Der Löwe von Flandern. Hendrik Conscience

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Der Löwe von Flandern - Hendrik Conscience


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hausen in unserem schönen Wijnendaal. Meinen unglücklichen Vater haben sie in einen Kerker geworfen, in schwere Ketten geschlossen. In dunklem Gefängnis schmachtet er so einsam, und wer weiß, ob ihn nicht die grausame Johanna noch umbringt! Ach du mein lieber Vogel, dann werden auch wir vor Angst vergehen. – Der Gedanke, der furchtbare Gedanke allein raubt mir alle Kraft. Ach! setze dich doch nieder, meine zitternde Hand kann dich nicht mehr tragen.“

      Das trostlose Kind sank ermattet in den Sessel, doch ihr Antlitz ward nicht bleicher; waren doch schon längst die Rosen auf ihren Wangen gewelkt, die Augenlider durch ewiges Weinen gerötet. Der Huldreiz ihrer Züge war geschwunden und ihr Auge ohne Feuer und Leben.

      Lange blieb sie so in Traurigkeit versunken; der Reihe nach grübelte sie über all das nach, was ihre Verzweiflung nur noch steigern mußte. Die traurigen Gedanken weckten die schauerlichsten Vorstellungen. Sie sah ihren unglücklichen Vater gefesselt in einem feuchten Kerker, hörte seine Ketten rasseln, hörte den Widerhall seiner wehen Seufzer an dieser grausen Stätte. Auch der Gedanke, daß man in Frankreich so häufig die Menschen vergiftete, quälte sie beständig, und die gräßlichsten Bilder tauchten vor ihren Augen auf. Solcherart wurde das Mägdelein unaufhörlich gefoltert und lebte in tödlicher Pein.

      Ein unterdrückter Seufzer tönte vom Bette her. Schnell wischte Machteld die Tränen von ihren Wangen und eilte in banger Sorge zu dem Kranken. Sie goß den Trank in die silberne Schale, stützte mit der rechten Hand ein wenig Adolfs Haupt und brachte die Schale an seinen Mund.

      Weit öffnete der Ritter die Augen und heftete sie voller Staunen auf das junge Mägdelein. Dankbarkeit sprach aus seinen matten Blicken, und ein unbeschreibliches Lächeln verklärte seine bleichen Züge.

      Seit seiner Verwundung hatte der Kranke noch nicht wieder verständlich gesprochen; es schien sogar, als ob er die Worte, die man leise zu ihm sprach, nicht vernahm. Doch als Machteld ihn in den ersten Tagen seiner Krankheit freundlich ermunterte: „Werde doch gesund, armer Adolf, mein teurer Bruder; ich will für dich beten, denn dein Tod würde mich noch unglücklicher machen,“ – und mancherlei, was sie ganz arglos an seinem Bette sprach, hatte Adolf gar wohl vernommen und verstanden, wenn es ihm auch an Kraft gebrach, zu sprechen.

      In der vergangenen Nacht hatte sich Adolfs Zustand wirklich gebessert. Nach langem Kampf hatte ihm die Natur heilsamen Schlaf geschenkt, und daraus war er mit neuer Lebenskraft erwacht. Der Seufzer, der sich bei seinem Erwachen seiner Brust entrang, war kräftiger, als es ihm seine Wunde bisher gestattet hatte.

      Als nun Machteld den Becher von seinem Munde nahm, faßte sie gewaltiges Staunen; denn mit schwacher, doch klarer Stimme sprach er:

      „O edle Jungfrau! Mein lieber Schutzengel! Ich danke dem gütigen Gott für den Trost, den er mir durch Euch beschert hat. Bin ich der Sorge wert, edle Maid, daß Eure durchlauchtige Hand mein Haupt so freundlich stützt? Seid gesegnet für Eure Mühen um einen armen Rittersmann.“

      Das Mägdelein sah ihn verwundert an; als sie aber merkte, wie sehr er an Lebenskraft gewonnen hatte, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen und lieh ihrer Freude jubelnden Ausdruck.

      „O, Ihr werdet wieder genesen, Herr Adolf!“ rief sie. „Nun mag ich nicht mehr trauern; jetzt werde ich wenigstens einen Bruder haben, der mich tröstet.“

      Als erinnerte sie sich dann aber an etwas Vergessenes, hemmte sie jäh ihre heftige Bewegung; ihr Gesicht wurde ernst, und kniend warf sie sich vor einem Kreuz am Kopfende des Bettes nieder. Sie faltete ihre Hände und richtete ein langes Dankgebet an den Herrn, der ihren Freund und Bruder Adolf hatte genesen lassen. Dann erhob sie sich, blickte noch einmal den Ritter an und sprach fröhlich:

      „Haltet Euch recht still, Herr Adolf, und rühret Euch nicht, so hat es Meister Rogaert geheißen.“

      „Was habt Ihr nicht alles für mich getan, durchlauchtigste Tochter meines Herrn,“ sprach Adolf. „Beständig vernahm ich Eure Gebete, so manches Mal hat Eure tröstende Stimme mein Herz gestärkt! Ja, im Schlummer schien es mir, daß ein Engel Gottes den Tod von meinem Bett abwehrte. Ein Engel, der mein Haupt stützte, meinen brennenden Durst mitleidig stillte und mir unaufhörlich versicherte, daß ich nicht sterben würde. Möge Gott mir bald meine Gesundheit wieder geben, auf daß ich mein Blut für die Euren vergießen kann.“

      „Herr van Nieuwland,“ entgegnete das Mägdelein, „Ihr habt Euer Leben für meinen Vater gewagt; Ihr liebt ihn so treu wie ich; ziemte es mir da nicht, Euch meine Dankbarkeit zu beweisen und für Euch wie für meinen Bruder zu sorgen? Der Engel, den Ihr sahet, war der heilige Michael, den ich bat, daß er Euch seine Hilfe leihe. – Nun will ich geschwind Eure gute Schwester Maria rufen; sie soll sich mit mir über Eure Besserung freuen.“

      Sie verließ den Ritter und kam einige Augenblicke danach mit Maria ins Gemach zurück. Ihre Freude über die Fortschritte in Adolfs Befinden sprach aus ihren Zügen und ihrer ganzen Haltung. Ihre Bewegungen wurden rascher und bestimmter; die Tränen waren versiegt, und der treue Vogel hörte wieder heitere Worte. Sobald sie mit Maria in das Gemach zurückgekehrt war, hatte sie den Falken vom Stuhl auf ihre Hand genommen und war mit ihm an Adolfs Bett getreten.

      „Mein teurer Bruder,“ rief Maria und küßte ihn auf die bleiche Wange, „du wirst gesund; nun werden die trüben Träume von mir weichen. O, wie bin ich froh! Wie oft habe ich an deinem Bette in bittrem Herzeleid geweint, wie oft glaubte ich, daß du sterben würdest, doch nun schwindet aller Gram. Willst du trinken, Bruder?“

      „Nein, gute Maria,“ antwortete Adolf. „Nie habe ich in meiner Krankheit Durst gelitten: hat mich doch die edelmütige Machteld gar fürsorglich gelabt! Sobald ich nur zum heiligen Kreuz[18] wandern kann, soll mein Gebet den Segen Gottes auf sie niederflehen, auf daß ihr nie ein Unglück widerfahren möge.“

      Inzwischen erzählte Machteld eifrig flüsternd ihrem Falken von der erfreulichen Besserung. Als der Vogel seine Gebieterin so fröhlich sah, schüttelte er sein Gefieder, als rüstete er sich zur Jagd.

      „Treuer Vogel,“ sagte das Mägdelein, indem es des Falken Kopf Adolf zuwandte, „sieh, nun wird Herr van Nieuwland gesund, den wir so lange in tiefem Schweigen daliegen sahen. Nun können wir zusammen sprechen und werden nicht mehr so im Dunkeln sitzen. Unsere Furcht entschwand, und so wird auch aller Kummer entweichen, denn nun wirst du wohl inne, daß Gott gütig und gerecht ist. Ja, mein schöner Falke, so endet wohl auch dereinst die bittere Gefangenschaft von …“

      Hier merkte Machteld, daß sie fast etwas gesagt hätte, was der kranke Ritter nicht wissen sollte. Aber brach sie auch kurz ab, das Wort „Gefangenschaft“ erklang befremdend in Adolfs Ohr. Auch die Tränen, die er bei seinem Erwachen auf des Mägdeleins Wangen bemerkt hatte, erfüllten ihn nun mit banger Ahnung.

      „Was sagt Ihr, Machteld?“ rief er, „von wessen Gefangenschaft sprecht Ihr? Ihr weint! Himmel, was ist Euch widerfahren?“

      Machteld durfte nicht antworten; aber Maria lenkte geschickt ein und flüsterte ihm ins Ohr:

      „Sie meint die Gefangenschaft ihrer Tante Philippa; sprich nicht mehr darüber; denn sie weint unaufhörlich. Da es dir nun besser geht, kann ich bald Wichtiges mit dir besprechen, wenn Meister Rogaert es erlaubt; aber sie darf uns nicht hören, auch will ich erst Meister Rogaert erwarten. Nun bleib' ruhig, lieber Bruder, ich will Machteld in ein anderes Zimmer führen.“

      Der Ritter ließ sein Haupt in die Kissen sinken und stellte sich, als ob er ruhe. Alsbald wandte sich Maria zu Machteld und sprach:

      „Kommt, laßt uns gehen; denn Adolf möchte ein wenig schlafen. Aus Dankbarkeit gegen Euch spricht er zu viel.“

      Das Mädchen folgte willig ihrer Freundin. Bald darauf trat der Wundarzt Rogaert ein, und Maria führte ihn zu ihrem Bruder.

      „Nun, Herr Adolf,“ rief Rogaert und ergriff seine Hand, „ich sehe, es geht gut. Nur keine Furcht, wir sind nun über den Berg. Ich brauche Eure Wunde jetzt nicht zu verbinden. Trinkt nur reichlich von diesem Wasser und haltet Euch so ruhig wie möglich. In weniger als einem Monat werden wir eine Wanderung zusammen machen, wenn nicht ganz unvorhergesehene Rückfälle


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