Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

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Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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heftet sich in das Holzwerk des Wagens. Aber glücklich gelangen die Reisenden aus dem wilden, »gnadenlosen« Walde wieder in das Freie, und in der Ferne ragen abermals die Türme einer großen Stadt – einer mächtigen Reichsstadt. Bald rasselt der Wagen durch das dunkle Tor.

      »Jesus, Maria und Joseph, schützet uns! Was ist da im Werke?« ruft der Fuhrmann ängstlich.

      Aus der Ferne, vom Stadtmarkt her, kracht und knattert ununterbrochen Gewehrfeuer. Schwarze Rauchwolken, von brennenden Gebäuden aufsteigend, wälzen sich über den trüben Himmel. Von den Türmen klingen die Sturmglocken, bewaffnete Haufen durchziehen die Gassen, dringen verwüstend, zertrümmernd mit Hämmern, Äxten, Brecheisen und sonstigem Handwerksgerät in stattliche Häuser. Man trägt Tote und Verwundete vorüber, Banner der Innungen schweben über dem Getümmel: auf Tod und Leben kämpft das Bürgertum, das Plebejertum gegen den Rat, gegen die Patrizier.

      Aber nichts vermag die drei Reisenden aufzuhalten; sie bemerken kaum, was um sie her vorgeht, die eben abgespielte Tragödie des deutschen Städtelebens hat nicht den geringsten Sinn für sie. Auf Nebenwegen gelangen sie wieder aus der aufruhrvollen Stadt heraus, und abermals liegt für lange, ermüdende Tage der Weg vor ihnen.

      Aber endlich dämmert ein Abend, und das Ziel der Reise ist erreicht!

      Im Westen liegt ein blutroter Streif auf dem Horizont und deutet an, wo die Sonne unterging. Abermals windet sich die Straße über eine kahle Ebene, vorüber an trostlosen Wasserlachen und grünlich-fettig schimmernden Sümpfen. Verkrüppeltes, struppichtes Dornengebüsch ist über die ganze Fläche zerstreut; ein schwarzes Fichtengehölz umgibt einen Haufen unregelmäßiger Gebäude, die wiederum von einer hohen, altersgrauen Mauer umzogen sind. Über die Gipfel der Bäume und die langen, an den Giebelenden mit Kreuzen geschmückten Dächer ragt ein hoher, spitzer, mit Schiefer gedeckter Kirchturm.

      An einem verschlossenen Tore, über welchem in einer Mauernische ein Heiligenbild verwittert, hält der Wagen.

      »Gottlob, daß das vorbei ist!« murmelt der Fuhrmann.

      Der Jüngere der Reisenden steigt zuerst aus dem Fuhrwerk, zieht einen Glockenstrang, und gellend ertönt es in der Ferne. Nach geraumer Zeit öffnet sich dann eine Klappe in der Tür, und der Kopf einer alten Frau, einer Nonne, erscheint vorsichtig in der Öffnung.

      »Gelobt sei Jesus Christ!« erschallt der Gruß des jungen Fremden.

      »In Ewigkeit, Amen!« antwortet die Schwester Pförtnerin. »Was beliebt euch, ihr Herren?«

      Auch der Greis ist nun aus dem Wagen gestiegen und führt seine Begleiterin, über deren Körper fortwährende Fieberschauer zu laufen scheinen, mit sich gegen die Tür. Er verlangt die Äbtissin zu sprechen; die Nonne verschwindet, die Klappe schließt sich wieder und öffnet sich erst nach langem Harren abermals, um die Nachricht herauszulassen: man erwarte die Wanderer und bitte den Meister Benedictus Meyenberger mit seiner Begleiterin einzutreten.

      Die Tür erschließt sich nun, und der Alte verschwindet mit dem zitternden jungen Weibe hinter ihr. Der jüngere Mann, fröstelnd in seinen Mantel sich hüllend, bleibt neben dem Wagen und dem Fuhrmann zurück. Tausend wechselnde Empfindungen bewegen seine Brust, während er der Zurückkunft des Alten wartet. Und lange, lange Zeit muß er harren, und immer finsterer wird sein Blick, und immer schmerzhafter werden die Seufzer, welche sich seiner Brust entringen. Der Abend wird dunkler und stürmischer, eisigkalte Tropfen schlagen – wieder vereinzelt hernieder – – endlich, endlich öffnet sich die Tür und dreht sich kreischend und knirschend in ihren verrosteten Angeln.

      Wankenden Schrittes, mit Tränen in den Augen, erscheint der alte Mann auf der Schwelle.

      Er ist allein!

      Nur die Schwester Pförtnerin geleitet ihn, diesmal mit einer Laterne versehen.

      In die Arme Simone Spadas fällt der Meister Meyenberger – er weint laut auf, und der junge Mann weint ebenfalls – Fausta La Tedesca ist hinter den dunkeln, hohen Klostermauern zurückgeblieben – lebendig begraben, daß sie Buße tue und gerettet werde für die Ewigkeit! …

      Auf dem spitzen Turme der Klosterkirche ruft die Glocke die geistlichen Jungfrauen soeben feierlich zum Gebet; die Fenster der Kirche, soweit man sie über die Mauer weg zu sehen vermag, haben sich erhellt, der Gesang der Nonnen tönt an das Ohr der beiden trauernden Männer, welche einen Augenblick noch stumm, mit gesenkten Häuptern lauschen und dann wieder in den Wagen steigen.

      Dem Fuhrmann wird ein Wink gegeben; er wendet den Wagen und treibt die Pferde an. Das Fuhrwerk rollt in die Nacht davon.

      Der Wind wird zum Sturm, die Regentropfen verwandeln sich in scharfe Eisteilchen – wie es heult und klagt und pfeift und grollt und lispelt und zischt um das einsame Kloster! Wie die Fenster erklirren unter den Stößen des Windes! Wie der Sturm sich fängt in den langen Kreuzgängen; wie er dem lauschenden Ohr jetzt eine Strophe des traurig ernsten Gesanges der Nonnen entführt, jetzt eine andere Strophe auf seinen Flügeln desto kräftiger und klangvoller herträgt!

      Und in einer engen, öden, kalten Zelle sitzt Fausta – Fausta, der Nachtstern von Venedig – Fausta, die Schöne, die Stolze, welche den Tizian unter ihre Bewunderer zählte – Fausta, la falsa Maga – Fausta, die grenzenlos Elende!

      Nicht mehr bereiten ihr alle Künste des Orients und des Okzidents das wollüstige Lager – nicht mehr harren Diener und Dienerinnen, nicht mehr vornehme Kavaliere, berühmte Dichter und Künstler ihres Winkes; machtlos, gefesselt ist die kleine, feine, weiße Hand, welche Vecelli am liebsten seinen Göttinnen und Heiligen gab auf der Leinwand! Neben dem ärmlichen Lager der eingeschlossenen Fausta steht ein Wasserkrug, liegt ein hartes schwarzes Brod; eine blutgerötete Geißel hängt von der Wand, die Geißel, womit die Vorbewohnerin dieser Zelle sich zerfleischte; auf dem rohgezimmerten Gebetpult liegt ein Totenkopf neben dem Rosenkranz und Breviarium und starrt aus seinen hohlen Augenhöhlen die große Sünderin – magna peccatrix – Fausta La Tedesca an! ……

      Und – »Frei, frei, frei!« ruft Fausta La Tedesca und hebt die Arme und holt Atem aus voller Brust, und draußen wogt und wallt der silberne Mondnebel magisch über den Bergen und Wäldern, Wiesen und Halden von Pyrmont, und in ihrer schönsten Blüte duftet und leuchtet die deutsche Sommernacht.

      Gleich einer Tigerin schreitet das Mädchen hin und her auf der glänzenden Bahn, welche der Mond durch das Turmgemach zieht. Mit einer wilden Bewegung wirft sie die schwarzen Haarflechten über den Nacken zurück. Sie ballt die rechte Hand:

      »Frei, frei, frei! Wer will mich halten in Ketten und Banden? Ohnmächtiger Simone!«

      Sie lacht; aber schauerlich klingt das Lachen in der stillen Nacht. Sie scheint selbst unheimlich dadurch berührt zu werden, hält in ihrem Gange inne, setzt sich nieder auf das Lager und stützt das feine Kinn sinnend mit der Hand.

      Lange sitzt sie so; der Mond ist hinter die Berge gesunken, der Nebel hat sich dichter zusammengezogen; das Frösteln, welches beim Anbruch des Tages den, welcher die Nacht schlaflos hinbrachte, überkommt, überfällt auch die schöne Fausta.

      Noch einmal springt sie empor:

      »Niemand, niemand soll mich fesseln und halten! Unglück und Verderben denen, welche es versuchen! Es ist wahr, unter einem bösen Stern bin ich geboren; aber es ist mein Stern, und er soll mich leiten. Und leitet er mich nicht gut? Und verwirrt und vernichtet er nicht die, welche mich aufhalten und mich irren wollen auf meinen Wegen? Verderben dir, Simone von Bologna! Verderben dir –«

      Sie fährt zusammen und spricht den zweiten Namen, dem sie flucht, nicht aus. Abermals tritt sie an das Fenster.

      Draußen ist alles grau und öde; aller Schein und alles Licht ist erloschen, der Horizont hat sich verengt, die Berge sind verhüllt, die verglimmenden Feuer des schlafenden Volkes um den heiligen Born gleichen festgebannten Irrlichtern auf einem großen Kirchhofe oder einem eben begrabenen Schlachtfelde.

      »O, du Herr dieses Schlosses, o du Herr dieses Landes, hüte dich! – Der arme Tor, der sich selbst nicht hüten konnte, hat dich gewarnt; aber es soll ihm und dir nichts helfen, Signor Conde. Mein sollst du werden,


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