Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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müde sein. Und wenn du vor Er­schöp­fung um­fällst, so wer­den sie dich mit Fuß­trit­ten und Peit­schen­hie­ben hoch­ja­gen, und sie wer­den dir Salz­was­ser zu trin­ken ge­ben, und wenn das al­les nichts mehr hilft, wer­den sie dir je­den Ge­lenk­kno­chen an den Fin­gern ein­zeln aus­dre­hen. Sie wer­den Säu­re auf dei­ne Füße gie­ßen …«

      »Hö­ren Sie auf, ach, bit­te, hö­ren Sie doch auf, ich kann das nicht an­hö­ren …«

      »Du wirst es nicht nur an­hö­ren, du wirst es aus­hal­ten müs­sen, Klu­ge, einen Tag, zwei, drei, fünf Tage – im­mer, Tag und Nacht, und da­bei wer­den sie dich hun­gern las­sen, dass dein Ma­gen zu­sam­men­schrumpft wie eine Boh­ne, dass du vor Schmer­zen in­nen und au­ßen um­zu­kom­men meinst. Aber du wirst nicht um­kom­men; so leicht las­sen die einen, den sie mal in ih­ren Fän­gen ha­ben, nicht los. Son­dern sie wer­den dich …«

      »Nein, nein, nein«, schrie der klei­ne Enno und hielt sich die Ohren zu. »Ich will nichts mehr hö­ren! Kein Wort mehr! Dann lie­ber gleich tot!«

      »Ja, das den­ke ich auch«, be­stä­tig­te der Kom­missar. »Dann lie­ber gleich tot!«

      Eine Zeit lang herrsch­te tiefs­tes Schwei­gen zwi­schen bei­den.

      Dann sag­te der klei­ne Enno Klu­ge plötz­lich zu­sam­men­schau­ernd: »Aber ins Was­ser gehe ich nicht …«

      »Nein, nein«, sag­te der Kom­missar gü­tig zu­re­dend. »Das sol­len Sie auch nicht, Klu­ge. Se­hen Sie, ich habe Ih­nen hier was an­de­res mit­ge­bracht, se­hen Sie nur, so ’ne hüb­sche klei­ne Pis­to­le. Die brau­chen Sie nur ge­gen die Stirn zu drücken, ha­ben Sie kei­ne Angst, ich wer­de Ih­nen die Hand hal­ten, dass sie nicht zit­tert, und dann ma­chen Sie den Fin­ger nur ein klein biss­chen krumm … Sie wer­den kei­nen Schmerz spü­ren, plötz­lich sind Sie weg von all die­sen Quä­le­rei­en und Ver­fol­gun­gen und ha­ben end­lich mal Ruhe und Frie­den …«

      »Und die Frei­heit«, sag­te der klei­ne Enno Klu­ge nach­denk­lich. »Das ist ge­nau­so, Herr Kom­missar, wie Sie mich da­mals mit dem Pro­to­koll über­re­det ha­ben, auch da­mals ha­ben Sie mir die Frei­heit ver­spro­chen. Ob’s dies­mal wahr sein wird? Was meinst du?«

      »Aber na­tür­lich, Klu­ge. Das ist die ein­zi­ge wirk­li­che Frei­heit, die für uns Men­schen in Fra­ge kommt. Da kann ich dich nicht wie­der ein­fan­gen und von neu­em ängs­ti­gen und quä­len. Kei­ner kann das mehr. Du wirst uns alle aus­la­chen …«

      »Und was wird hin­ter­her kom­men, hin­ter der Ruhe und Frei­heit? Wird’s da noch was ge­ben, hin­ter­her? Was glaubst du?«

      »Ich glaub nicht, dass noch was hin­ter­her­kommt, kein Straf­ge­richt und kei­ne Höl­le. Nur Ruhe und Frei­heit wird’s da ge­ben.«

      »Und wozu hab ich denn ge­lebt? Wa­rum habe ich dann hier so viel aus­hal­ten müs­sen? Ich hab doch nichts ge­tan, kei­nem Men­schen habe ich zur Freu­de ge­lebt, nie habe ich je­man­den wirk­lich gern ge­habt.«

      »Tja«, mein­te der Kom­missar, »ein großer Held bist du nicht ge­we­sen, Klu­ge. Und ir­gend­wie nütz­lich hast du dich wohl auch nicht ge­macht. Aber warum willst du jetzt dar­über nach­den­ken? Jetzt ist es un­ter al­len Um­stän­den zu spät, ob du das nun tust, was ich dir vor­schla­ge, oder ob du mit mir zur Ge­sta­po gehst. Ich sage dir, Klu­ge, in der ers­ten hal­b­en Stun­de schon wirst du auf den Kni­en um eine Ku­gel bet­teln. Aber es wird vie­le, vie­le hal­be Stun­den dau­ern, bis sie dich aus dei­nem Le­ben zum Tode ge­quält ha­ben …«

      »Nein, nein«, sag­te Enno Klu­ge. »Zu de­nen gehe ich nicht. Gib mir mal die Pis­to­le in die Hand – ist es so rich­tig, wie ich sie hal­te?«

      »Ja …«

      »Und wo soll ich sie an­set­zen? Da an die Schlä­fe?«

      »Ja …«

      »Und nun den Fin­ger hier an den Hahn le­gen. Ich will’s vor­sich­tig tun, jetzt will ich noch nicht … Ich möch­te noch ein biss­chen mit dir re­den …«

      »Du brauchst kei­ne Angst zu ha­ben, die Pis­to­le ist noch ge­si­chert …«

      »Weißt du auch, Esche­rich, dass du der letz­te Mensch bist, mit dem ich spre­che? Da­nach wird’s nur noch Ruhe ge­ben, nie wie­der wer­de ich mit ei­nem Men­schen spre­chen kön­nen.«

      Er schau­der­te zu­sam­men.

      »Als ich eben die Pis­to­le an die Schlä­fe ge­setzt habe, ging so eine Käl­te von ihr aus. So ei­sig müs­sen die Ruhe und die Frei­heit sein, die mich nach­her er­war­ten.«

      Er beug­te sich nahe zum Kom­missar und flüs­ter­te: »Willst du mir eins fest ver­spre­chen, Esche­rich?«

      »Ja. Was ist denn?«

      »Aber du musst dein Ver­spre­chen auch hal­ten!«

      »Das tu ich schon, wenn ich’s kann.«

      »Lass mich nicht ins Was­ser rut­schen, wenn ich tot bin, ver­sprich mir das. Vor dem Was­ser habe ich Angst. Lass mich hier oben lie­gen, auf dem tro­ckenen Steg.«

      »Na­tür­lich. Das ver­spre­che ich dir!«

      »Schön, gib mir die Hand dar­auf, Esche­rich.«

      »Hier!«

      »Und du wirst mich nicht be­trü­gen, Esche­rich? Siehst du, ich bin nur ein klei­nes, elen­des Aas, es macht nicht viel aus, ob man mich be­trügt oder nicht. Aber du wirst es nicht tun?«

      »Ich wer­de es be­stimmt nicht tun, Klu­ge!«

      »Gib mir noch mal die Pis­to­le, Esche­rich – ist sie jetzt ent­si­chert?«

      »Nein, noch nicht, erst wenn du’s sagst.«

      »Habe ich sie so rich­tig an­ge­setzt, ja? Jetzt füh­le ich die Käl­te vom Lauf kaum noch, ich bin eben­so kalt wie der Lauf. Weißt du, dass ich eine Frau und Kin­der habe?«

      »Ich habe so­gar mit dei­ner Frau ge­spro­chen, Klu­ge.«

      »Oh!« Der Klei­ne war so in­ter­es­siert, dass er die Pis­to­le rasch wie­der ab­setz­te. »Ist sie hier in Ber­lin? Ich wür­de sie gern noch ein­mal spre­chen.«

      »Nein, sie ist nicht in Ber­lin«, ant­wor­te­te der Kom­missar und ver­fluch­te sich, weil er sei­nem Grund­satz, nie eine Mit­tei­lung zu ge­ben, un­treu ge­wor­den war. Gleich hat­te man die Fol­gen! »Sie ist im­mer noch im Rup­pin­schen bei ih­ren Ver­wand­ten. Und es ist schon bes­ser, du sprichst nicht mit ihr, Klu­ge.«

      »Sie ist nicht gut auf mich zu spre­chen?«

      »Nein, gar nicht, sie ist nur böse auf dich zu spre­chen.«

      »Scha­de«, sag­te der Klei­ne. »Scha­de. Ei­gent­lich ist es ko­misch, Esche­rich. Ich bin doch ein rei­ner Gar­nichts, den nie­mand lie­ben kann. Aber has­sen, has­sen tun mich vie­le.«

      »Ich weiß nicht, ob das Hass ist bei dei­ner Frau, ich glau­be, sie will nur Ruhe vor dir ha­ben. Du störst sie …«

      »Die Pis­to­le ist doch noch ge­si­chert, Kom­missar?«

      »Ja«, ant­wor­te­te der Kom­missar ver­wun­dert, dass Klu­ge, der die letz­te Vier­tel­stun­de ganz ru­hig ge­wor­den war, plötz­lich wie­der so auf­ge­regt frag­te. »Ja, die ist noch im­mer ge­si­chert … Was zum Teu­fel?«

      Die Pis­to­le zün­de­te mit ih­rem Mün­dungs­feu­er so nahe an sei­nen Au­gen vor­bei, dass er äch­zend auf


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