abend noch stür­best, ehe du wei­ter­ge­plap­pert hast? Das wür­de uns eine ge­wis­se Si­cher­heit ge­ben und eine Mas­se Ar­beit er­spa­ren …«

      Eine To­ten­stil­le ent­stand zwi­schen den vie­ren. Das Ge­sicht des Mäd­chens war kal­kig weiß. Ihr Ka­va­lier sag­te ein­mal »Nein« und leg­te sei­ne Hand leicht auf die ihre. Aber er nahm sie gleich wie­der fort.

      Dann ka­men die Tan­zen­den zu­rück an ihre Ti­sche und mach­ten für den Au­gen­blick eine Fort­set­zung die­ser Un­ter­hal­tung un­mög­lich.

      Der mit der ho­hen Stirn brann­te sich wie­der eine Zi­ga­ret­te an, der Säug­ling lä­chel­te un­merk­lich, als er sah, wie dem an­de­ren die Hand zit­ter­te. Dann sag­te er zu dem Dunklen ne­ben dem schwei­gen­den, blei­chen Mäd­chen: »Sie sa­gen nein. Aber warum ei­gent­lich? Es ist eine fast be­frie­di­gen­de Lö­sung der Auf­ga­be und eine Lö­sung, die, so­viel ich ver­stan­den habe, von Ih­rer Nach­ba­rin selbst vor­ge­schla­gen wur­de.«

      »Die Lö­sung ist un­be­frie­di­gend«, sag­te der Dunkle lang­sam. »Es wird schon zu viel ge­stor­ben. Wir sind nicht da­für da, dass die Zahl der To­ten sich er­höht.«

      »Ich hof­fe«, sag­te der Hochstir­ni­ge, »Sie den­ken an die­sen Satz, wenn der Volks­ge­richts­hof Sie und mich und die­se da …«

      »Still!«, sag­te der Säug­ling. »Ge­hen Sie doch einen Au­gen­blick tan­zen. Das scheint ein sehr net­ter Tanz. Sie kön­nen sich un­ter­des be­spre­chen, und wir bei­de be­spre­chen uns hier …«

      Wi­der­stre­bend war der jun­ge Dunkle auf­ge­stan­den und hat­te sei­ner Dame eine leich­te Ver­beu­gung ge­macht. Wi­der­stre­bend hat­te sie die Hand auf sei­nen Arm ge­legt, bleich gin­gen sie bei­de im Strom der an­de­ren zur Tanz­flä­che. Sie tanz­ten ernst, schwei­gend, ihm war es, als tan­ze er mit ei­ner To­ten. Ihn schau­der­te es. Die Uni­for­men um ihn, die Ha­ken­kreuz­bin­den, die blut­ro­ten Fah­nen an den Wän­den mit dem ver­hass­ten Zei­chen, das mit Grün ge­schmück­te Führ­er­bild, die rhyth­mi­schen Geräusche des Swings: »Du wirst es nicht tun, Tru­del«, sag­te er. »Er ist wahn­sin­nig, so et­was zu ver­lan­gen. Ver­sprich mir …«

      Sie be­weg­ten sich fast auf der Stel­le in dem im­mer dich­ter wer­den­den Ge­wühl. Vi­el­leicht, weil sie in stän­di­ger Berüh­rung mit an­de­ren Paa­ren wa­ren, viel­leicht sprach sie dar­um nicht.

      »Tru­del!«, bat er noch ein­mal. »Ver­sprich es mir! Du kannst ja in einen an­de­ren Be­trieb ge­hen, dort ar­bei­ten, da­mit du de­nen aus den Au­gen bist. Ver­sprich mir …«

      Er ver­such­te sie dazu zu brin­gen, dass sie ihn an­sah, aber ihre Au­gen sa­hen hart­nä­ckig über sei­ne Schul­ter fort.

      »Du bist die Bes­te von uns«, sag­te er plötz­lich. »Du bist die Men­sch­lich­keit, er ist bloß das Dog­ma. Du musst wei­ter­le­ben, gib ihm nicht nach!«

      Sie schüt­tel­te den Kopf, moch­te es nun ein Ja oder ein Nein be­deu­ten. »Ich möch­te zu­rück«, sag­te sie. »Ich mag nicht mehr tan­zen.«

      »Tru­del«, sag­te Karl Her­ge­sell has­tig, als sie sich aus den Tan­zen­den ge­löst hat­ten, »dein Otto ist erst ges­tern ge­stor­ben, erst ges­tern hast du die Nach­richt be­kom­men. Es ist zu früh. Aber du weißt es ja auch so, ich habe dich im­mer ge­liebt. Ich habe nie et­was von dir er­war­tet, aber nun er­war­te ich, dass du we­nigs­tens lebst. Nicht für mich, nein, dass du lebst!«

      Aber wie­der be­weg­te sie nur den Kopf, wie­der blieb es un­ge­wiss, was sie zu sei­ner Lie­be, was sie zu sei­nem Wun­sche, sie am Le­ben zu se­hen, mein­te. Sie wa­ren am Tisch der an­de­ren an­ge­langt. »Nun?«, frag­te Gri­go­leit mit der ho­hen Stir­ne. »Wie tanzt es sich? Ein biss­chen voll, wie?«

      Das Mäd­chen hat­te sich nicht wie­der ge­setzt. Es sag­te: »Ich gehe dann jetzt. Macht’s gut. Ich hät­te ger­ne mit euch ge­ar­bei­tet …«

      Sie wand­te sich zum Ge­hen.

      Jetzt aber war die­ser di­cke, harm­lo­se Säug­ling der Ers­te hin­ter ihr, er fass­te sie am Hand­ge­lenk, er sag­te: »Ei­nen Au­gen­blick noch, bit­te!« Er sag­te es voll­kom­men höf­lich, aber sein Blick droh­te.

      Sie kehr­ten an den Tisch zu­rück. Sie setz­ten sich wie­der. Der Säug­ling frag­te: »Ich ver­ste­he doch recht, Tru­del, was dein Ab­schied eben be­deu­te­te?«

      »Du hast voll­kom­men recht ver­stan­den«, sag­te das Mäd­chen und sah ihn mit har­ten Au­gen an.

      »So bit­te ich dich, dass du mir er­laubst, dich für den Rest des Abends zu be­glei­ten.«

      Sie mach­te eine Be­we­gung ent­setz­ter Ab­wehr.

      Er sag­te sehr höf­lich: »Ich will mich nicht auf­drän­gen, aber ich gebe zu be­den­ken, dass bei der Aus­füh­rung ei­nes sol­chen Vor­ha­bens wie­der­um Feh­ler be­gan­gen wer­den kön­nen.« Er flüs­ter­te dro­hend: »Es liegt


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