Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.Aber er ging doch, seine Reuetränen herunterschluckend, und lief mit einem Geleitbrief des guten Pastors zu einem Förster im Solling, dessen Freundschaft er schon lange erworben hatte und der ihn in seinem halbwilden Waldleben gern aufnahm. Hier, im düstern Forst, bildete er sich in allen den Künsten, an welchen sein Herz hing, mit größerm Eifer aus, als er in dem stillen Studierstüblein des geistlichen Herrn zu Holzminden an den Tag gelegt hatte. Er lernte mit der Armbrust und der Büchse umgehen, lernte jeden Laut und Ton der Vögel und Vierfüßler des Waldes nachahmen, so daß ihm der Jäger in Hellenthal bald das Zeugnis geben mußte: es stecke ein weidgerechter Jägersmann in ihm.
Auf allerlei Kreuz-und Querwegen schlug sich Klaus Eckenbrecher durch die Welt bis zum fünfundzwanzigsten März des Kometenjahres 1556, wo er uns zum erstenmal vor die Augen trat. Wie alle im wilden Wald ohne Gnade, dem Erdenleben, von einem Mißgeschick Betroffenen gab er sich, nachdem der Pfarrherr sein weinendes Töchterlein fortgeführt hatte, einem etwas verworrenen Selbstgespräch hin, welches endlich in folgenden Worten zum Abschluß gelangte:
»Ja, ich muß fort! Hier ist’s vorbei für mich! Ich muß in die weite Welt; ich halte es hier nicht mehr aus. Wahrlich, ich will sehen – bei Sankt Georgen Gaul! wie mein Vater sagte – ob es hinter den Bergen auch noch Menschen gibt oder ob da wirklich alles mit Brettern vernagelt ist, wie die Dummköpfe meinen. Ja, in der weiten Welt will ich mir die schöne Braut erobern. Ach Gott, wenn ich sie nur gleich mitnehmen könnte, die Monika! O du lieber Gott, warum hab ich doch keinen Sinn und Schick gehabt fürs Lernen und für die grausamen Bücher! Wenn der Alte nur wollte, so könnte sich wohl alles machen; aber der Alte will ja nicht! – ach, der Alte, der Alte!«
Der Redner stand plötzlich auf den Füßen und schlug die Arme übereinander: »In die weite Welt!«
Der Nachtwind, welcher in seinen Haaren wühlte, schien ihm zuflüstern und auseinandersetzen zu wollen, daß die weite Welt, welche er aus Erfahrung kenne, wohl das Beste für ihn – den Klaus – sein werde.
»Aber wohin, wohin?«
Klaus rieb sich die Stirn, biß die Zähne aufeinander und war eben daran zu beschließen, die Sache sich während eines ruhigen Schlafes in der Dachkammer eines seiner Kameraden zu überlegen, als eine ungewöhnliche Lichterscheinung am Horizont seine ganze Aufmerksamkeit erregte und ihn fürs erste noch festbannte auf der Mauer des Pfarrgartens.
In der Biegung, welche die Weser in der Nähe der Tonenburg macht, schlug plötzlich ein roter Schein empor wie von vielen Fackeln oder von einer Feuersbrunst. Zugleich glaubte Klaus den Klang ferner Trompeten und Hörner zu vernehmen.
Er täuschte sich auch nicht. Die Töne näherten sich, und bald wurde es ihm deutlich, daß der Feuerschein ebenfalls nicht an einer Stelle hafte, sondern sich langsam den Fluß hinunter bewege.
Nach einiger Zeit vernahm der aufmerksam Horchende zwischen dem Hörnerklang deutlich jubelnde Menschenstimmen und lauten, fröhlichen Gesang.
»Holla! Was gibt’s da? Alle Teufel, was ist das?« …
Das war Herr Philipp von Spiegelberg, der Graf zu Pyrmont, welcher von einem Besuche beim Abt von Corvey, einem sehr liebenswürdigen und gastfreundlichen Herrn, zurückkehrte nach seinem Schloß am heiligen Born und seiner Grafschaft, nachdem er einen sehr dringenden Brief von seiner ältesten Schwester Ursula erhalten hatte und dadurch zu seinem höchsten Ärger und zu größester Unruhe aus dem angenehmen Leben der reichen Abtei aufgestört worden war.
Der Brief, geschrieben in der Orthographie der Damen jener Zeit, welche – ich meine die Rechtschreibung – noch ein klein wenig schlechter war als die, in welcher die weiblichen Gemüter heutiger Ära ihren Herzchen in Schimpf und Glimpf Luft machen, lautete, nachdem der junge Graf mit Hülfe des Abtes die »Uilen un Apen« – Eulen und Affen – , welche das Papier bedeckten, mühsam zu Buchstaben und Worten umgesetzt hatte, folgendermaßen:
»Viel und sehr geliebter Herr Bruder!
Der Walburg und meinen besten Gruß allzuvoran Euch und unserm Herrn Abt von Corvey, dessen geistlichen Segen wir allhier in Ehrfurcht erbitten. – Kehrt doch, geliebter Bruder, nachdem Euch dieses zu Händen geworden ist, sobald heim, als es angehen wird; denn wir finden uns allhier in großer Verlegenheit, und schwindelt uns armen Weiblein der Kopf mächtiglich. Es hat sich auf einmal angefangen das bresthafte Volk um unsern heiligen Born zu sammeln, daß nun eine fast große Vergadderung daraus worden ist und niemand hier weiß, was noch daraus werden wird. Erst kam es einzeln wie Tropfen vor dem Platzregen, dann immer mehr und mehr, gleich dem Platzregen selbst, in ganzen Strömen. In hellen Haufen hat sich urplötzlich das Volk versammelt, und jetzt liegt in allen unsern Dörfern und in Lügde und weit ins geistliche Land hinein alles voll. Ja, sie haben in den Gehölzen umbher ein ordentlich Heerlager aufgeschlagen, tun großen Schaden an Wild und Wald, und ist ihnen nicht zu wehren und zu steuern.
Liebster Bruder, fahret doch heim; es tut weidlich not, daß Ihr zu Land und Leuten sehet!
Die Knechte sitzen Tag und Nacht zu Pferde, Ordnung zu halten. Sie kommen aber nicht dazu, weil der Herr im Haus fehlt. – Viel Gaukler und fahrend, liederlich Gesindel hat sich allbereits auch schon angesammelt und treibet ein bös, gottlos Wesen. Lieber Bruder, kommet doch gleich, das Volk hat nichts zu essen, denn es ist ja nicht vorgesehen und vorgesorgt. Kommet doch ja bald, Philippe; kommet gleich!
Sonst sind wir mit Gottes Hülfe hier allesamt wohl und heil, aber sehr unruhig in dem großen, schreckhaften Lärm und Getümmel.
Es sind auch Briefe für Euch ankommen, geliebter Bruder, welche wir nicht geöffnet haben, sintemalen sie so große Siegel tragen, von Brandenburg und von Koburg.
Der Herr nehme Euch und unsern lieben Herrn Abt und Gastfreund in seinen Schutz!
Eure Schwester
Ursula von Spiegelberg.
Nachgeschrift: Wir haben viel geschlagen Holz verkauft an die geistlichen Herren zu Paderborn, und der Walburg weiße Stute hat geworfen ein schwarz Füllen.
Ursula und Walburg.«
Weidlich hatte der junge Graf zu Pyrmont geflucht, und sehr nachdenklich und bedächtig hatte der Abt von Corvey das ehrwürdige tonsurierte Haupt geschüttelt und das milde, glänzende Gesicht in düstere Falten gelegt, als beide über der Mittagstafel das schwesterliche Notschreiben zwischen den geleerten und vollen Flaschen und Humpen, den geleerten und vollen Schüsseln studierten, während der kotbespritzte Bote an der Tür wartete und das abgejagte Roß desselben im Schloßhofe auf und ab geführt wurde.
Dann hatten beide Herren – der geistliche und der weltliche – diesen Boten weitläufig ausgefragt, und derselbe hatte eine umständliche Beschreibung von dem »seltsamen, tollen, unerhörten« Leben und Wesen in dem grünen Waldtal von Pyrmont geliefert.
Darauf hatte der Abt betrübt gesagt:
»Da ist nichts weiter zu machen, Philippe! Die armen Weiblein scheinen in der Tat drunten in großer Not zu sein. Also – macht, daß Ihr nach Haus kommt, Philippe!«
Und der Herr von Spiegelberg, welcher den gastlichen geistlichen Herd gar ungern so bald verließ, fluchte noch ingrimmiger als zuvor und schlug mit der geballten Hand auf den Tisch, daß alles Geschirr klirrend hoch aufhüpfte.
»Bei des Teufels Schnupftuch, das hat man nur von dem heilsamen Wasser, der allzu gesunden Gottesgabe! Nichts als Ärger und Not und Schaden! Der böse Feind hole den Spaß – wartet, ich will euch auskehren, wenn ich heimkehre!«
Ob solcher bösen, unbedachten Worte bekreuzigte sich jedoch der Abt, verwies sie ernstlich seinem jungen Gaste in einer zierlich gesetzten Rede und hob die Tafel auf. Daraufhin hielt er dem Grafen eine zweite, noch eindringlichere Rede über seine gottlose Ansicht von der Sache, daß endlich Herr Philipp, wenn auch mit Widerstreben, einsah, der alte Herr habe recht.
Die Abreise des Gastfreundes wurde schon auf denselben Abend festgesetzt. –
Wohl war es unangenehm genug, dem behaglichen Leben, dem guten Keller, der vortrefflichen Küche der berühmten Abtei auf so schnöde, schnelle Weise