Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

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Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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und Roß sind wohl einer Beschreibung wert.

      Der Mann trug einen arg vom Rost zerfressenen Brustharnisch über einem langgedienten, abgeschabten, hellgrünen Wams, einen eingedrückten, grünen Spitzhut mit einer roten Hahnenfeder, an welcher Ratten genagt zu haben schienen. Ein Faustrohr hatte er vor sich quer über den schäbigen, mit einem Schaffell überzogenen Sattel gelegt, und ein breites, kurzes Schwert hing an einem breiten Bandelier an seiner linken Seite. Auch fehlte nicht ein tüchtiges Dolchmesser im Gürtel an der Rechten. In der rechten Hand hielt er eine Trompete, welche eigentlich seine Hauptwaffe war, – er nannte sich Tileke Eckenbrecher und war Stadttrompeter von Holzminden.

      Kleine, schwimmende, blinzelnde Augen blickten lustig und verwegen über eine große, rote, versoffene Nase, unter welcher ein verwahrloster Schnauzbart struppig über einen sehr respektablen Mund herabhing.

      Eine gewisse zwanglose Ungebundenheit sprach sich in allen Bewegungen des Mannes aus und schien sogar sich auf gewisse Weise dem Reittier desselben, welches ganz zu seinem Reiter paßte, mitzuteilen.

      Hochbeinig, hager, das Knochengestell behangen mit einem schlotternden, viel zu weiten, abgetragenen fuchsfarbenen Fell, stand es da und schien gleich seinem Herrn sein Seelengaudium an dem vorgehenden Spaß der Plünderung von Dassel zu haben und die ganze Sache für eine höchst angenehme Abwechselung des Alltagslebens zu nehmen. Für gewöhnlich ging es nämlich neben einer schwarzbunten Kuh einträchtiglich vor dem Pfluge oder dem Mistwagen und

      dulce est desipere in loco. –

      Seit man die unglücklichen Burschen von Dassel aus ihrer qualmenden Kirche hervorgezogen hatte, hatte Tileke Eckenbrecher seine ganze Aufmerksamkeit einem jungen Weibe zugewandt, welches bis zum letzten Augenblick mit großem Geschrei sich dem kurzen Prozesse widersetzte, den man mit dem armen Teufel Lüdike Leifheit machte.

      Dem gutmütigen Bürgermeister von Holzminden hatte dieses Weib die Gewährung der Gnade abgefleht und abgejammert; aber leider waren der Bürgermeister von Stadtoldendorf, die Ritter und das wüste, grimmige Volk aus den Bergen unerbittlich geblieben. Der Bürgermeister von Holzminden mußte also das Ding laufen lassen, wie es lief, so daß der armen Alheit Leifheit endlich nichts mehr übrig war, als sich die Haare zu raufen über dem kopflosen Tölpel Lüdike, ihrem – seligen Manne.

      Der Stadtzinkenist von Holzminden schüttelte bedachtsam das würdige Haupt, schneuzte sich mit dem Daumen und dem Zeigefinger und strich mit dem spiegelblanken Ärmel unter der Nase her – alles aus Rührung! Sein Fuchs schüttelte natürlich ebenfalls den verwegenen Kopf und blickte grade so seltsam verstört unter dem kurzen Stirnhaar hervor wie sein Herr unter seinem in die Stirn gezogenen Hute.

      »Alle Hageldonnerwetter – ist das ein Vergnügen!« sagte der Stadtzinkenist von Holzminden. –

      Als nun zuletzt keine Häuser mehr zu verbrennen, keine Töpfe und Pfannen mehr den unglücklichen Weibern vor der Nase zu zerschlagen waren, als alles Vieh und sonstige Wertvolle unter die Plünderer verteilt war, Holtegel und Leifheit nach besten Können und Kräften abgetan waren, fing die Heldenschar an, auf den Abmarsch aus dem verwüsteten Flecken zu denken, und fand, daß dem nichts mehr im Wege stand.

      Man knebelte also zum Beschlusse sechzehn der angesehensten Einwohner von Dassel die Hände auf dem Rücken zusammen, um womöglich späterhin noch Lösegelder von ihnen zu erpressen, teilte sich auch darin, und dann zogen Ritter, Bürger und Bauern, sehr zufrieden mit ihrem Tagewerk, am Martinsabend eintausendfünfhundertundneunzehn von dannen, ein jeglicher in seine Heimat.

      Das war die fünfte Verheerung, welche Dassel im Laufe des gesegneten sechzehnten Jahrhunderts auszustehen hatte!

      Einige Weiber nahm man ebenfalls als gute Beute mit, und der Bürgermeister von Holzminden, wie gesagt, ein weichherziger Herr, welcher in seinem Heimwesen bedeutend unter dem Pantoffel stand, hatte nichts gegen die Bitte seines Stadtpfeifers, sich der Alheit Leifheit annehmen zu dürfen, einzuwenden.

      »Bei Gott und Sankt Georgens Gaul«, sagte Meister Eckenbrecher, »es soll nichts Unehrenhaftes damit gemeint sein, Euer Gestrengen! ‘s ist mir nur von wegen der Einsamkeit in meinem Haus. Zu Holzminden will sich keine meiner erbarmen, und so mag das arme Ding mir das Wesen führen und mich zur Ordnung anhalten.«

      »Und das letztere ist Euch so notwendig wie das liebe Brot! Na, setzt nur das arme Geschöpf auf den Wagen dort und sprecht ihr ein wenig Trost zu und sagt ihr: ich könne nichts dafür, daß die Geschichte vorhin so übel ausgelaufen sei.«

      »Soll geschehen, Euer Gestrengen!« sprach der Stadttrompeter und tat, wie ihm geheißen war.

      Man brach auf.

      Nun gab es auf dem Wege durch den Sollinger Wald genug Gelegenheiten für den Trompeter, dessen sich keine mitleidige weibliche Seele in seiner Heimatsstadt annehmen wollte, die blutjunge Witwe von Dassel über den Verlust ihres rotköpfigen Ehemannes zu trösten, und es ist historisch zu beweisen, daß Meister Tileke Eckenbrecher keine einzige dieser Gelegenheiten unbenutzt vorübergehen ließ. Fort und fort trabte der Fuchs im Hahnentritt dicht neben dem Wagen her, auf dem die Alheit auf einer bunten Kiste, welche einst ihren Brautschatz enthalten hatte, saß. Es ist ebenfalls erwiesen, daß die Witwe nur auf der Hälfte des Weges ihr Gesicht weinend in der Schürze verbarg, daß sie dann anfing, von Zeit zu Zeit prüfende Seitenblicke auf die drollige Gestalt ihres Beschützers zu werfen, und daß sie sich zuletzt sogar in ein Gespräch mit demselben einließ und seine Tröstungen seufzend, aber ganz bereitwillig annahm.

      Im allerbesten Einvernehmen langte das Paar in Holzminden an, wo Glockenklang und weißgekleidete Jungfrauen und ein Lobgedicht die tapfern Sieger empfing und wo der Zinkenist der Marodeurswitwe bald darauf den annehmbaren Vorschlag tat, nach einem anständigen Trauerjahr seine eheliche Hausfrau zu werden.

      So etwas wäre gottlob jetzt freilich nicht mehr möglich; aber im Jahre fünfzehnhundertneunzehn waren die Herzen noch lange nicht so zart besaitet wie heutzutage.

      Damals stand die Zeit der ewigen Prügeleien in ihrer Blüte. Wer keine Püffe und Knüffe vertragen oder sie nicht mit Zinsen wieder heimzahlen konnte, der war übel beraten, verloren und verkauft und wurde unter die vom Weltschmerz Erfaßten gerechnet. Eine regelmäßig und unaufhörlich fortgesetzte Bearbeitung der Epidermis bleibt denn auch nicht ohne Einfluß auf die seelischen Zustände der Menschheit und stärkt nicht nur den Körper, sondern auch den Geist.

      So hatte es durchaus nichts Auffälliges, daß ein Jahr nach der Verbrennung von Dassel Tileke Eckenbrecher, der Stadttrompeter von Holzminden, und Alheit Leifheit, die Witwe des enthaupteten Lüdike, durch einen Benediktinermönch aus Corvey für die Zeitlichkeit und die Ewigkeit zusammengegeben und -genietet wurden. Der selige Gatte mochte darüber oben im blauen Himmel soviel oder sowenig Betrachtungen anstellen, als ihm gut dünkte.

      Die neue Ehe wurde bis zum Jahre 1530 in kürzern oder längern Zwischenräumen mit einem Kinde gesegnet, welches aber jedesmal, nachdem es kaum die Wände beschrieen hatte, der Welt wieder Valet sagte. Dann trat hierin ein Stillstand ein bis zum Jahre 1535, wo ein allerletzter Versuch, die Erde zu bevölkern, mit Erfolg gekrönt wurde, indem er unserm Klaus Eckenbrecher das Leben gab, seiner Mutter jedoch das ihrige kostete.

      Der Vater Tileke hatte auf diesen letzten Sprößling eigentlich gar nicht mehr gerechnet und durchaus nicht Anstand genommen, seine einstigen Erben soviel als möglich um ihre Freude wegen seines etwaigen Abscheidens zu betrügen. Sein ganzes Hab und Gut fast hatte er als ein lustiger Kauz zu seinem eigenen Vergnügen verjubelt trotz der wiederholten Einsprache seiner Hausehre, die manch liebes Mal über das schöne Sprichwort:

      »Liebschläge fallen wie Rosenblätter«

      zu seufzen hatte.

      Musikanten waren schon in jener Zeit ihres grenzenlosen Durstes wegen bekannt, und Hof und Haus, Kuh und Pferd glitten noch leichter, als jenes Kamel durch das Nadelöhr, die Gurgel des Trompeters hinab. Darob färbte sich die Nase des Wackern röter und röter, als schäme sie sich des übrigen Kerls. Sonnenuntergangsfärbig beleuchtete sie im Jahre 1540 Tileke Eckenbrechers Übertritt in die ewige Seligkeit, an deren Eingangstür der heilige Peter beim Anmarsch des Trompeters jedenfalls höchst


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