Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser

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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser


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seines Lebens ein ehrlicher Mann gewesen, der sich seinen Lebensunterhalt sauer verdient habe, und wenn man seinen berechtigten Reklamationen nicht nachkommen wolle, so werde er andere Wege beschreiten. Er sei immer staatserhaltend gesinnt gewesen, konservativ, denn er finde, das demokratische Regime sei das beste, das es gebe, aber wenn man es ihm so machen wolle, so werde auch er für die Diktatur des Proletariats eintreten… Dann würden aber einige hohe Herren etwas erleben…

      Dr. Laduner stand vor ihm, steif aufgereckt, die Hände in den winzigen Taschen seines weißen Kittels. Er sprach schriftdeutsch, als er antwortete.

      »Herr Schmocker, was Sie erzählen, ist uninteressant. Sie werden jetzt ins R gehen und Papiersäcke kleben. Sonst stecke ich Sie ins Bad. Adieu.«

      Der kleine Mann schwoll rot an, man fürchtete, er werde im nächsten Moment zerplatzen. Seine Stimme bebte, als er sagte: »Sie werden die Verantwortung tragen, Herr Doktor.« Er zog an seiner Zigarre, aber sie war während der Rede erloschen.

      »Ge-wiß…« sagte Dr. Laduner und schritt durch die nächste Tür, die der Oberpfleger Weyrauch einladend offen hielt…

      »Wenn dr weit so guet sy…«

      »Liebes Kind, es ist doch sonst nichts Besonderes auf dem K?«

      »Nein, Herr Doktor.« Mit einer Handbewegung war das Fräulein gnädig entlassen und Dr. Laduner winkte Studer zu sich heran. Der Oberpfleger Weyrauch schloß sachte die Tür.

      Sie standen in einem leeren Gang, der ziemlich finster war. Hier mußte der eine Schenkel des u-förmigen Anstaltsbaus aufhören, denn der Gang war durch eine Mauer abgeschlossen. Ein Fenster stand darin offen.

      »Übrigens, kommen Sie doch noch einen Augenblick«, sagte Dr. Laduner und ließ Studer warten, währender sich an das kleine Fräulein wandte. »Hat der Schmocker nichts sagen wollen, ich meine wegen der Entweichung des Pieterlen?«

      »Nein, nein, Herr Doktor«, das kleine Fräulein wurde rot, ihre Ohren glühten. »Er hat nur heute morgen die Arbeit verweigert auf B, und da habe ich gedacht, es sei besser, ihn ein wenig zu isolieren…« Sie verhaspelte sich, schwieg.

      Auch sie sprach schriftdeutsch, aber mit dem harten Akzent der Balten.

      »Gut, gut, liebes Kind. Regen Sie sich nicht auf. Weyrauch, notieren Sie. Wir stecken den Schmocker doch noch eine Stunde ins Bad, vielleicht klingt dann der manische Erregungszustand leichter ab… Nein, keine Spritze… Wollten Sie etwas sagen, Studer?«

      Nein, nein, der Wachtmeister dachte nicht im Traum daran, etwas zu sagen. Er schüttelte sehr intensiv den Kopf.

      »Wir betrachten nämlich«, sagte Dr. Laduner und begann im langen Gang auf und ab zu wandeln, die Hände auf dem Rücken aufeinandergelegt, »das Bad nicht als eine Strafe, sondern als ein Mittel, die Anpassung an die Wirklichkeit und an ihre Forderungen zu beschleunigen. Wir haben wenig Möglichkeiten, eine gewisse Arbeitsdisziplin aufrechtzuerhalten. Wir sind nicht in einem Zuchthaus, wir sind in einer Heilanstalt. Aber den kranken Geist können wir nur heilen, wenn wir an die gesunden Teile der Seele appellieren, an den Arbeitswillen, an das Einfügen in eine Kollektivität… Selbst der Verwirrteste hat einen Punkt…

      Übrigens, Studer, kennen Sie die Geschichte des Herrn Schmocker? Ich breche damit nicht mein Berufsgeheimnis, denn die Geschichte stand in allen Zeitungen…«

      ›Schmocker?‹ Studer erinnerte sich dunkel an eine Attentatsgeschichte, wußte aber das Nähere nicht und fragte darum bescheiden, was es mit dem Herrn für eine Bewandtnis habe. Da der Schmocker mit dem entwichenen Pieterlen das Zimmer geteilt habe, werde es sicher interessant sein, zu wissen, was man von der Wahrheitsliebe des besagten Schmocker zu halten habe und deshalb…

      »Ge-wiß…« Dr. Laduner nahm Studers Arm und zog ihn mit auf seine Wanderung. Er durchmaß den Gang, die vier Weißmäntel folgten ihm in einer Reihe, trieben leisen Schabernack, wie unbeaufsichtigte Schüler. Ganz hinten rollte der rundliche Oberpfleger.

      »Das Verbrechen des Herrn Schmocker war folgendes: Er trat einem unserer hohen Bundesräte in den Weg und hielt ihm einen ungeladenen Revolver vor die Nase. Dazu sagte er zitternd: ›Ich werde Sie töten!‹ Der betreffende Bundesrat begann daraufhin auf offener Straße zu tanzen, denn er wußte nicht, daß der Revolver ungeladen war und er hatte Angst für sein wertvolles Leben, was sowohl menschlich als auch politisch zu begreifen war. Nachdem unser Schmocker dem tanzenden Bundesrate eine Zeitlang zugesehen hatte, steckte er den Revolver wieder ein, begab sich in seine Wohnung zu seiner Frau und aß dort eine Bernerplatte. Bitte, Studer, lachen Sie nicht. Das steht in den Akten. Die Stadtpolizei ist in solchen Dingen genau. Die Stadtpolizei ist auch rührig, denn sie störte Herrn Schmocker beim Vertilgen der Bernerplatte, nahm ihn mit und sperrte ihn ein. Er konnte zwar beweisen, daß sein Revolver ungeladen war – aber er hatte immerhin eine hohe Amtsperson zum Tanzen gebracht – auf offener Straße noch dazu – und das ist ein fluchwürdiges Verbrechen in einer friedlichen Demokratie wie der unsrigen… Einen Landesvater tanzen lassen!… Da man aber Zweifel hegte an der Zurechnungsfähigkeit des Herrn Schmocker, so wurde er uns zur Begutachtung überwiesen. Er ist ein langweiliger Kerl im Grunde. Sonst fände ich seine Handlung ganz witzig… Aber wissen Sie, er war Getreideagent, vor dem Monopol, und das Monopol hat ihn ruiniert. Die hohen Herren im Bundeshaus waren so anständig – nein, so dumm –, ihn dafür zu entschädigen. Drei Jahre lang hat Herr Schmocker im Monat fünfhundert Franken bezogen und nichts dafür gearbeitet. Nur weil er ein gutes Maul hatte und zu drohen wußte. Man hat ihm Stellen angeboten… Er schlug sie aus. Er wolle keine subalterne Stellung bekleiden, sagte er. Und dann ging den Herren die Geduld aus. Da kaufte sich Herr Schmocker einen Revolver bei einem Trödler, denn sein Herz war angefüllt mit Zorn. Patronen erwarb er keine… Das ist also die Geschichte vom Getreideagenten Schmocker, der sich für den Wilhelm Tell und einen hohen Bundesrat für den Geßler hielt…«

      Dr. Laduner verstummte. Seine Hand hielt noch immer Studers Arm dicht unter dem Ellbogen gepackt. Die beiden blieben vor dem geöffneten Fenster stehen.

      »Dort, der zweistöckige Bau, ist das U 1«, sagte Laduner. »Und der niedere dahinter der Zellenbau vom U 2. Dort sieht es böser aus als hier im B. Denn wir sind im B… Weyrauch!« rief er.

      »Was wünscht dr Herr Doktr?«

      »Wartet der Nachtwärter Bohnenblust im Wachsaal?«

      »Jawohl, Herr Doktr. I ha Ordere gä, der Bohnenbluescht mög warte, bis dr Herr Doktr ihn gseh häb… Jawohl, Herr Doktr…«

      Da ließ Dr. Laduner Studers Arm los und wandte sich einer Türe zu.

      »Paardon… Äksküseeh, Herr Doktr!…« Der Oberpfleger Weyrauch steckte den Passe ins Schlüsselloch, riß die Türe auf. Er stand da wie ein wohlerzogener, sehr verfetteter Kammerdiener:

      »Wenn dr weit so guet sy…« Laduner trat ins Stiegenhaus.

      Wachsaal B

       Inhaltsverzeichnis

      Die Länge des Wachsaals schätzte Studer auf etwa fünfzehn Meter, die Breite auf acht. Der Raum war weiß gestrichen. Zweiundzwanzig Betten in zwei Reihen… Am einen Ende war ein erhöhtes Abteil, in dem zwei Badewannen standen. Dahinter war das Fenster geöffnet und dünne Eisengitter hatte man davor angebracht. Auch durch dieses Fenster sah man den zweistöckigen Bau des U 1.

      Neben dem Abteil mit den Badewannen war eine Tür – mit Glasscheiben im obern Teil –, die in ein Nebenzimmer führte. In der Mitte des Saales trat ein Mauerstück aus der Wand hervor und bildete eine Nische. In dieser Nische war ein kleines Tischchen angebracht. Und davor saß der Nachtwärter Bohnenblust, ein älterer Mann mit einem buschigen Schnurrbart. Er trug einen grauen, an vielen Stellen geflickten Sweater. Auf seiner Stirn war eine Beule.

      Neben ihm, stramm aufgereckt, stand der Abteiliger Jutzeler in weißem Schurz und weißer Kutte, an deren Revers ein weißes Kreuz in rotem Feld aufgenäht war.

      Dr. Laduner


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