Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz


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Ver­schif­fung la­gern­den Mar­mor­blö­cke sei­nen stol­zen Na­men trug. Je­des von uns Ge­schwis­tern in Flo­renz hat­te ihn schon ein­zeln für sich ent­deckt, eben­so wie un­se­re Freun­de Böck­lin, Hil­de­brand und Zur­hel­le, und hat­ten ihn auch schon alle un­ter mehr oder min­der ur­tüm­li­chen Ver­hält­nis­sen be­wohnt, da­her der Ruhm der ers­ten Ent­de­ckung des Wun­derstran­des im­mer um­strit­ten blieb. Un­ter­halb der Mar­mo­ral­pen mit ih­ren glet­scher­haft leuch­ten­den Brü­chen und Ge­röll­hal­den, die das Auge durch ihre wech­seln­den Be­leuch­tun­gen und ihre küh­ne Do­lo­mi­ten­ge­stalt im­mer neu ent­zück­ten, dehn­te sich der of­fe­ne, noch un­be­bau­te Küs­ten­strich in un­über­seh­li­cher Ein­sam­keit; nur har­te Strand­grä­ser, von den Wel­len be­leckt, und Dis­teln wuch­sen dar­auf, und ein tro­pisch ver­wach­se­ner, von schil­fi­gen Bäch­lein durch­stos­se­ner Pi­ni­en­wald trenn­te ihn von den Vor­ber­gen. Dort lag, etwa zwan­zig Mi­nu­ten von der klei­nen Ort­schaft ent­fernt, zwi­schen der Mün­dung ei­nes Flüss­chens und der tief ins Meer hin­ein­ge­bau­ten Lan­dungs­brücke die Stel­le, die Ed­gar sich zur Nie­der­las­sung aus­er­sah. Ich be­riet mit Van­zet­ti, ob ich wohl, ohne einen Ge­gen­satz in die Ehe zu brin­gen, mich gleich­falls dort an­bau­en könn­te, um mei­ner Mut­ter in der Nähe des Soh­nes, aber un­ab­hän­gig von ihm, eine som­mer­li­che Zuf­lucht, mir selbst ein stil­les Ar­beits­heim zu si­chern. Klu­ger­wei­se ge­wann er zu­erst die Gat­tin des Freun­des für mei­ne Ab­sicht, in­dem er ihr na­he­leg­te, dass sie durch mei­ne Nach­bar­schaft ein für al­le­mal von der Ver­pflich­tung, die Schwie­ger­mut­ter im ei­ge­nen Hau­se auf­zu­neh­men, ent­bun­den wäre. Das hat­te die glück­li­che Fol­ge, dass Ed­gar, der aus gan­zem Her­zen froh war, mir auch ein­mal be­hilf­lich sein zu kön­nen, die Sa­che gleich in die Wege lei­te­te. Er be­tei­lig­te mich an dem eben schwe­ben­den Kauf ei­nes neu­en um­fang­rei­chen Grund­stücks ne­ben dem sei­ni­gen, von dem er einen schma­len aber tie­fen Strei­fen ab­trenn­te, den ich um ge­rin­gen Preis von dem ers­ten Be­sit­zer er­warb und der für ein klei­nes Haus ge­ra­de ge­nüg­te; er schloss auch für mich die ver­schie­de­nen Ver­trä­ge ab und über­nahm die rasch nach­ein­an­der fäl­li­gen Ra­ten­zah­lun­gen für den Bau, die ich durch die si­cher ein­ge­hen­den Ho­no­ra­re im­mer schnells­tens wie­der de­cken konn­te, was mir das schö­ne Be­wusst­sein gab, mir mein Haus in dop­pel­tem Sin­ne selbst zu bau­en. Des­glei­chen ent­warf er den Grund­riss und Auf­bau mit so ge­schick­ter Rau­maus­nüt­zung, dass alle, die das klei­ne Ding be­wohn­ten, sich über die be­que­me Ein­tei­lung auf so be­schränk­ter Flä­che wun­der­ten. Ich über­ließ ihm gern die Lei­tung, die sei­ner Na­tur Be­dürf­nis war; nur über die Maße des Gan­zen wa­ren wir un­eins, weil ich das Häu­schen, für das er nur eine Ein­tritts­hal­le und zwei Zim­mer im Ober­ge­schoss vor­sah, gern ge­räu­mi­ger ge­habt hät­te, er aber mir ent­ge­gen­hielt, dass ich, je grö­ßer mein Haus wäre, mit um so mehr Gäs­ten zu rech­nen hät­te, die von un­se­rer Mut­ter her­ge­zo­gen, mir sel­ber Raum und Ruhe be­ein­träch­ti­gen wür­den. Ich er­reich­te schließ­lich so­viel, dass zwar sei­ne Maße durch­gin­gen, die Kü­che aber mit ei­ner be­que­men Ter­ras­se au­ßen auf der Berg­sei­te an­ge­baut wur­de, wo­durch sich für das Erd­ge­schoss noch ein klei­nes Ab­le­ge- oder Biblio­thek­zim­mer­chen er­gab. Die Gren­zen wur­den ab­ge­steckt, und bei mei­ner Hin­kunft im Herbst konn­te mit der Ar­beit be­gon­nen wer­den. So ent­stand das drit­te Haus am Mee­re, und die­se drei klei­nen, an­spruchs­lo­sen Häu­schen leg­ten den Grund mit den schnell nach­fol­gen­den grö­ße­ren un­se­rer Freun­de zu ei­ner Sied­lung, aus der mit der Zeit ein heu­te welt­kun­di­ger, un­ter den großen See­bä­dern Ita­li­ens mit an ers­ter Stel­le ge­nann­ter Ba­de­ort er­wuchs, der nichts mehr vom Geis­te sei­ner ers­ten Grün­der weiß. Sei­ne Be­woh­ner, kein in hei­te­rer Ar­mut le­ben­des Fi­scher­völk­lein mehr, wie ehe­dem, bau­en sich große Vil­len mo­d­erns­ten Sti­les und be­las­ten sich mit den Steu­ern und Sor­gen des Be­sit­zes. Wo die drei klei­nen Häu­ser stan­den, von de­nen nur noch ei­nes, das mei­ni­ge, er­hal­ten ist, da dehnt sich eine end­lo­se Vil­len­stra­ße, von der einen Sei­te bis Via­reg­gio, von der an­de­ren bis Mas­sa rei­chend und, wie sich’s ver­steht, von ei­ner brei­ten Au­to­stra­ße be­glei­tet, die sich zwi­schen das Meer und die Vor­gär­ten ge­scho­ben hat und die mit ih­ren Ben­zin­ge­rü­chen den Salz­hauch des Mee­res und die vom Abend­wind her­ge­tra­ge­nen Harz- und Blu­men­düf­te der Pi­ne­ta ver­schlingt. Die mär­chen­haf­te Pi­ne­ta sel­ber ist frei­lich fast nur noch im Na­men er­hal­ten: brei­te Vil­len­stra­ßen durch­schnei­den sie die Kreuz und Que­re und las­sen von dem eins­ti­gen Baum­reich­tum nicht viel mehr als die pi­ni­en­be­stan­de­nen und gärt­ne­risch ge­pfleg­ten Schmuck­hö­fe großer Vil­len und Pen­sio­nen üb­rig. Ich muss die Au­gen fest schlie­ßen, um aus den Tie­fen der Erin­ne­rung noch ein­mal die Zau­ber ei­ner wie frisch aus Got­tes Hand her­nie­der­ge­tau­ten Frü­he her­auf­zu­ho­len.

      *

      Es war im Som­mer 1899. Die Hit­ze war un­säg­lich, das was­ser­lo­se, im­mer von Staub­wir­beln durch­tob­te Flo­renz, aus dem alle Freun­de sich ge­flüch­tet hat­ten, für Mama und mich un­be­wohn­bar ge­wor­den. Ich nahm also das Müt­ter­lein noch ein­mal mit all ih­ren Rei­se­ängs­ten un­ter die Fit­ti­che und ent­führ­te sie glück­lich, was nicht so leicht war, wie es schei­nen mag, in das rei­zen­de Vil­la­bru­na bei Fel­tre, wo Al­fred mit den Sei­nen sich zur Som­mer­fri­sche in ei­ner be­hag­li­chen Vil­la auf­hielt und wir bei­de ne­ben­an das be­schei­de­ne, aber an­ge­nehm luf­ti­ge und blu­men­duf­ten­de Schul­meis­ter­haus be­zo­gen. Al­fred war se­lig, end­lich wie­der ein­mal sei­ne Mut­ter bei sich zu ha­ben, er um­gab sie mit den zärt­lichs­ten Auf­merk­sam­kei­ten wie eine Ge­lieb­te. Ich schrieb dort die Hei­mat­no­vel­le »Wer­ters Grab« für den Zy­klus »Von Da­zu­mal«, in­dem ich mei­ne äu­ße­re Schau für die nahe Berg­welt ab­rie­gel­te und mir in­ner­lich die Büh­ne mei­ner Kind­heit her­auf­be­schwor, was mir das klei­ne ver­wahr­los­te Gärt­chen, wo ich schrieb, er­leich­ter­te. Die Wo­chen in Vil­la­bru­na wä­ren noch er­hol­sa­mer ge­we­sen ohne das all­abend­li­che Heim­zie­hen der Kühe von der Wei­de, de­nen mei­ne arme Mut­ter re­gel­mä­ßig in der Dorf­gas­se be­geg­ne­te. Denn die ein­zi­gen Le­be­we­sen, die die­se tap­fe­re Frau fürch­te­te, wa­ren Kühe; vor die­sen aber hät­te sie, wie mein Va­ter ihr nach­sag­te, im Lö­wen­kä­fig Schutz ge­sucht. – Et­was spä­ter im Jahr er­schi­en auch Rö­mer auf der Durch­rei­se nach Nor­den und füg­te sich ei­ni­ge Zeit dem länd­li­chen Le­ben ein. Er be­stand rit­ter­lich ein Ku­ha­ben­teu­er für die Da­men und war mir be­hilf­lich, mein deut­sches Fahr­rad, das noch kei­ne Mar­ke hat­te, un­ter den nach­sich­ti­gen Au­gen der Zoll­wäch­ter von Le Tez­ze über die ös­ter­rei­chi­sche Gren­ze zu schmug­geln und es eine Stun­de spä­ter auf ita­lie­ni­schem Ge­biet ord­nungs­mä­ßig wie­der ein­zu­füh­ren. Bald aber trie­ben sei­ne Ner­ven den al­ten Spuk, dass er durch plötz­li­ches Ver­schwin­den ins Ge­birg das Haus in Be­stür­zung ver­setz­te und der warm­her­zi­ge Al­fred ihn vol­ler Schreck da oben su­chen ließ, ihm dann aber zu­sprach, sich schnells­tens aus dem Be­reich der Glut­strö­me in sei­ne Hei­mat­luft zu ret­ten.

      In die Tage von Vil­la­bru­na fiel eine ei­gen­tüm­li­che klei­ne Epi­so­de, die ich nicht mit Still­schwei­gen über­ge­hen will, weil sie für die ein­zig große Den­kart mei­ner Mut­ter kenn­zeich­nend ist wie nichts an­de­res. Ich er­hielt dort ei­nes Ta­ges von


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