Vom beinahe vollkommenen Menschen. Lukian

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Vom beinahe vollkommenen Menschen - Lukian


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bisschen einzunicken – alles dies führte dazu, dass ich seit langer Zeit auf Attika nicht einmal mehr herabgesehen habe, zumal seit die Philosophie und das Disputieren dort aufgekommen sind. Denn das ist ein Streiten und ein Schreien, dass man nicht einmal die Worte der Betenden davor hören kann. Entweder muss ich mit verstopften Ohren dasitzen oder zugrunde gehen bei dem ewigen Geplärr über das Ding, das sie Tugend nennen, über unkörperliche Wesen und andere Lappalien dieser Art.18 Und so unterlief es uns auch, dass wir diesen da ganz außer Acht ließen, wiewohl er durchaus kein unrechter Mann ist.

      (10) Umso mehr beeile dich, Hermes, dich zugleich mit Plutos19 dich zu ihm zu verfügen. Plutos soll Thesauros20 mitnehmen, und beide sollen bei Timon bleiben und ihn nicht so leicht wieder verlassen, auch wenn er sie aus lauter Ehrlichkeit aufs Neue zum Haus hinausjagen wollte. Was aber jene Schmarotzer und ihre an ihm bewiesene Undankbarkeit betrifft, so werde ich sie schon finden. Sie werden es büßen müssen, sobald mein Blitz ausgebessert sein wird. Denn gerade die zwei besten Zacken daran sind stumpf geworden und abgebrochen, als ich ihn neulich ein wenig zu hitzig gegen den Sophisten Anaxagoras21 schleuderte, der seine Zuhörer bereden wollte, an der Existenz von Göttern sei gar nichts dran. Leider traf ich ihn nicht, weil Perikles die Hand über ihn hielt, und der Blitz fuhr daneben in das Anakeion,22 wo er zündete und beinahe selbst am Burgfelsen zerschellt wäre. Doch wird es gewiss eine hinreichende Strafe für die Schurken sein, wenn sie den Timon wieder so steinreich sehen werden.

      Hermes (11) [für sich, indem er den Plutos holt]. Wie gut war es doch, dass er echt laut geschrien hat und so grob und unverschämt gewesen ist! Nicht beim Prozessieren allein, sondern auch beim Beten ist das nützlich. Siehe da, jetzt wird der blutarme Timon auf einmal wieder ein reicher Mann, bloß weil er durch sein Geschrei und seine Freimütigkeit, mit welcher er betete, die Aufmerksamkeit des Zeus auf sich gezogen hat. Hätte er, über seine Hacke gebeugt, stillgeschwiegen, er dürfte wahrlich noch weiterhacken, ohne dass sich eine Seele um ihn bekümmert hätte.

      Plutos. Ich mag mich nicht zu ihm begeben, o Zeus.

      Zeus. Warum denn nicht, mein Bester? Du weißt doch, dass ich es so will.

      Plutos. (12) Beim Zeus, hat er mich nicht misshandelt und ausgeleert, in Stücke gerissen, ungeachtet dessen, dass ich schon von seinem Vater her sein Freund gewesen war? Hat er mich nicht fast mit der Mistgabel aus dem Haus gestoßen oder wie einen brennenden Funken mit der Hand eiligst weggeschleudert? Soll ich aufs Neue zu den Schmarotzern und Schmeichlern wandern und mich an Hetären verschenken lassen? Zu rechten Leuten schicke mich, o Zeus, die dein Geschenk zu würdigen wissen, die sich meiner annehmen, denen ich wert und teuer bin. Solche dummen Gimpel aber sollen bei ihrer Peneia23 bleiben, die sie uns ja doch vorziehen, und sich ein Ziegenfell und eine Hacke von ihr geben lassen. Mögen diese Tröpfe, welche Geschenke von zehn Talenten in ihrer Sorglosigkeit verschleudert haben, nun mit einem Verdienst von vier Obolen vorliebnehmen.24

      Zeus. (13) Nichts Derartiges wird Timon dir mehr antun. Die Hacke wird ihn schon gelehrt haben, dir den Vorzug vor Peneia zu geben, er müsste denn keine Empfindung in seinen Lenden haben. Du kommst mir allerdings vor wie ein Mensch, dem man es nicht recht machen kann. Jetzt beschwerst du sich über Timon, dass er dir die Tür öffnete und dich frei herumgehen ließ, ohne dich eifersüchtig zu bewachen, ein anderes Mal schimpfst du auf die Reichen, sagst, sie sperren dich hinter Riegel, Schlösser und Siegel, sodass du keinen Augenblick ans Tageslicht hervorkriechen könntest. Hast du nicht öfter bei mir geklagt, du müsstest ersticken in der dumpfen Finsternis? Du sahst blass und sorgenvoll aus, hattest vom unaufhörlichen Geldzählen krumme Finger und drohtest, bei der ersten Gelegenheit davonzulaufen. Kurz, es war dir eine unerträgliche Lage, in einem eisernen oder ehernen Zimmer wie Danaë,25 unberührt eingeschlossen zu sein und von zwei scharfen und schlimmen Pädagogen, dem Wucher und dem Einmaleins, in Zucht gehalten zu werden.

      (14) Du erklärtest alle diejenigen für Narren, die rasend in dich verliebt wären und sich doch nicht trauten, sich deinem Genuss ohne Scheu zu überlassen (obwohl sie es könnten und deiner vollkommen Herr wären), sondern dich lieber mit steif und fest auf Schloss und Riegel gerichteten Blicken bewachen, indem sie sich mit dem Genuss zufriedengaben, nicht nur zu wissen, dass sie dich genießen könnten, wenn sie wollten, sondern vor allem dass sie diesen Genuss jedem verwehren, wie der Hund in der Krippe, der weder selbst den Hafer frisst, noch das hungrige Pferd dies tun lässt. Auch lachtest du über die wachsamen Knauser, die, während sie – merkwürdig genug – neidisch gegen sich selbst wären, es doch nicht gewahr würden, wie ein Schurke von Sklaven, ein Hausmeister oder ein Kinderwärter sich heimlich in die Vorratskammer schleicht und sich’s dort auf Kosten des armen Teufels von Hausherrn wohl sein lässt, der inzwischen bei einer düsteren enghalsigen Lampe mit magerem Docht aufbleibt und seine Zinsen berechnet. Dies alles legst du sonst den Reichen zur Last. Ist es nun nicht ungerecht, dem Timon das Gegenteil zum Vorwurf zu machen?

      Plutos. (15) Und doch wirst du bei genauer Prüfung finden, dass ich zu beidem meine guten Gründe habe. Mit Recht nehme ich an, dass Timon mich deswegen so leichtsinnig vergeudete, weil er gleichgültig gegen mich und ohne alle Zuneigung war. Diejenigen aber, die mich in ein finsteres Gemach verschließen und bewachen, damit ich dicker, fetter und schwerer werden möge, und mich weder anrühren noch jemals an das Tageslicht kommen lassen, damit ich von keinem Menschen gesehen werde, halte ich für Toren und klage sie der Misshandlung an, weil sie mich unschuldig unter so schweren Fesseln verfaulen lassen, ohne zu bedenken, dass sie in Kürze von dannen ziehen müssen, um mich einem anderen Glücklichen zu überlassen.

      (16) Ich lobe mir also ebenso wenig diese Letzteren als jene, die gar zu schnell mit mir fertig werden, sondern die, was ja überall das Beste ist, die auch hierin Maß halten und mich weder wegwerfen noch mich unberührt lassen. Beim Zeus, bedenke selbst, Göttervater, wenn einer ein junges und schönes Mädchen förmlich zur Frau nähme und wäre dann, statt sie zu Hause zu behalten, so wenig eifersüchtig, dass er sie Tag und Nacht herumschwärmen und mit jedem Beliebigen sich abgeben ließe oder sie wohl gar noch selbst anderen Freiern zuführen würde, fremde Türen öffnete oder den Kuppler im eigenen Hause machte – würde wohl dieser Mann für ihren Liebhaber gelten können? Dies würdest jedenfalls du, Zeus, nicht zugeben, da du ja die Liebe aus so vielfältiger eigener Erfahrung kennst.

      (17) Auf der anderen Seite denke dir einen Mann, der eine frei geborene, blühende und schöne junge Frau zwecks der Zeugung rechtmäßiger Nachkommenschaft als Gattin in sein Haus führte, dieselbe aber ebenso wenig selbst berührte wie anderen auch nur ihren Anblick gestattete, sondern sie zu ewiger unfruchtbarer Jungfernschaft verurteilte und einsperrte, während er sich doch für ihren Liebhaber erklärte und das Gepräge desselben in seiner fahlen Hautfarbe, seiner Magerkeit und seinen blassen und eingefallenen Augen trüge – würdest du ihn nicht für verrückt halten, da er, statt Kinder zu zeugen und die Freude der Ehe zu genießen, das wohlgestaltete liebliche Mädchen wie eine Priesterin der Demeter26 lebenslänglich zu Hause hält und verwelken lässt? Dasselbe ist’s, was mich auf die Menschen so böse macht, die mich entweder schmählich mit Füßen treten und zerfleischen und erschöpfen oder mich wie einen Sklaven behandeln, den man mit Fußeisen und Brandmalen am Abhauen hindert.

      Zeus. (18) Ereifere dich doch nicht so sehr, sie büßen ja beide gehörig. Die einen schnappen mit dürrer Zunge ohne jede Erquickung, wie Tantalos,27 nur nach dem Gold, während gierige Harpyien28 den anderen, wie einst dem Phineus,29 die Nahrung aus dem Maule stehlen. Doch jetzt geh endlich und sei gewiss, in Timon nunmehr einen weit vernünftigeren Mann zu finden.

      Plutos. Wie? Der sollte jemals aufhören, mich absichtlich mit einem durchlöcherten Korb zu schöpfen, aus Furcht, überschwemmt zu werden, wenn ich ihm in aller Fülle zuströmte? Gewiss, es wird nicht anders sein, als ob ich Wasser in das Fass der Danaïden gießen wollte.30 Ich werde vergeblich zugießen, denn weil das Loch zu groß ist, wird alles geschwinder wieder ausgelaufen sein als ich nachgießen kann.

      Zeus. (19) Nun, wenn er dies Loch nicht zumachen will und dich abermals auslaufen lässt, so wird er wenigstens seinen Ziegenpelz und seine Hacke auf dem Boden wiederfinden. Aber seht nun zu, dass ihr fortkommt und ihn reich macht. Und du Hermes, vergiss mir nicht, auf dem Rückweg die Kyklopen vom Ätna31 mitzubringen,


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