Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz


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Apos­tel mit den ewi­gen Bot­schaf­ten hin­aus. Aber wäh­rend die Da­men der großen Welt ihre Nich­tig­kei­ten mit der großen stei­len Mo­de­hand­schrift auf bret­ter­stei­fes, mit Na­mens­zug ver­zier­tes Lei­nen oder Büt­ten schrie­ben, des­sen Ge­wicht nicht sel­ten den Emp­fän­ger Straf­ge­bühr kos­te­te, zer­fie­len die­se kost­ba­ren Blät­ter oft schon nach ei­ni­gen Jah­ren we­gen Brü­chig­keit des Pa­piers. Für ihre Kin­der frei­lich wa­ren die­se Mut­ter­brie­fe auch ver­häng­nis­voll, denn die Schrei­be­rin tat sich kei­nen Zwang an, son­dern schüt­te­te al­les aus, was sie be­dräng­te und was ihr durch den Sinn ging; man muss­te ler­nen sie rich­tig zu le­sen. Wie vie­le ban­ge Stun­den ha­ben mir die­se ge­flü­gel­ten Bo­ten in die Fer­ne ge­bracht, wäh­rend die Ab­sen­de­rin die Las­ten, die sie dar­in ab­ge­legt hat­te, bei ih­rer großen Be­weg­lich­keit oft schon sel­ber gar nicht mehr spür­te. Der ein­zi­ge über­le­ben­de ih­rer Söh­ne, Er­win, hat mit Be­dau­ern alle die­se Brie­fe ver­nich­tet, weil sie ein falsches Bild von der Wirk­lich­keit ga­ben und mit all­zu fan­tas­ti­schen Ein­fäl­len, nur den Ein­ge­weih­ten aus­leg­bar, durch­kreuzt wa­ren. Ich konn­te mich zu die­ser Op­fe­rung nicht ent­schlie­ßen. Aber ein Vers an sie, von mei­ner Hand ge­schrie­ben, den ich un­längst un­ter al­ten Pa­pie­ren fand, rief mir die­se Not leb­haft in Erin­ne­rung:

       Schüt­te dein Herz aus,

       Aber ver­schüt­t’ es nicht,

       Und was die Sor­ge spricht

       Leg es als Scherz aus,

       Dass aus den Blät­tern,

       Wenn sie ein Fer­ner liest,

       Mit dei­nen Let­tern

       Nur Freu­de fließt.

      Of­fen­bar war es ei­nes der jähr­li­chen Ge­burts­tags­ge­dicht­chen, wo­mit ich ir­gend­ein klei­nes Ge­schenk zu be­glei­ten pfleg­te, und in die­sem Fall kann die Gabe nur in an­stän­di­gem Brief­pa­pier be­stan­den ha­ben.

      Als ich fünf­zehn Jah­re nach ih­rem Tode zum ers­ten Mal wag­te, ein Bün­del ih­rer Brie­fe zu öff­nen, da flog die Tür auf und sie mit ei­nem Ju­bel­schrei an mei­nen Hals, und ich ver­stand wie­der alle die Macht, die sie auf ihre Um­ge­bung ge­übt hat­te. Und zu­gleich füll­te sich der Raum mit lau­ter ver­trau­ten Ge­stal­ten, die mit dazu ge­hör­ten und eine stär­ke­re Ge­gen­wart be­sa­ßen als alle jetzt Le­ben­den. Da war es eine Pein, zu kei­nem von ih­nen spre­chen zu kön­nen, denn ach, sie wuss­ten nur noch von ih­ren Ta­gen und nichts mehr von den mei­ni­gen.

      1 Dass in ei­nem an­de­ren die­ser Brie­fe Hey­se irr­tüm­li­cher­wei­se ein von Al­fred schlecht be­stan­de­nes Ex­amen dem aus je­der Prü­fung mit Glanz her­vor­ge­gan­ge­nen Ed­gar zu­schrieb, war ihr ein zwei­ter Sta­chel, für des­sen Be­sei­ti­gung ich zu sor­gen ver­sprach. Da es mir nicht ver­gönnt ist, ihre Wün­sche zu er­fül­len, lege ich zur Ver­söh­nung ih­rer Ma­nen die Be­rich­ti­gung an die­ser Stel­le nie­der. <<<

      Mein Haus, mein Haus am Meer.

       Auch heu­te tür­men

       Die Mar­mo­ral­pen schim­mern­de Pas­tel­le

       In dei­nem Rücken auf und drau­ßen brei­tet

       Sich tief­blau, end­los die Tyr­rhe­n­er­wel­le.

       Du träumst den Se­geln nach die fer­ne strei­chen,

       Und an den Zau­be­r­in­seln hängt dein Blick,

       Die mein Erin­nern Tag und Nacht um­flü­gelt.

       Es kann der Wunsch, wie glü­hend er sie male,

       Die Schön­heit, die le­ben­di­ge, nicht er­rei­chen.

       Dort über Ser­ra­vez­za flammt im Stein

       Durch all das Weiß die off­ne rote Wun­de,

       Und Wäl­der le­gen küh­lend sich hin­ein,

       Doch in der Ber­ge wei­ßen Flan­ken schläft

       Die un­ge­bor­ne Welt der Kunst, und oft­mals

       Am Abend rot­tet wie von in­n­rer Glut

       Sich das Ge­stein, als rie­f’ es un­ge­dul­dig.

       Es sinkt der Tag und wir sind un­er­löst.

       Glück­se­li­ger Strand, Ge­sta­de der Ent­rück­ten,

       Schi­en wie der Ort, wo frei von ir­di­scher Schwe­re

       Die Hel­den und die Lie­ben­den sich fin­den,

       Wo fern der Zeit Achill und He­le­na

       Im Schein ver­säum­ten Er­den­glücks sich son­nen.

       Ihr Som­mer, de­ren Stun­den leicht wie Träu­me

       Der Himm­li­schen um un­se­re Stirn zer­ron­nen!

       In im­mer glei­cher Fül­le leb­ten wir

       Unal­ternd, uns­re Lei­ber wa­ren Din­ge

       Aus Licht und Luft, die Son­ne schi­en hin­durch.

       O Son­nen­glühtrank, den ich heiß ge­schlürft

       In je­nen Som­mern, die kein Ende hat­ten,

       Du glühst noch jetzt in mei­nen Adern nach

       Wie gött­lich un­ver­lösch­ba­res Ju­gend­feu­er.

       (Aus »Jen­seits des Blutstroms«, 1915)

      Es war kein Dich­ter­mär­chen, in For­te dei Mar­mi al­ter­te man nicht. Die lan­gen, glü­hen­den Som­mer brann­ten alle kran­ken und we­hen Stel­len aus und ga­ben eine im­mer hei­le und hei­te­re Ju­gend. Auch un­se­re Mut­ter, die ja nun schon in die Jah­re trat, die bei den All­tags­men­schen Grei­sen­al­ter hei­ßen, blieb in ih­rer geis­ti­gen und kör­per­li­chen Be­weg­lich­keit un­ver­än­dert die glei­che. Die Wi­der­stands­kraft, die sie den schwe­ren ih­rer noch war­ten­den Schick­sals­schlä­gen ent­ge­gen­zu­set­zen fand, und das Lä­cheln, das trotz al­lem bis über die Schwel­le des To­des mit ihr ging, kann sie nur dort ge­schöpft ha­ben. Und auch ich sel­ber hät­te nir­gends als am Strand von For­te so­viel Schön­heit und Wär­me in mir auf­spei­chern kön­nen, um in den kom­men­den dunklen Jah­ren nicht ganz am Le­ben zu ver­zwei­feln.

      Das klei­ne Haus, wie es jetzt da­stand und mit un­wahr­schein­lich be­seel­ten Au­gen aufs Meer hin­aus­sah, glich ei­nem le­ben­di­gen We­sen und nahm gleich­sam die Mie­ne sei­ner Be­sit­zer an. Ganz aus schwe­rem Bruch­stein er­rich­tet, den aber fest­lich grü­ne Lä­den leicht mach­ten, durch die an­ge­neh­men Maße und weil es rings­um frei stand, für das Auge viel grö­ßer als es wirk­lich war, hat­te es einen ganz per­sön­li­chen Aus­druck von hei­te­rem Ernst, wozu noch die mehr brei­ten als ho­hen Fens­ter, das mäch­ti­ge, in Län­ge und Que­re ge­teil­te Por­tal und die von Hil­de­brand ge­stif­te­te Mar­mor­bank an der Au­ßen­wand das ihre bei­tru­gen. Die­se Be­son­der­hei­ten wa­ren nicht ohne die wun­der­lichs­ten Rei­bun­gen und Zwi­schen­fäl­le zu­stan­de ge­kom­men. Ich hat­te mei­nem Bru­der nur die Be­rech­nung der Räu­me über­las­sen; für das äu­ße­re Ge­sicht zog ich Hil­de­brand zu Rat, und die­ser ent­warf mit Hil­fe sei­nes Schwie­ger­soh­nes Satt­ler die le­bens­vol­le, von jeg­li­cher Scha­blo­ne ab­wei­chen­de Stirn­sei­te. Als die Mau­ern aus dem


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