Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr. Franz Werfel

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Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr - Franz Werfel


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zu Hause sein. Krikor, Gabriel und Schatakhian gingen voraus. Stephan folgte mit Iskuhi. Dann kam Hrand Oskanian allein. Der schwarze Lehrer gab durch seine unnahbare Miene zu verstehen, daß er sich mit der Welt zerfallen fühlte. Hie und da brachte er mit heimlich wütenden Stößen die Steine auf dem Wege ins Rollen, als plane er rachsüchtige Anschläge gegen die Vorangehenden. Die letzte war Juliette, an die sich Gonzague Maris hielt. Awakian wollte erst eine Weile später nachkommen. Er benützte die Gelegenheit, noch ein paar Verbesserungen an seiner Karte anzubringen. Bagradian hatte den Befehl gegeben, die Zelte vorläufig nicht abzubrechen. Irgend jemand von den Stalleuten sollte immer zu ihrem Schutz auf dem Damlajik bleiben. Vielleicht würde in nächster Zeit neuerdings eine Partie unternommen werden. Ein Grund dieses Befehls war Bagradians Aberglaube, daß durch derartige Vorbereitungen sich die Kraft des Schicksals brechen lasse. Der elende Maultierweg verschwand stellenweise in Gestrüpp und Geröll. Juliettens leichtbeschuhte und verwöhnte Füße zagten erschrocken vor diesen Hindernissen. Gonzague reichte ihr dann mit festem Griff die Hand. Dabei kam es zwischen beiden zu einem abgerissenen und ungenauen Gespräch:

      »Es geht mir nicht aus dem Kopf, daß wir hier die einzigen Fremden sind, Madame.«

      Juliette prüfte ängstlich den Boden unter ihren Sohlen:

      »Sie sind doch wenigstens Grieche ... Das ist ja gar nicht so fremd ...«

      Gonzague ließ sie die Schwierigkeit ohne seine Hilfe überwinden:

      »Wie ...? Ich bin in Amerika erzogen ... Sie aber sind schon sehr lange Zeit mit einem Armenier verheiratet.«

      »Ja, ich habe einen Grund, hier zu leben ... Aber Sie?«

      »Bei mir kommen im Leben die Gründe immer erst nachher.«

      Man war auf einem abschüssigen Stück ins Laufen gekommen. Juliette blieb aufatmend stehen:

      »Ich habe nie verstanden, was Sie hier suchen ... Sie sind ja nicht sehr offenherzig in diesen Dingen ... Was hat ein Amerikaner, der nicht gerade mit Lammfellen, Baumwolle oder Galläpfeln handelt, in Alexandrette zu suchen?«

      »Wenn ich auch nicht offenherzig bin, ... bitte hier aufzupassen, ... kann ich Ihnen das gerne verraten ... Ich war als Klavierbegleiter einer reisenden Music Hall angestellt ... Armselige Geschichte ... Obgleich mein Herbergsvater Krikor eine große Meinung davon hat ...«

      »So? ... Und dann haben Sie Ihre Künstlerinnen schnöde verlassen ... Wo ist die Truppe jetzt? ...«

      »Sie hat Verträge für Aleppo, Damaskus und Beirut ...«

      »Und da haben Sie sich davongemacht? ...«

      »Sehr richtig! ... Es war eine ausgesprochene Flucht ... Das ist eine meiner Krankheiten ...«

      »Flucht? ... Ein blutjunger Mensch wie Sie!? ... Nun, Sie werden schon einen triftigen Grund gehabt haben ...«

      »Ich bin gar nicht so blutjung, wie Sie meinen ...«

      »Mein Gott, dieser Weg! ... Ich habe die Schuhe voll von Steinen ... Bitte geben Sie mir Ihre Hand! ... So! ...«

      Sie klammerte sich mit der linken Hand an Gonzague fest. Mit der Rechten schüttelte sie ihre Halbschuhe aus. Er aber blieb bei seiner Frage:

      »Wie alt bin ich nach Ihrer Meinung? ... Raten Sie! ...«

      »Dazu bin ich wirklich nicht in der Stimmung ...«

      Gonzague, ernst und wie mit Gewissensbissen:

      »Zweiunddreißig!«

      Juliette, kurz auflachend:

      »Für einen Mann!? ...«

      »Ich habe sicher die Welt mehr gesehen als Sie, Madame ... Wenn man so herumgestoßen wird, sieht man die Wahrheit ...«

      »Gott weiß, wo die andern schon sind ... Hallo! ... Sie könnten auch Antwort geben ...«

      »Wir kommen zurecht ...«

      Als der Weg wieder steil und struppig wurde, blieb Juliette neuerdings stehn:

      »Ich bin solche Klettereien nicht gewöhnt ... Mich schmerzen die Beine ... Bleiben wir einen Augenblick! ...«

      »Hier kann man sich nirgendwo hinsetzen ...«

      »Ich sage Ihnen, Gonzague, schauen Sie, daß Sie von Yoghonoluk fortkommen! ... Was kann Ihnen geschehen? ... Sie sind amerikanischer Staatsbürger ... Auch sehen Sie gar nicht armenisch aus ...«

      »Sondern? ... Französisch? ...«

      »Das brauchen Sie sich wieder auch nicht einzubilden ...«

      Der kleine Bach, der die Steineichenschlucht durchfloß, kreuzte den Weg. Nicht einmal ein Baumstamm lag zum Übergang da. Gonzague hob Juliette, so groß sie war, mit leichtem Schwung hinüber. Seinen schmalen Schultern hätte man diese Kraft nicht zugetraut. Sie fühlte die Finger des Mannes wie unverliebte Kühle um ihre Hüften. Der Pfad wurde nun sanfter und sie beschleunigten ihren Schritt. Gonzague berührte die wesentlichste Frage:

      »Und Gabriel Bagradian? Warum bleibt denn er? Hat er gar keine Möglichkeiten, die Türkei zu verlassen?«

      »Im Krieg? ... Wohin? ... Wir sind türkische Untertanen ... Gabriel ist dienstpflichtig ... Man hat uns die Pässe abgenommen ... Wer versteht diese Wilden? ...«

      »Sie sehen aber doch wahrhaftig genug französisch aus, Juliette ... Nein, eigentlich sehen Sie wie eine Engländerin aus ...«

      »Französin? ... Engländerin? ... Was heißt das? ...«

      »Mit ein wenig Mut kommen Sie, gerade Sie, überall hin ...«

      »Ich bin Frau und Mutter!«

      Juliette schritt jetzt so schnell aus, daß Gonzague ein Stück hinter ihr gehn mußte. Sie vermeinte, den Hauch seiner Worte zu spüren: »Das Leben ist das Leben.« Sie drehte sich kurz um:

      »Wenn das Ihre Absicht ist, warum bleiben Sie dann in Asien?«

      »Ich? Es ist jetzt Krieg für alle Männer der Welt.«

      Juliettens Eile beschwichtigte sich wieder:

      »Sie haben es so leicht, Gonzague! Wenn wir Ihren amerikanischen Paß hätten! Sie könnten ganz gut Ihrer Gesellschaft nach Damaskus oder Beirût nachreisen. Warum versteifen Sie sich gerade auf diesen gottverlassenen Erdenfleck?«

      »Warum?« Gonzague konnte jetzt ganz dicht neben Juliette gehn. »Warum? Wenn ich das ganz genau wüßte, könnte ich es Ihnen, Juliette, vielleicht am allerwenigsten sagen.«

      An der nächsten Biegung wartete Oskanian. Er hatte sich selbst überwunden und gesellte sich nun zu dem Paar, Juliette dann und wann mit finster gebieterischem Blick verzehrend. Bis zum Gartentor der Villa wurde kaum ein Wort mehr gesprochen.

      Wahrlich, vom Geiste getrieben, hatte Gabriel Bagradian seine Generalprobe in letzter Stunde angesetzt. Im Haustor erwartete ihn Ali Nassif, der Pockennarbige:

      »Herr, ich komme mir meine Medjidjehs holen, auf die du mir eine kleine Anzahlung gegeben hast.«

      Gabriel entnahm seiner Brieftasche ein Papierpfund und reichte es Ali mit ruhiger Hand, als sei alles in Ordnung und der mündlichen Gegenleistung könne ohne Ungeduld entgegengesehen werden. Der alte Saptieh nahm das Geld vorsichtig:

      »Ich vergehe mich schwer gegen meinen Befehl. Du aber wirst mich nicht verraten, Effendi!«

      »Das Geld hast du genommen. Berichte!«

      Ali Nassif begann schmerzlich umherzuzwinkern:

      »In drei Tagen werden der Müdir und der Hauptmann von der Polizei in die Dörfer kommen.«

      Bagradian stellte seinen Stock in einen Winkel und befreite sich von dem Feldstecher, der ihm über die Schulter hing:

      »So? Und was werden sie uns Gutes in die Dörfer bringen, der Polizeihauptmann und der Müdir?«

      Der Gendarm begann sein Stoppelkinn zu reiben:


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