Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.Jetzt kam der todmüde Vater in den Garten vom Hause her. Einige Augenblicke beobachtete er still sein Kind und schüttelte dabei sorgenvoll das graue Haupt. Als er die Monika dann leise und sanft anredete, schrak sie heftig zusammen.
»Nun, mein Töchterlein«, sprach der Pastor Fichtner, »ist das nicht ein bös, bös Schauspiel? Aber wahrlich, der allmächtige Gott ist prächtig in seinen schrecklichen Werken, trotz dem Grauen wird man solches Anblicks doch nicht müde. Wehe, da gehet schon wieder ein eingedrückt Fachwerk! Wo mag das nun wieder fortgerissen sein?«
»Die armen Leute!« seufzte Monika.
»Jawohl, die armen Leute! Horch, da läuten sie Sturm zu Albaxen – da muß alles ein wüstes Meer sein. Die Wasser schlagen Wellen, wo die grüne Saat vor Stunden noch lustig aufsproß. Ach, was soll das Läuten – wer kann da helfen? Wir selbsten haben kaum Arme genug, das Verderben von uns abzuwehren. Gott mag Kraft geben. Da unten am Kiekenstein haben sie am meisten zu schaffen, um die Schollen im Gang zu halten. Der Küster sagt, vom Kirchturm sehe man weit ins Land hinein alles wie einen See. Das ist gleich den Tagen der Sündflut: der Herr lasse bald die Taube mit dem Ölzweig ausfliegen, der Herr sende bald den siebenfärbigen Bogen des Friedens!«
»Der Herr schütze alle betrübten Herzen in der Nähe und in der Ferne!« seufzte Monika.
»Amen!« sprach der Pastor von Holzminden und fuhr dann fort: »Du bist recht bleich, mein Kind; – komm mit mir ins Haus, der böse Anblick macht dich krank.«
»O nein, mein lieber Vater, ich fühle mich ganz wohl.«
»Ganz wohl? Kind, Kind, du machst mir viele Sorgen.«
»Mein lieber Vater?!«
»Jaja, Monika, viele Sorgen machst du deinem alten Vater. Schau, die Welt ist schon so voll böser Listen und Tücken; es dräuet auf allen Seiten dem Reich Gottes und der reinen Lehre so viel Gefahr, daß man sich schier verkriechen möcht mit seinem Glauben und seinem letzten Glück wie die Schneck in ihr Häuselein, wenn solches nicht feige und unmännlich und unchristlich wär! O lieb Kind, schaff deinem Vater nicht noch mehr Herzeleid!«
Monika verbarg ihr Köpfchen an der Brust des sorglichen Alten, und dieser führte sie fort von der Mauer, indem er sagte:
»Wacker soll der Mensch kämpfen gegen jeden bösen Feind, komme er von außen oder von innen. Vielen Geistern hat der Herr die Macht gegeben über unsere Herzen und Nieren, aber auch viele Kräfte und gute Waffen hat er uns gegeben, sie wieder zu schlagen. Komm ins Haus, Töchterlein, die Luft des Frühjahrs machet müde; auch meine alten Knochen spüren den schweren Tag.«
Ach, nicht die Frühlingsluft war’s allein, welche die Monika Fichtner so bleich und müde machte, und Ehrn Valentin schob ihr auch nicht die ganze Schuld des kummervollen Aussehens seiner Tochter zu. Ob er aber den eigentlichen Grund davon wußte, das wollen wir dahingestellt sein lassen, der Pastor Fichtner war ein gar kluger Mann mit scharfen Augen, aber im höchsten Grade schweigsam in gewissen Angelegenheiten.
Nachdem er sein krankes Kind in das Haus geführt hatte, stieg er an diesem Abend nicht, wie es sonst seine Gewohnheit war, sogleich hinauf in sein Studierstüblein, sondern blieb sitzen neben dem schnurrenden Spinnrad der Monika. Das Rollen und Grollen des nahen Flusses würde ihn doch allzusehr in seinen Arbeiten gestört haben.
Fein, fein, fein lief der Flachsfaden durch die zierlichen Finger der geschickten Spinnerin, die sich auch nicht mehr, wie ihre Mutter noch, mit der unbequemen Spindel abzuquälen hatte. Fein, fein, fein wickelte sich der Faden auf die Rolle, damit später der Meister Weber ein schönes, weißes Stück Leinen daraus webe – zum Brauthemd? Zum Totenhemd? – ach, was für Gedanken liefen auf dem feinen, feinen Flachsfaden!
Draußen tobte die Weser immerfort. Von Zeit zu Zeit verließ der Pastor das behagliche Kaminfeuer, um neue Nachricht über den Stand der Wasser einzuholen. Auch kamen wohl Leute, um Nachricht zu bringen oder von neuem Trost und Rat von dem geistlichen Herrn zu erbitten. Es war ein fortwährendes Ab-und Zugehen.
Auch der Herr Bürgermeister erschien nach eingenommenem Nachtmahl. Wir haben den Mann bereits kennengelernt an jenem Abend, wo der Graf Philipp von Spiegelberg ihm und der guten Stadt Holzminden einen so großen Schrecken einjagte. Er hatte sich wenig verändert in dem Jahr, nur sein Leibesumfang war noch ein klein, klein wenig ins Breite gegangen.
Der Bürgermeister Uhlenhut hatte sich heute jedenfalls eine Bürgerkrone verdient, indem er trotz seiner körperlichen Unbeholfenheit die Rührigkeit und den guten Willen des jüngsten Mannes seiner Stadtgemeinde übertraf. Wenn die Stadt Holzminden nicht untergegangen und fortgeschwemmt war, so hatte sie das einzig und allein ihrem Bürgermeister und ihrem Pastor zu verdanken. Diese beiden Männer konnten wirklich stolz auf ihr Tagewerk sein. –
Die Begrüßung zwischen den beiden Würdenträgern des Weichbilds war würdig und anstandsvoll wie immer, aber doch weniger zeremonienhaft wie sonst. Man schüttelte sich herzlicher wie gewöhnlich die Hände, man kam eher wie gewöhnlich »zur Sache« und in eine fließende Unterhaltung.
Anfangs drehte sich das Gespräch nur um die große allgemeine Not des Tages und die dagegen anzuwendenden Schutzmittel, als da sind: Haken, Stangen, Bibelsprüche, lutherische Kirchenlieder usw. Nachher wandte sich die Rede jedoch auch zu andern Gegenständen wie: der Welt Regiment, und wie alles zum Schlechtem sich wende, und wie der liebe Gott recht bald ein Einsehen werde haben müssen, wenn nicht der Teufel die Oberhand gewinnen solle.
Vom Teufel kam man auf den Türken, vom Türken auf den heiligen Vater zu Rom, vom Papst natürlich auf den Antichrist und das Tausendjährige Reich, vom Tausendjährigen Reich gelangte man zum Deutschen Reich und dem Kaiser, von diesen wandte sich das Gespräch naturgemäß zu den Spaniern und den Franzosen, auf welchem ausgiebigen Felde es mit am längsten verweilte.
Beim Abschiednehmen sprach der Bürgermeister seufzend:
»So ist es, Herr Pastore, und es ist so! Wie ich Euch sage, es wird ein böses Jahr werden, ein noch viel schlimmeres als das vorige. Der Komet hat’s wohl angekündigt; – drunten in Flandern stehen sie schon dicht aneinander, und was Kaiser und Reich tun werden, das weiß allein Gott. Nun, er schütze nur unsern lutherischen Glauben; behalten wir den, so mag alles andere dahinfahren.«
»Das ist das Wahre, Meister Uhlenhut«, sprach Ehrn Valentin Fichtner. »Halten wir uns an das, was der hochselige Herr Doktor gesungen hat:
Nehmen sie uns den Leib,
Gut, Ehr, Kind und Weib,
Laß fahren dahin,
Sie haben’s kein Gewinn,
Das Reich muß uns doch bleiben!«
»So ist es!« sagte der Bürgermeister, erhob sich und lüftete das Barett.
»Gott behüt Euch, Jungfräulein Monika; sorgt aber auch Ihr selber, daß mit dem Frühling Eure roten Wangen wiederkehren. Weshalb wollet Ihr das gute Mittel, so meine Hausfrau gegen die Bleichsucht hat, nicht nehmen? Laßt sie’s doch versuchen, Herr Pastore – probatum est!«
Sittsam grüßend erhob sich die Monika von ihrem Binsenstuhl und verneigte sich vor dem sich zur Tür wendenden guten, alten, dicken Hausfreunde, versicherte aber: sie fühle sich durchaus nicht krank und sei des heilsamen Mittels ganz und gar nicht bedürftig. Der Pastor begleitete seinen Gast hinaus und schritt nochmals mit ihm gegen den Fluß, über welchen sich jetzt nächtliches Dunkel gelagert hatte, hinab, um noch einmal sich die Sicherheit zu holen, daß das Wasser nicht mehr gewachsen sei.
Die Monika knüpfte den zerrissenen Flachsfaden nicht wieder an. Sie faltete erst die Hände im Schoß und verbarg sodann das Gesicht in ihnen.
»Ach je, deshalb hör ich nichts von ihm, deshalb weiß ich nicht, ob er tot oder noch am Leben ist. In den Krieg wird er gezogen sein – wie er es immer gesagt hat! O, nun kann er freilich Generalfeldmareschall werden gleich Herrn Schartlin von Burtenbach, von welchem der Vater vorhin sprach; aber ihm kann auch eine Kugel durch das Herz gehen wie dem Johannes oder wie dem wilden Fritz, dem einzigen Sohne der alten Christine, die nun im Siechenhause wohnt. Weh mir, und