Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser

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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser


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Bohnenblust erhob sich mit der Unbeholfenheit eines Mannes, den zu vieles Sitzen unbeweglich gemacht hat. Wenn er tief atmete, rasselten seine Lungen.

      Er solle sitzen bleiben, fauchte ihn Laduner an. Der Nachtwärter Bohnenblust riß die Augen auf, pustete, hockte ab. Laduner nahm hinter einem größern Tisch Platz, winkte Studer neben sich auf die Bank, stützte dann die Ellbogen auf die Platte. Bohnenblust saß rechts neben ihm, vor seinem Tischchen.

      »So, Bohnenblust! Berichtet!«

      Die beiden Assistentinnen lehnten sich an die Wand, der welsche Arzt übte Stepschritte. Dr. Blumenstein stand auf einem Bein und sah in seinem weißen Mantel wie ein Storch aus. In der Stille summte eine Hummel, kam näher, blieb vor Studers Nase einige Augenblicke in der Luft hängen; ihr Bauch schimmerte samten und braun.

      »Der Herr Doktor wird wissen…« sagte Bohnenblust.

      »Der Herr Doktor weiß gar nüt. Der Herr Doktor möchte wissen, woher ihr die Beule am Gring herhabt!« Das Wort ›Gring‹ klang sehr sonderbar in Laduners Mund.

      »Also«, sagte der Nachtwärter Bohnenblust, stand auf, setzte sich wieder, rutschte hin und her, als sei sein Stuhl eine heiße Ofenplatte. »Um 1 Uhr, ich hatte gerade gestochen…«

      »Er muß jede Stunde die Kontrolluhr stechen…« erklärte Laduner dem Wachtmeister.

      »Um 1 Uhr hab ich im Nebenzimmer Lärm gehört. Rufen.« Bohnenblust wies nach der Tür, in deren obern Teil Glasscheiben eingelassen waren. »Ich bin hineingegangen…«

      »Haben Sie Licht gemacht?«

      »Nein, Herr Doktor, der Schmocker reklamiert sonst immer…«

      Laduner nickte, die zwei Assistenten, die zwei Damen nickten, und es nickte auch der dicke Oberpfleger Weyrauch. Es unterlag keinem Zweifel, daß der Bedroher eines hohen Bundesrates im Reklamieren Erfahrung und Geschick haben mußte…

      »Ich bin also hineingegangen«, sagte Bohnenblust und schnaufte Luft in seinen Schnurrbart. »Und dann weiß ich nichts mehr… bis ich wieder aufgewacht bin. Das war gegen halb drei. Dann hab ich die Alarmglocke gedrückt, und dann ist der Jutzeler und der Hofstetter und der Gilgen gekommen. Durch die Mitteltür, und die war verschlossen. Auch die beiden andern Türen waren es, und meinen Passe und meinen Dreikant hab ich immer noch im Sack gehabt…«

      »Zum Öffnen der Türen«, erklärte Laduner wieder und wandte sich Studer zu, »besitzen unsere Pfleger einen Passepartout und einen Dreikant. Wenn sie fortgehen, müssen sie die Schlüssel beim Portier abgeben – wenigstens sollten sie es tun. Aber die Hälfte der Zeit behalten sie sie einfach im Sack, weil sie dann später heimkommen können, wenn sie einmal zu lang im Dorf gejaßt haben… Stimmt's, Jutzeler?«

      ›Diese Art der Ausfragerei!‹ dachte Studer. ›So kommt man doch zu nichts!‹

      Waren die zwei Ärzte, die zwei Assistentinnen, der Dr. Laduner, waren die fünf Mediziner denn eigentlich blind? Hatten sie noch nie die Spuren eines Schlages auf den Kopf gesehen? Er, der Wachtmeister Studer, ohne sich rühmen zu wollen, brauchte nur einen Blick auf die Beule des Nachtwärters Bohnenblust zu werfen, und dann war er im Bild. Der hatte sich den ›Gring‹ irgendwo angeschlagen, an einer Kante, an einer Türe, an einem Schaft, meinetwegen an einem Mauervorsprung… Aber einen Schlag hatte der Mann nie erhalten… Sollte man den gescheiten Dr. Laduner in Ruhe und Frieden sein Frage- und Antwortspiel betreiben lassen und sich unauffällig verhalten?

      Dr. Laduner fragte:

      »Und der Schmocker ist ob dem Lärm nicht erwacht? Sie sind zwei Stunden ohnmächtig im Nebenzimmer gelegen, und Herr Schmocker ist nicht erwacht? Niemand im Wachsaal hat etwas gemerkt, es sind doch einige Patienten da, die nicht gut schlafen, denen ist nichts aufgefallen?«

      Studer griff ein, so kam man nicht weiter…

      Er sagte: »Wir wollen die Sache auf sich beruhen lassen. Wenn Sie erlauben, will ich versuchen, mir ein Bild von der ganzen Angelegenheit zu machen. Kann ich das Zimmer sehen, in dem Pieterlen zusammen mit dem Bundesratsattentäter gewohnt hat?«

      »Aber bitte, Studer, nur zu, dort ist die Türe…«

      Studer stand auf, trat in den Nebenraum. Zwei Fenster. Das eine sah in den Garten, das andere auf den zweistöckigen Bau des U 1. Zwei Betten. An den Wänden ein Dutzend Kohlezeichnungen. Männerköpfe, sonderbar starr, offenbar nach Photographien gezeichnet. Bäume, die gespenstisch aussahen. Ein großer Kopf, wie aus einem Traum: Breitmäulig, froschhaft. Und ein Mädchenkopf…

      Ein Mädchenkopf. Süßlich, ähnlich, wie man sie auf den vielbegehrten Postkarten sieht, die von Liebesleuten aus dem Volk mit Vorliebe gekauft werden. Aber deutlich war doch, daß das Gesicht nicht nach einer Photographie gezeichnet worden war. Studer zog nacheinander die vier Reißnägel aus der Wand, faltete das Bild zusammen und steckte es in die Tasche. Dann hob er zuerst die eine, dann die andere Matratze. Unter der zweiten fand er ein viereckiges Stück kräftigen grauen Stoffes. Er nahm den Stoff in die Hand, prüfte seine Dicke mit den Fingern, er war solid; Studer schüttelte den Kopf, steckte das Stück in seine Tasche. Sonst war im Zimmer nichts zu finden… In einer Schublade, die er aufzog, fand er Bleistifte, Kohlenstifte, Kreide, ein Fläschchen, das mit Fixativ gefüllt war… Er kehrte in den Saal zurück.

      Die andern hatten sich nicht von der Stelle bewegt. Nur der welsche Assistent probierte jetzt einen schweren Tangoschritt, eine Wendung, mit gleichzeitigem Vorgehen, und der Schritt wollte ihm nicht recht gelingen. Sein Wieselgesicht war kraus und ernst…

      »Das Stück Stoff…« sagte Studer. »Kann mir einer sagen, woher der Stoff stammt?«

      Es war der schlanke Abteiliger Jutzeler, der zuerst antwortete. – Er wundere sich, sagte er, daß der Wachtmeister diesen Stoffetzen gefunden habe. Ob er ihm Bedeutung beilege? Er stamme von einem der Leintücher, die man auf dem U 1 brauche für Patienten, die gern alles zerreißen. Und man habe dem Pieterlen das Stück gegeben – es sei übrigens ein größeres Stück gewesen –, um seine Pinsel damit abzutrocknen… Warum den Wachtmeister das Stück so interessiere?

      Studer erwiderte, er könne eigentlich keinen Grund angeben, es sei denn, daß er es unter der Matratze gefunden habe, ziemlich gut versteckt, in der Mitte des Bettes… Vielleicht sei seine Frage auch eine müßige Frage…

      – Doch weiter. Pieterlen sei gestern an der Sichleten gewesen?

      »Ja.«

      »Wie lange hat das Fest gedauert?«

      »Bis Mitternacht«, antwortete der Abteiliger Jutzeler und verschränkte die Arme über der Brust, so, als wolle er sagen: ›Zum Auskunftgeben bin ich da…‹ Es war entschieden eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihm und Dr. Laduner festzustellen.

      »Und hat Pieterlen getanzt?«

      »Nein. Zuerst hat er sich aufs Tanzen gefreut. Dann aber hat er plötzlich nicht tanzen wollen. Er ist in einer Ecke gehockt, und wir haben ihn nur mit Mühe dazu gebracht, auf der Handharpfe zu spielen… Ein paar Tänze… Er war sehr verdrossen… Wahrscheinlich, weil die Wasem nicht ans Fest gekommen ist…«

      – Die Wasem? Studer wurde aufmerksam.

      »Was ist das für ein Fräulein Wasem?« fragte er und blickte Dr. Laduner treuherzig an. Er sah, wie der welsche Assistent plötzlich in seinen Tanzversuchen innehielt, auf einem Fußballen balancierte, zwinkerte, grinste, während Dr. Blumenstein, auf einem Bein stehend wie ein Storch, rot wurde. Die beiden Damen blickten zur Erde.

      Dr. Laduner räusperte sich. Der Abteiliger wollte Antwort geben, aber der Oberarzt schnitt ihm das Wort ab.

      »Wir hatten Pieterlen in die Malergruppe versetzt«, sagte er trocken. »Die Malergruppe hat in letzter Zeit auf dem Frauen-B Wände gestrichen. Und der Patient Pieterlen hat sich in die Pflegerin Irma Wasem verliebt. Das kommt vor. Es sind da Imponderabilien…«

      »Imponderabilien…« sagte die baltische Assistentin und nickte weise, nur Dr. Neuville, der welsche Assistent, meckerte hörbar.

      »Wasem…


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