Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

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Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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der Feldmarschalk Christof von Wrisberg im Schloßhofe erregte. Aus allen Fenstern, welche auf den Hof hinausgingen, lugten bald verschlafene Gesichter und unter ihnen das hübsche, rosige der kleinen Walburg.

      Diesem Lockenköpfchen zu Ehren blies der Wrisberger sogleich einen kunstvollen Jagdgruß auf seinem Hüfthorn. Dann rief er in die Höhe:

      »Holla he, holla he! Allerschönsten Gruß, allerschönstes Fräulein von Spiegelberg! Gut geschlafen? He, ausgeschlafen? Seid doch allgesamt ein träges Volk allhier auf dem Schloß Pyrmont. Schafft mir einmal den Grafen, Walpurgel! Heraus mit dem Grafen!«

      »Hei, Herr von Wrisberg«, rief das Jungfräulein lachend, »ist’s nicht Euere eigene Schuld, Herr Christof, daß wir so spät erwachen? Könnt man wohl zu seiner Ruhe kommen vor dem abscheulichen Lärm, den Ihr in der Nacht verführtet?«

      »Todos Santos, wie mein guter Freund Alba sagt, Fräulein zu Spiegelberg und Pyrmont, Ihr seid doch gar zu hübsch mit Euren roten Wänglein. Per l’amor di Venere, wie der Herr von Meiß zu sagen pflegte, werft mir altem Kauz und Lumpenhund doch wenigstens eine Kußhand herunter. Lieb habt Ihr mich, erschrecklich lieb, das weiß ich. Wann soll denn die Hochzeit sein? … Dummes Zeug, sagt Ihr? Was? Hat mich etwa ein anderer ausgestochen? Etwa der Herr zu Gleichen? – Hoho, ich habe ein Vöglein singen hören! Na, Walburg, in einer dreischläfernen Bettstell schlief’ ich nicht, wenn ich an Eurer Stell war! Bitt Euch, überlegt’s Euch ja, mein Herzelein!«

      Lachend fuhr das kleine Fräulein zurück, machte dem wüsten Alten eine allerliebste Faust zu und schloß, rot wie eine Rose, ihr Schlafkammerfenster.

      »Ho, da ist ja auch das Hausmütterchen!« rief der Wrisberger jetzt nach einer andern Weltgegend in die Höhe. »Schönen Gruß, Ursel; Gott tröste dich, Liebling, und schenke dir bald einen guten Mann!«

      »Danke, Herr Ritter. Habt Ihr gut geschlafen in der ersten Nacht auf Pyrmont?«

      »Wie ‘n Toter nach der Schlacht – nein, wie ‘ne junge Frau in der dritten Nacht nach der Hochzeitsnacht!«

      Schleunigst schloß sich das Fenster des Fräuleins Ursula. Die Arme hatte ihren Teil, und Herr Christof von Wrisberg blies den letzten Rest des Atems, welchen ihm ein donnerndes Gelächter übrig ließ, in sein Jagdhorn.

      »Kommet herauf, Wrisberg!« rief jetzt Philipp von Spiegelberg herunter aus seinem Gemache. »Der Morgentrunk wird bald bereit sein, und der Herr von Campolan ist auch schon auf den Beinen.«

      »Ei, ei, schau da, das Philippchen! Das Hähnchen von Spiegelberg! Wünsch Euch einen guten Morgen, mein Bübchen; Ihr machet mir viel Kummer und Sorgen, Grafe zu Pyrmont! Jammerhaft sehet Ihr aus – Philipp, Philipp, ich rate Euch als einer, der Euren Vater gekannt hat, ergebt Euch nicht dem stillen Soff!«

      »Habet keine Angst, Herr Christof; aber kommet jetzt zum Mahl, ich bitte Euch. Kommet herauf und macht Euch nicht zu einem Spott vor den Leuten!«

      »Hoho, Söhnlein, noch niemand hat des Wrisbergers ungestraft gespottet, außer er selber. Übrigens komme ich gleich! Also ihr Hunde« – dies galt seinen Knechten – »also den Mühlberger tüchtig gestriegelt und dem Rappen die Hufe geputzt, daß sie glänzen wie ein Weiberfuß, oder das Donnerwetter Gottes oder des Wrisbergers Faust – ich weiß nicht, was von beiden schlimmer ist – kommt euch auf den Buckel. Vergeßt auch den welschen Gaul nicht, rat ich euch. So ‘n spanisch Vieh ist eine heikle Kreatur, und der Herr von Camplan lasset auch nicht mit ihm spaßen – basta!«

      Schwerfällig stampfte nach solcher Expektoration der wackere Krieger durch den tiefen Schnee, den die Besen der Mägde noch immer nicht bewältigen konnten. Keuchend humpelte er die Treppe hinauf zum Morgenmahl des Schlosses Pyrmont, und bei jedem Schritt stieß er das Schwert auf den Boden, daß das Mauerwerk erzitterte.

      Don Cesare hatte nach seiner Gewohnheit die allergrößte Sorgfalt auf seinen Anzug gewandt, prangte in einem stattlichen Kleide nach der neuesten französischen Mode und bewegte sich weltmännisch fein zwischen den einfachen deutschen Leutlein, mit denen er es zu tun hatte für die nächste Zeit. Ohne Zweifel sah er sehr edel und gewinnend aus in seinem glänzenden Kostüm mit Federbarett und reichverziertem Stoßdegen. Die Damen des Hauses Spiegelberg konnten nicht unterlassen, verstohlene, billigende Blicke nach ihm auszusenden.

      Noch einmal bewillkommnete Graf Philipp seine Gäste beim Tageslicht, dann hielt der Schloßkaplan sein gewohntes Gebet über Speisen und Getränke, und das Frühmahl nahm seinen Anfang und ungestörten Fortgang.

      Mit jedem der Gesellschaft wußte Don Cesare ein anmutig Gespräch zu führen. Mit den Damen sprach er von dem Leben am Hofe zu Paris und Fontainebleau; mit dem Grafen und dem Ritter von Wrisberg behandelte er das große, unerschöpfliche Thema der Jagd. Mit dem Schloßkaplan ließ er sich in eine Disputation über die Frage ein: ob der Doktor Martin Luther oder das Weib des Franceschetto Cibo, welchem der Papst den Ablaßertrag von Kursachsen zur Aussteuer schenkte, Ursache der Reformation gewesen sei. Während dieser letztern Reden und Gegenreden schlief der Wrisberger sanft ein trotz der frühen Tagesstunde, und Don Cesare gewann dadurch Raum, die Damen noch mehr zu gewinnen, indem er das soziale Verhalten des alten Söldners mit leiser Stimme herabsetzte.

      Am Nachmittag führte der Graf seine Gäste auf die Wolfsjagd, ein Vergnügen, welchem sich der italienische Ritter freilich mit verhaltenem Mißbehagen anschloß, welches dagegen dem Wrisberger mehr als ein Grunzen des Entzückens beim Ausritt entlockte.

      Unter lustigem Hörnerklang zogen die drei Herren mit ihrem Jagdgefolge hinaus in den verschneiten Wald, und manche schmeichelhafte Bemerkung machte Don Cesare dem Grafen zu Pyrmont über seine Meute.

      Der Himmel blieb den ganzen Tag über dunkel verhangen, und die Dämmerung kam um wenigstens zwei Stunden früher als eigentlich billig war. In der Dämmerungsstunde wirft der Erzähler einen Blick in das Frauengemach zu Pyrmont.

      Ursulas Spinnrad, ein Gerät, welches aus den Händen des Steinmetz Jürgens, des Erfinders selbst, hervorgegangen war, schnurrte fleißig im Winkel neben dem Kamin. Walburg hatte die künstliche Stickerei, an der sie arbeitete, so lange es hell genug war, in den Schoß fallen lassen und stellte geheime Vergleiche an zwischen dem fremdländischen Ritter Don Cesare Campolani und einem gewissen Georg von Gleichen-Tonna. Mit ungemeinem Vergnügen findet der Erzähler in den Schriften seiner Gewährsmänner, daß das Bild des Grafen Georg als Sieger aus dem gefährlichen Streite im Herzen des jungen Mädchens hervorging.

      Im dunkelsten Winkel des Zimmers griff eine Hand leise über die Saiten einer Laute. In dem dunkelsten Winkel des Zimmers saß Fausta La Tedesca und ließ Bilder künftigen Glanzes an ihrer Seele vorübergehen. In den kalten, finstern deutschen Winter hinein leuchteten ihr blendende Strahlen einer andern Welt, welcher sie einst angehört hatte, welcher sie wieder angehören sollte. Seltsamlich lächelte sie, wie sie mit halbgeschlossenen Augen so zu den beiden Fräulein von Spiegelberg hinüberschaute und bedachte, was sie gewesen war und was sie werden sollte. In Pracht und Herrlichkeit – wie Zenobia ihre wundervolle Stadt Palmyra baute – baute Fausta La Tedesca ihre Zukunft auf in ihrer Seele, ohne gleich der Zenobia zu gedenken, wie nahe das Verhängnis lauern könne, öfters griff sie nach der Brust, öfters hielt sie den fliegenden Atem an – es war ihr jetzt zumute, als sei sie in diesem Waldtale, in dieser nordischen Burg in ein Gefängnis eingeschlossen, enger, dunkler als der Klosterkerker, aus dem sie sich im vorigen Jahre befreit hatte.

      »Du bist tot – nichts hast du mehr unter den Lebendigen zu suchen!« hatte Simone Spada, der Arzt aus Bologna, gesagt, und wie ihr an diesem Abend dieses Wort wieder in den Sinn kam, o welch ein Strahl stolzen, sieghaften Hohnes flog da über ihre hohe Stirn.

      Fausta La Tedesca wußte jetzt, daß sie noch nicht tot sei, daß sie noch den Lebenden angehöre. Sie wußte, daß sie noch schön sei und noch schöner sein werde, sobald der erste heiße, glänzende Strahl der gewohnten Lebenssonne sie berühren werde.

      O, wie sie sich nach dieser Sonne sehnte!

      Der Mann, dem zuliebe sie einst Verbrechen begangen hatte, dessen plötzliches Erscheinen sie gestern abend zu den grimmigsten Racheplänen aufgestachelt hatte, brauchte sich nicht mehr vor ihr zu fürchten. Die schöne


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