Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.die bunte Schar der Dienerschaft läuft geschäftig hin und her. Die Damen auf den Sammetpolstern die Wände entlang bewegen ihre Federfächer in den zarten Händen auf und ab, die Kavaliere beugen sich über die Lehnen der Sessel und flüstern den Damen leise zu oder lachen laut und hell mit ihnen. Mit einem Richter vom Rat der Zehn schreitet der Meister Tizian auf und ab und unterbricht seine Unterredung, um einem Fächerwinke Faustas Folge zu leisten. Ein neuer Gast wird gemeldet:
»Don Cesare Campolani!«
Die Damen und Ritter schauen auf; der Name geht von Mund zu Mund; der Hausherr tritt vor, den neuen Ankömmling zu begrüßen. Es ist ein junger Mann, welchem die schwarze, vornehme Tracht sehr gut steht; sicher und gewandt bewegt er sich in der glänzenden Versammlung. Er ist fremd, er ist kein Venezianer; aus einem angesehenen sizilianischen Adelsgeschlechte stammt er. Man erfährt, daß er zu Bologna studiert hat, und man flüstert sich zu, daß er in die Dienste der Republik von Sankt Markus treten will, nachdem er infolge des letzten Studentenaufruhrs aus der berühmten Universitätsstadt hat entweichen müssen. Bald weiß man, daß er sehr reich ist; alle Damen, zu denen er tritt, lächeln ihm auf das liebenswürdigste zu. Aber sein Auge irrt suchend umher und wird dann erst ruhig, als es inmitten einer heitern Gruppe die schöne Fausta gefunden hat.
Die schöne, lachende Fausta hat vergessen, daß Simone Spada aus Bologna sie liebte, und sie will vergessen, daß sie den armen Studenten verriet und daß sie eine Verlorene ist in all dem Glanz, in all der Herrlichkeit und Pracht, welche sie umgibt, in all dem Glanz, in all der Herrlichkeit und Pracht ihres Körpers und Geistes. Die schöne Fausta muß noch mehr zu vergessen suchen. Die schöne Fausta kennt den Ritter Campolani sehr gut; ihr Herz pocht, als er auf sie zukommt. – – –
Sind das nicht Bilder seltsamlicher Art, welche da aufsteigen in der deutschen Mondscheinnacht vor den Augen der gefangenen Fausta La Tedesca auf dem Schloß Pyrmont? Aber die dämmerige Nacht birgt noch andere in ihrem geheimnisvollen Schoße.
Da ist die alte, finstere, schmutzige Stadt Padua mit ihren winklichten Plätzen, ihren engen Gassen, ihren niedrigen Arkaden. Auf San Antonio schlägt es Mitternacht; es ist dunkel und stürmisch, Regenwolken treibt der Westwind über die Stadt. Aus den unheimlichen Säulengängen, welche die Gassen einfassen, von den Ecken aus erschallt das verrufene: Chi va lì? Chi va là? der lauernden Studenten, deren altes Recht ist, zu solchen Stunden diese Arkaden allein betreten zu dürfen. Aus der Ferne tönt der Hülferuf ruchlos überfallener Bürger; aus der Ferne tönt Schwertergeklirr, das Wehklagen von Verwundeten, Weiberstimmen dazwischen.
Jetzt leuchtet Fackelschein über die Piazza dei Signori, Studenten, blanke Degen und Windlichter in den Händen tragend, geleiten in aufgeregtester Stimmung eine Sänfte, aus welcher sich ein Frauenkopf vorbeugt. Ein Reiter ist der Sänfte zur Seite und biegt sich herab und spricht mit der Dame.
»Hoch Fausta! Hoch Cesare!« rufen die lärmenden Jünglinge, die Schwerter und Fackeln hochhebend.
Was ist das? Hinter einer Bildsäule des heiligen Antonius und seines Schweines vor stürzt ein Mann, den Dolch in der Rechten, gegen die Sänfte heran.
Die Studenten und der Reiter werfen sich dem Verwegenen in den Weg, ein kurzer Kampf – ein Fall – blutend bleibt der Angreifer auf dem Platze.
Die schöne Dame lächelt, wild jauchzen und jubeln die Studenten, das Roß des Reiters schreitet über den bewußtlosen Körper des Gefallenen stolzen Schrittes fort – und der Zug verschwindet in der Nacht.
Fausta La Tedesca heißt die Dame.
Cesare Campolani heißt der Ritter.
Der Verwundete ist ein junger Arzt, Simone Spada aus Bologna. Seit einiger Zeit lebt und studiert er mit einem alten Arzt aus Deutschland, Benedictus Meyenberger genannt, in Padua. Um der Fausta willen hat der alte deutsche Gelehrte seine Heimat verlassen; aber die Fausta flieht vor ihm. Die Fausta fürchtet sich vor dem kalten nordischen Schneelande, wo die Sonne nur während der Hälfte des Jahres scheint, die Fausta will nicht die hohen Alpen übersteigen mit dem Benedictus, die Fausta liebt die Sonne und die Freude, sie will nicht mit dem alten Deutschen gehen, sie haßt jetzt den Simone. Sie floh vor beiden aus Venedig, sie flieht vor ihnen jetzt auch aus Padua. – –
Es wogt, hebt und senkt sich der Mondnebel über dem grünen Waldtal von Pyrmont – dichter zieht er sich zusammen, und wieder schaut Fausta La Tedesca aus dem Bogenfenster ihres Turmgemaches das Meer.
Aber dieses Mal ist’s nicht die blaue Adriatische See, auf der ihre irrenden Gedanken schiffen. Wieder ist es Nacht; aber der Morgen dämmert schwach im Osten. Es schneiet, und stürmisch brandet das Meer gegen die Küste; wild schlägt es gegen die Dämme, welche die Vernichtung abhalten von dem sich dahinter ausdehnenden, reichen, flachen Lande. Ein Schiff der Hansa kämpft auf dem grauen, empörten Meer. Notschüsse über Notschüsse feuert die Bemannung ab; aber ratlos stehen auf dem Hafendamme in Haufen die Bewohner der nordischen Stadt, in deren Port das Schiff einlaufen wollte. Mit klopfendem Herzen lauscht dieses Volk kühner Seemänner und Kaufleute! Es ist ein gutes Schiff, die »Jungfraw von Wineta«, und eiserne Hände und Herzen regieren es. Mit reicher Ladung ist es ausgefahren von Syrakus, hat eine lange, schwere Fahrt glücklich überstanden – nun muß es elend zugrunde gehen dicht vor dem heimatlichen Hafen.
Die Mannschaft hat sich in die Boote gestürzt; aber nur ein einziges derselben gelangt glücklich ans Land; die andern verschlingt das tosende Element, und nur als Leichen finden die Matrosen und der Kapitän das Vaterland, welches nur noch eine Gruft für sie hat und das Jammern und Wehklagen der Witwen und Waisen.
Unter den Geretteten befinden sich drei der Passagiere, ein älterer Mann, ein jüngerer und ein junges Weib. Die Frau ist sehr bleich; aber sie wird nicht ohnmächtig. Nur ihre Lippen sind krampfhaft zusammengepreßt, und wild und verwirrt blickt sie umher in der teilnehmenden Menge, welche die armen Schiffbrüchigen umgibt und ihnen liebreich ihre Hülfe und Gastfreundschaft anbietet und aufdringt. Die beiden Männer aber, welche das junge Weib in ihrer Obhut haben, danken den guten Leuten für alle ihre Anerbietungen und weisen sie von sich. Sie bitten nur, daß man sie in ein Gasthaus führen möge. Dieses geschieht, die drei Reisenden schließen sich darauf in ihr Zimmer ein – die verschiedenartigsten Gerüchte über sie durchlaufen die Stadt. Am Abend des folgenden Tages haben die Fremden die Stadt bereits wieder verlassen. Sie haben einen Wagen, eines der schwerfälligen Fuhrwerke jener Zeit, gemietet, und derselbe führt sie langsam tiefer in das Land hinein. Es ist eine mühselige, traurige Reise durch die flache, kahle, winterliche Gegend. Wenn es schneit, so zerschmelzen die Flocken in dem Augenblick, wo sie die Erde berühren, und weichen den Grund tief hinab auf. Grundlos sind die Wege, und oft versinken die Wagenräder bis an die Nabe; der Nordwind pfeift schrill und kalt über die leeren Felder und durch die blätterlosen Wälder; Scharen von Krähen begleiten krächzend die Reisenden. Das tief verhüllte junge Weib schaudert jedesmal, wenn es unter der Leinendecke des Wagens fröstelnd vorblickt, zusammen. Niemals öffnet es den Mund zu einer Frage, zu einer Bitte, und die Unterhaltung der beiden Männer beschränkt sich auf wenige kurze Worte, die mehr geflüstert als gesprochen werden. Nur der Fuhrmann flucht laut, wenn er absteigen muß, um seine Gäule an den gefährlichsten Stellen der Straße zu leiten; mit innerem Mißbehagen denkt er an den langen Weg, der noch vor ihm liegt, und dazu wird ihm die Gesellschaft, welche er führt, immer unheimlicher. Er liebt es, sich mit seinen Reisenden zu unterhalten; aber dieses Mal reden die beiden Männer in einer ihm unbekannten Sprache, und die verschleierte Frau spricht gar nicht und schluchzt höchstens leise vor sich hin.
So geht es weiter, immer weiter. Durch schmutzige, verwahrloste Dörfer und Landstädte, durch wüste, menschenleere, verrufene Gegenden, wo jedes einsame Haus einer Räuberherberge gleicht. Aber auch durch große, volkreiche Städte voll bunten Lebens und Getümmels geht die Fahrt. Selten halten die Reisenden an, um die Pferde zu füttern und ruhen zu lassen, noch seltener, um sich selbst zu erquicken, um zu schlafen. Immer fort, immer fort! Es steigen Berge in der grauen Ferne aus der Ebene auf und versinken wieder, – dann steigen sie von neuem empor, näher und höher, aber verhüllt von Nebel und Regen. Nun führt der Weg durch große Wälder, bei deren Durchziehen eine berittene Schutzwache, welche die glimmenden Lunten auf die Fauströhre geschroben hat und die Schwerter in den Scheiden gelockert hält, den Wagen