Der Löwe von Flandern. Hendrik Conscience

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Der Löwe von Flandern - Hendrik Conscience


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Ruhe wiedergewonnen; er verließ den Saal und ging in das kleinere Gemach, in dem sich Machteld aufhielt. Er ergriff die Hand des jungen Mädchens, führte es zu einem Lehnstuhl, und dann zog er, ohne ihre Hand loszulassen, einen zweiten Sessel heran, in den er sich setzte.

      „Meine liebe Machteld,“ sagte er, „Du hast Deinen Vater doch lieb, nicht wahr?“

      „O ja, das wißt Ihr doch ganz genau,“ rief die Maid aus, und streichelte mit ihren zarten Händen die rauhen Wangen des Ritters.

      „Aber,“ sagte nun Robrecht, „wenn nun jemand zu meiner Verteidigung sein Leben aufs Spiel setzte, würdest Du den nicht auch lieb haben?“

      „Sicherlich,“ war ihre Antwort, „und ich würde ihm dafür ewig dankbar bleiben.“

      „Jetzt hat nun ein Ritter Deinen Vater gegen einen Feind verteidigt und ist tödlich verwundet worden.“

      „O Gott,“ seufzte Machteld, „ich will vierzig Tage für ihn beten und auch noch länger, – bis er gesund wird.“

      „Ja, bete auch für mich, mein gutes Kind; aber ich verlange noch etwas von Dir.“

      „Sprecht nur, Herr Vater! Ich bin Eure gehorsame Tochter.“

      „Versteh mich recht! Ich verreise auf einige Tage, – und Dein Großvater und alle Edelleute, die Du kennst, ziehen gleichfalls fort. Wer wird nun dem armen verwundeten Ritter zu trinken geben, wenn ihn dürstet?“

      „Wer das tun wird? Ich, Herr Vater; ich werde ihn nie verlassen, bis Ihr wiederkommt. Ich werde meinen Falken mit in sein Zimmer nehmen und ihm stets Gesellschaft leisten. Fürchte nicht, daß ich ihn den Dienstboten überlasse! Meine Hand soll ihm die Trinkschale an seine Lippen führen, wenn ihn dürstet. Und wie will ich mich freuen, wenn er wieder gesund wird!“

      „Das ist recht von Dir, mein Kind. Ich kenne Dein liebevolles Herz; aber Du mußt mir noch versprechen, daß Du in den ersten Tagen seiner Krankheit kein Geräusch in seinem Zimmer machen wirst. Auch darf kein Dienstbote dort laut sein.“

      „O, nein, das braucht Ihr nicht zu befürchten, Vater. Ich werde ganz leise mit meinem Falken sprechen, so daß es der Ritter nicht hören kann.“

      Robrecht nahm die gute Machteld bei der Hand und führte sie aus dem Zimmer.

      „Ich werde Euch den Kranken zeigen,“ sagte er, „aber sprich nicht laut in seiner Gegenwart.“ Adolf van Nieuwland war durch die Knappen in einem Saal in Robrechts Wohnung auf ein Bett gelegt worden. Zwei Ärzte hatten die Wunde verbunden und standen mit Dietrich dem Fuchs neben dem Krankenlager. Der Kranke gab kein Lebenszeichen von sich, sein Antlitz war bleich, die Augen geschlossen. –

      „Nun, Meister Rogaert,“ wandte sich Robrecht an einen der Ärzte, „wie geht es unserem unglücklichen Freunde?“

      „Schlecht,“ antwortete Rogaert, „recht schlecht, Herr van Bethune. Ich kann noch nicht sagen, ob man hoffen kann; aber ich glaube, er wird nicht sterben müssen.“

      „Ist die Wunde nicht tödlich?“

      „O doch, tödlich oder nicht tödlich, die Natur ist der beste Arzt; sie tut zuweilen mehr Wunder als Kräuter oder Steine[13]. Ich habe ihm einen Dorn von der Krone unseres Heilandes auf die Brust gelegt; – diese heilige Reliquie wird uns helfen.“

      Während dieses Gesprächs war Machteld näher an den Kranken herangetreten. Die Neugier trieb sie, das Gesicht des kranken Ritters zu erkennen. Plötzlich erkannte sie Adolf Nieuwland. Mit einem Aufschrei fuhr sie zurück, eine Flut von Tränen stürzte aus ihren Augen, sie schrie laut auf.

      „Was soll das heißen, meine Tochter?“ sagte Robrecht. „Kannst Du Dich nicht mäßigen, Du mußt Dich ruhig und leise am Bett eines Kranken verhalten.“

      „Ruhig sein!“ schluchzte die Maid. „Ruhig sein, wo Herr Adolf im Sterben liegt, er, der mich so schöne Lieder lehrte! Wer wird nun der Minnesänger von Wijnendaal sein? Wer wird nun beim Abrichten meiner Falken helfen und mein Bruder sein?“ –

      Dann trat sie an das Bett, betrachtete weinend den verwundeten Ritter und rief schluchzend:

      „Adolf, Herr Adolf, mein guter Bruder!“

      Als sie keine Antwort bekam, schlug sie die Hände vors Gesicht und sank weinend in einen Stuhl. Robrecht glaubte, seine Tochter würde nicht aufhören mit Klagen, und ihre Gegenwart würde dadurch eher schädlich als nützlich sein; er ergriff deshalb die junge Machteld bei der Hand:

      „Komm, mein Kind,“ sagte er, „komm aus diesem Zimmer heraus, bis Du Dich gefaßt hast.“

      Doch Machteld wollte das Gemach nicht verlassen, sie antwortete:

      „O, mein Vater, laßt mich hier, ich will auch nicht mehr weinen. Laßt mich bei meinem Bruder Adolf, ich will die heißen Gebete, die er mich gelehrt hat, für ihn zu Gott schicken!“

      Sie nahm ein Kissen von einem Sessel, legte es auf den Boden am Kopfende des Bettes und betete dort leise. Doch ihre Worte waren von tiefen Seufzern zerrissen, und heiße Tränen liefen über ihre Wangen.

      Robrecht van Bethune wachte bis in die späte Nacht hinein an Adolfs Lager und hoffte, daß Gehör und Sprache wiederkehren würden. Doch vergeblich. Nur schwach und langsam atmete der Verwundete und lag regungslos da.

      Meister Rogaert fürchtete nun doch ernst für sein Leben; denn auf den Schläfen des Kranken brannte heißes Fieber. –

      Inzwischen zogen die adligen Herren, die nicht im Schlosse wohnten, mit großer Genugtuung aus Wijnendaal. Die treuen Ritter freuten sich, daß sie sich ihrem Gebieter gefällig erweisen konnten. Die anderen, die im gräflichen Hause wohnten, suchten ihre Schlafgemächer auf.

      Zwei Stunden später hörte man in Wijnendaal nur noch die Rufe der Wachen, das Anschlagen der Hunde und die schrillen Schreie der Nachteule.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Reise, die Graf Gwijde auf Anraten des Herrn von Valois unternahm, sollte für ihn und sein Land Flandern sehr gefährlich werden; denn Frankreich hatte zu schwerwiegende Gründe, das reiche Land möglichst lange zu besitzen.

      Philipp der Schöne und seine Gemahlin Johanna von Navarra hatten zu ihrer leichtsinnigen Verschwendung alles Gold des Reiches in ihre Schatzkästen fließen lassen, und dennoch hatten die ungeheuren Summen, die das Volk bewilligt hatte, nicht genügt, um ihre unersättliche Geldgier zu befriedigen. Philipp hatte jetzt zu dem letzten Mittel gegriffen und fälschte die Münzen des Reiches, lud dadurch unmögliche Lasten auf sein Land, und doch war er noch nicht befriedigt.

      Seine habsüchtigen Minister und besonders Enguerrand de Marigny veranlaßten ihn trotz der Unzufriedenheit des Volkes, unter dem jeden Tag der Ausbruch der Revolution drohte, dazu, neue Abgaben zu fordern.

      Es ist unbegreiflich, daß Philipp der Schöne trotzdem immer an großem Geldmangel litt.

      In Brügge allein war mehr Geld als in ganz Frankreich. Das wußte er und hatte seit Jahren alles aufgeboten, um Flandern zu unterwerfen.

      Anfangs verlangte er Unmögliches vom alten Grafen Gwijde, um ihn zum Ungehorsam zu zwingen; dann nahm er seine Tochter gefangen und eroberte schließlich Flandern durch Waffengewalt. –

      Das alles hatte sich der alte Graf wohl überlegt und verhehlte sich die möglichen Folgen der Reise keineswegs; aber der Schmerz, den ihm die Gefangenschaft seiner jüngsten Tochter bereitete, zwang ihn, auch dieses letzte Mittel zu ihrer Befreiung zu versuchen. Das freie Geleit, das Karl von Valois ihm zugesichert hatte, befestigte ihn in seinem Entschluß.

      So machte er sich mit seinen Söhnen Robrecht und Wilhelm und fünfzig vlaemischen Edlen auf den Weg. Karl von Valois begleitete ihn mit einer großen Anzahl französischer


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