Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr. Franz Werfel

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Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr - Franz Werfel


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Welt. In diesem Kriege leisten sie Unübertreffliches. Ich persönlich freue mich immer, wenn ich einen deutschen Herrn hier bei mir begrüßen darf.«

      Pastor Lepsius weiß sehr wohl, daß Enver Pascha im Komitee die französische Partei vertrat und vielleicht heimlich noch immer vertritt und daß er sich lange dagegen gesträubt hat, an der Seite Deutschlands und nicht der Alliierten in den Krieg zu treten. Da diese Frage aber im Augenblick ganz gleichgültig ist, fährt Lepsius in dem tastenden Austausch von Höflichkeiten fort:

      »Exzellenz besitzen in Deutschland eine große Anzahl von ergebenen Bewunderern. Man erwartet von Ihnen weltbewegende Taten.«

      Augenaufschlag Envers. Eine kleine Gebärde der Hand, welche sich gegen die Anforderungen, die in solcher Schmeichelei stecken, müde zu wehren scheint. Schweigen, das ungefähr bedeutet: Nun sieh zu, mein Lieber, wie du mich in deine Gasse kriegst. Lepsius wendet den Kopf lauschend zum Fenster, durch das kein anderer Laut dringt als das leise Pfeifen und Klingeln des Bosporus-Verkehrs:

      »Ich habe die Bemerkung gemacht, daß die Stimmung hier in Stambul sehr begeistert ist. Besonders heute herrscht ein imposantes Treiben.«

      Der General entschließt sich mit seiner angenehmen, aber jetzt gleichgültigen Stimme zu einem Kernsatz im Stil patriotischer Verlautbarungen:

      »Der Krieg ist schwer. Aber unser Volk weiß, was es sich schuldig ist.«

      Erster Ausfall des Deutschen:

      »Ist es im Innern ebenso, Exzellenz?«

      Enver schaut erfreut in die fernste Ferne:

      »Gewiß, im Innern gehen große Dinge vor sich.«

      »Exzellenz, diese großen Dinge sind mir wohlbekannt.«

      Der Kriegsminister mißversteht mit einem leichten Erstaunen. Für den ersten Mann eines Riesenreichs hat er eine ausnehmend jungenhafte Gesichtsfarbe:

      »Die Lage an der Kaukasusfront bessert sich von Tag zu Tag. Über die Südarmee Dschemals und Ihres Landsmannes Kreß zu reden, ist freilich noch verfrüht.«

      »Sehr erfreulich, Exzellenz! Aber ich habe unter dem Innern nicht das Kriegsgebiet verstanden, sondern die friedlichen Vilajets.«

      »Während sich ein Staat im Kriege befindet, sind alle seine Gouvernements Kriegsgebiet, mehr oder weniger.«

      Dieser Satz bekommt einen leichten Nachdruck mit auf den Weg. Das Vorpostengeplänkel ist damit zuungunsten des Pastors entschieden, der zu einem Frontangriff übergehen muß:

      »Exzellenz wissen vielleicht, daß ich nicht auf eigene Faust hierhergekommen bin, sondern als Vorsitzender der deutschen Orientgesellschaft, der ich über gewisse Vorgänge Bericht zu erstatten habe.«

      Verwunderter Augenaufschlag Envers. Was ist das für ein Ding, Orientgesellschaft?

      »Das Auswärtige Amt, ja der Herr Reichskanzler selbst nimmt an meiner Mission lebhaften Anteil. Nach meiner Rückkehr werde ich zur Information der Abgeordneten und der deutschen Presse einen Vortrag im Reichstag über die armenische Frage halten.«

      Enver Pascha, der, mit routinierter Geduld zu Boden schauend, dem Besucher zuhört, hebt bei den Worten »armenische Frage« den Kopf. Der Unmut eines verzogenen Kindes, das die ernsten Leute immer mit dem gleichen Unsinn belästigen, umwölkt einen Augenblick seine Miene. Doch sofort ist wieder alles in Ordnung. Dem Lepsius aber geht das Herz jetzt schon durch:

      »Ich komme in meiner Not zu Ihnen, Exzellenz, weil ich überzeugt bin, daß ein Feldherr Ihres Ranges, ein Held, nichts tut, was seinen Namen in der Geschichte verdunkeln könnte.«

      »Ich weiß, Herr Lepsius«, ergreift Enver Pascha mit wohlwollendster Nachsicht das Wort, »daß Sie hierhergekommen sind und diese Unterredung gewünscht haben, um über die bewußte Sache Aufklärung zu verlangen. Obwohl mich tausend wichtige Angelegenheiten in Anspruch nehmen, bin ich bereit, Ihnen hier jede Zeit zu widmen und jede gewünschte Auskunft zu erteilen.«

      Lepsius muß diese Opfer mit einer Bewegung tiefer Dankbarkeit entgegennehmen.

      »Seitdem meine Freunde und ich die Regierung leiten«, beginnt der General, »waren wir immer bestrebt, der armenischen Millet jegliche Förderung und unbedingte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es liegen alte Verabredungen vor. Ihre armenischen Freunde haben unsere Revolution aufs lebhafteste begrüßt und alle erdenklichen Schwüre geleistet, uns die Treue zu bewahren. Diese Schwüre haben sie dann über Nacht gebrochen. Wir drückten beide Augen zu, solange wie möglich, solange die osmanische Nation, das Staatsvolk, nicht gefährdet war. Wir leben doch in der Türkei, nicht wahr? Als sich aber nach Kriegsausbruch die Fälle von Hochverrat, Felonie, subversiver Gesinnung mehrten, als die Desertion schauderhaft überhandnahm, als es zu offenem Aufruhr kam, ich erinnere nur an die große Revolte von Zeitun, da waren wir zu Gegenmaßregeln gezwungen, wenn wir nicht das Recht verlieren wollten, eine Volksregierung zu sein und Krieg zu führen.«

      Lepsius nickt, als sei er auf dem besten Wege, überzeugt zu werden:

      »Worin, Exzellenz, bestanden die gerichtlich erwiesenen Fälle von Hochverrat und Felonie?«

      Große Handbewegung Envers, als lasse sich die Fülle der Verbrechen gar nicht ausschöpfen:

      »Konspiration mit Rußland. Das Lob, das Sassonow den Armeniern in der Petersburger Duma erteilt hat, sagt genug. Ferner Verschwörungen mit Frankreich und England. Umtriebe, Spionage, alles was sich nur denken läßt.«

      »Und hat man über diese Fälle regelrechte Gerichtsprozesse geführt?«

      »Kriegsgericht natürlich. Bei Ihnen wäre das ja nicht anders. Vor kurzem wurden fünfzehn der ärgsten Fälle abgeurteilt und öffentlich hingerichtet.«

      Naive Frechheit, stellt Lepsius innerlich fest. Er lehnt sich zurück und sucht das Beben seiner Stimme zu beherrschen:

      »Meines Wissens sind diese fünfzehn armenischen Männer schon längst vor dem Krieg verhaftet worden, folglich können sie sich doch schwerlich des Hochverrats nach geltendem Kriegsrecht schuldig gemacht haben.«

      »Wir kommen selbst von der Revolution her«, antwortet der General nicht zur Sache, aber dafür mit der Heiterkeit eines Knaben, der sich köstlicher Streiche erinnert. »Wir wissen sehr gut, wie das gemacht wird.«

      Lepsius verschluckt ein Kraftwort über die Revolution und räuspert sich zu einer neuen Frage hinüber:

      »Und die armenischen Notabeln und Intellektuellen, die Sie hier in Stambul inhaftiert und abgeschoben haben, sind die auch des Hochverrats überwiesen?«

      »Sie werden einsehen, daß wir auch nur mögliche Hochverräter in nächster Nähe der Dardanellenfront nicht dulden können.«

      Johannes Lepsius widerspricht nicht, sondern wirft sich mit einem jähen Temperamentsausbruch auf die Hauptsache:

      »Aber Zeitun! Ich möchte dringend Ihre Ansicht über Zeitun hören, Exzellenz!«

      Enver Paschas blitzblanke Freundlichkeit verfinstert sich feierlich:

      »Der Aufruhr von Zeitun war eine der größten und infamsten Revolten in der Geschichte des türkischen Reichs. Der Kampf mit den Insurgenten hat unseren Truppen leider schwere Verluste gekostet, wenn ich sie Ihnen auch auswendig nicht nennen kann.«

      »Ich habe über Zeitun andere Berichte als Exzellenz« – Lepsius führt diesen Schlag mit stockenden Silben –, »meine Berichte sprechen von keinem Aufruhr in der dortigen Bevölkerung, sondern von monatelanger Herausforderung und Bedrückung durch die Bezirks- und Sandschakbehörden. In ihnen ist von einem Nichts die Rede, das ein stärkeres Polizeiaufgebot hätte bereinigen können, während in der militärischen Assistenz von einigen tausend Mann für jeden gerechten Menschen die vorgefaßte Absicht deutlich wird.«

      »Sie wurden mit falschen Informationen bedient«, meint der General unberührt artig. »Darf ich die Herkunft Ihrer Berichte erfahren, Herr Lepsius?«

      »Ich werde einige nennen, schicke aber voraus, daß armenische


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