Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.Wirkung auseinander.
Und Fausta La Tedesca begriff!
In immer höherem Glänze leuchteten ihre Augen, längst war sie aufgesprungen und schritt aufgeregt hin und her, während der Ritter Campolani endigte:
»So wird denn der deutsche Eber, welcher mich hieher in diese Einöde geleitete, morgen das Schloß verlassen, um auf seine Weise zu wirken für unsere Sache, die, wenn auch nicht ganz die gute, so doch eine höchst nutzbringende ist. Im Frühjahr hat dieser Herr von Wrisberg seine Haufen zusammen – ‘s ist ein wahrer Segen, daß das Deutschland seine Knochen und sein Blut nicht besser zu verwerten weiß! – , und an der Spitze von Tausenden magst du, Fausta, der neuen Heimat entgegenziehen. Aber noch brauchen wir Namen, welche einen guten Klang im Lande haben, um diesem verblendeten Volk die eigenen Knochen, das eigene Blut zu seinem eigenen Schaden abzulocken. Diesen Knaben, diesen Graf von Pyrmont uns zu fesseln, soll deine Aufgabe sein, Fausta La Tedesca. Der Knabe liebt dich; er wird dir folgen!«
»Er wird es!« sagte Fausta.
»Gut! … Nun gehe und schlafe, Freundin. Nicht wahr, durch Blut und Flammen gehen wir miteinander?«
»So sei es. Durch Blut und Flammen!«
Einen Augenblick später glitt wieder ein Schatten durch die Gänge des Schlosses: der böse Geist des Hauses Spiegelberg. – Don Cesare Campolani legte sich gar nicht zum Schlaf nieder;
nach Faustas Abschied beugte er sich eifrigst von neuem über seine Papiere und erhob sich nur von Zeit zu Zeit, um an das Fenster zu treten, es zu öffnen und seine heiße Stirn zu kühlen.
Es regnete. Alle die wunderlichen Dachtraufen des Schlosses Pyrmont spieen Wasserströme aus ihren offenen Rachen. Der Schnee der vorigen Tage sollte der letzte dieses Winters gewesen sein. Mit dem Regen in dieser Nacht begann der Frühling des Jahres eintausendfünfhundertsiebenundfünfzig. –
Herr Christof von Wrisberg erwachte diesmal später und in nicht so behaglicher, nicht so heiterer Stimmung wie gestern.
Das Rauschen und Plätschern vor seinen Fenstern trug auch nicht dazu bei, das wüste Summen und Sausen, die Folgen des übermäßigen Trinkens am gestrigen Abend, aus seinem Kopfe zu verscheuchen. In einem wahren Geschützfeuer der allergreulichsten Flüche suchte er seinen Gefühlen Luft zu machen. Mit den allerunsanftesten Rippenstößen, Fußtritten und Faustschlägen traktierte er gleich einem wahren Unhold seine Knechte, als sie zitternd erschienen, um seine Befehle für den bevorstehenden Abmarsch einzuholen.
Die Aussicht, in einem solchen »Sauwetter« das behagliche, wohl versorgte Schloß Pyrmont, wo der Bratspieß in der Küche immerfort sich drehte, wo Koch und Kellermeister so wacker ihres Dienstes warteten, zu verlassen, hatte durchaus nichts Angenehmes und würde auch andere Leute mißmutig gestimmt haben.
Und doch mußte der Wrisberger hinaus – nicht bloß aus dem warmen Bette, sondern auch in den Regen hinein. Was aber aufgeweichte Wege zu jener Zeit bedeuteten, wußte er gar wohl.
Kein Wunder war es daher, daß er zwischen all den Schimpfreden, Anzüglichkeiten und Gewalttätigkeiten, welche er seinen Knechten angedeihen ließ, sich selbst schier nicht besser behandelte. Einen alten Esel, welcher niemals stillsitzen lernen würde, titulierte er sich einmal über das andere.
»O Potzblitz und Höllenstank, corpo di santa Nulla, nicht anders werde ich’s lernen, als wieder einmal in einem tüchtigen Turm mit zwei Hellebardierern vor der verriegelten Tür wie schon einmal.«
Endlich, endlich gelangte er unter den heimlichen Stoßgebeten seiner Knappen in Kleider und Waffen, und nach einem tüchtigen Frühtrunk von glühend gemachtem Rotwein und grämlichem Abschied von dem verschlafenen Philipp auch auf seinen Lieblingsgaul, den Mühlberger.
»Sacreee diable, zehntausend feurige Teufel sollen sich in Euch teilen, wenn Ihr mit den Spaniern zieht. Gehabt Euch wohl – uf, solch ein Hundewetter! – und laßt Euch von dem Camplan raten – Amen!«
Das ganze Schloß Pyrmont schaute mit den verschiedenartigsten Gefühlen diesem Abritt des Wrisbergers zu und kroch nicht eher wieder zurück unter Dach und Fach, als bis der letzte Zipfel des Zuges im Nebel und Regen verschwunden war.
Don Cesare Campolani aber blieb, wie es bestimmt war, noch zurück auf dem Schloß, und die gesamte Dienerschaft pries ihn als einen freigebigen, der Hauskaplan als einen recht gelehrten und sämtliche Weiber außer der Ursula als einen höchst liebenswürdigen Herrn. Die Ursula hielt sich so fern als möglich von ihm und warnte auch ihren Bruder. Philipp aber schüttelte nur das Haupt und zuckte die Achseln; – er gab wenig auf den Rat seiner Schwester, obgleich sie die verständigste Seele des ganzen Tales von Pyrmont war. –
Vierzehntes Kapitel
Wie das Eis aufging und es wieder einmal Frühling wurde.
Mit dem Ritter Christof von Wrisberg verläßt auch der Erzähler das gastliche Schloß Pyrmont, die Geschwister von Spiegelberg, den Ritter Campolani, die schöne Fausta und den Reiter Klaus Eckenbrecher. Aber nicht lange zieht er mit dem Söldnerführer, an der nächsten Wegteilung nimmt er von dem griesgrämlichen, fluchenden alten Patron Abschied und zieht allein weiter im Schmutz vor Ostern.
Grundlos sind die Wege in den triefenden Wäldern, jeder Schritt ist eine ermüdende Arbeit, und wenn man sich bis zum Weserfluß durchgerungen hat, kann man noch nicht einmal ein Schiff besteigen, um die Reise nach der Stadt Holzminden bequemer fortzusetzen! Der Strom, geschwellt vom Andrange der Frühlingsgewässer aus den thüringischen und hessischen Bergen, hat soeben den ihn bedeckenden Eispanzer mit Macht zerbrochen und schickt Scholle auf Scholle krachend, donnernd dem Meere zu, einer Riesenschlange gleich, welche sich von ihrer alten Haut befreit.
Jetzt gewährte die Weser einen andern Anblick als im vorigen Sommer. In allen Dörfern, Städten und Flecken, welche an ihren Ufern liegen, waren die Männer und Jünglinge mit Haken und Stangen auf den Beinen, das drohende Unheil der Stauung der Eismassen, welches bei den unendlichen Krümmungen des Flusses und dem steilen Abfall so leicht eintritt, abzuwehren.
Zu solcher Zeit läßt die Weser nicht mit sich spaßen, und oft schon hat sie über die Bewohner ihrer Ufer Verderben und Verwüstung ergossen.
Manche Sturmglocke klang hülferufend in das Land hinein; hie und da hatte sich eine flache Gegend schon in einen See verwandelt; Angst, Schrecken, Verzweiflung, Arbeit, Not herrschten überall.
Nur das Flügelroß der Phantasie schwingt sich leicht darüber weg und setzt uns ab an unserm Bestimmungsort, dem Städtlein Holzminden.
Wäre das Nestchen nicht so höchst vortrefflich an seiner Planetenstelle befestigt gewesen, es würde ohne Gnade in die Weser hin ab geschwemmt worden sein; – so aber stemmte es sich wacker den aus dem Solling herabflutenden Wassern und dem Regen entgegen und hielt mit anerkennenswerter Ausdauer stand. Höchst schmutzig und verwahrlost sah es freilich dabei aus; aber das ließ sich nicht ändern. Bei Regenwetter zeichneten sich die Städte, Dörfer und Flecken des sechzehnten Jahrhunderts nie durch übergroße Sauberkeit aus. –
Auch zu Holzminden war die Bürgerschaft natürlich in großer Aufregung – Rat und Geistlichkeit in allem voran.
Der feiste Bürgermeister Uhlenhut und der Pastor loci Valentin Fichtner vervielfältigten sich schier. Überall waren sie mit Rat und Tat zur Hand: hier überwachten sie die Leerung eines Stalles, in welchem das Wasser den kläglich rufenden Kühen bis an den Bauch gestiegen war; dort suchten sie ein Unterkommen für eine arme Familie aus Lüchtringen, deren Anbauerhütte in diesem Augenblick höchst wahrscheinlich schon bei der Porta Westfalica angekommen war; – hier trieben sie einen Haufen junger Burschen am Stromufer zu erneueten Anstrengungen an, dort suchten sie einen Haufen weinender Weiber und heulender Kinder zu trösten. Keiner Mühe, keiner Gefahr entzogen sie sich; wie es einer christlichen Obrigkeit zukam, verhielten sie sich in dieser allgemeinen Not. –
Auf