Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

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Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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glückliche Reise!« sagte Festus, und der Reiter schritt pfeifend zu seinem müden Roß in den Stall hinaus, bereitete sich aus einigen Strohbündeln ein Lager und schlief die ganze Nacht wie einer, welcher seine Pflicht getan hat.

      Der Vikarius legte das empfangene Schreiben auf den Tisch und führte den alten Chrysostomus in sein Kämmerlein.

      Während er aus dem Zimmer entfernt war, nahm der italienische Arzt den Brief auf und las kopfschüttelnd die Überschrift: »An die Monika im Pfarrhause zu Holzminden an der Weser. Heimlich abzugeben, auf daß der Herr Vater nicht darhinterkomme.«

      »Was fehlet diesem Mönche?« fragt sich Simone Spada. »Nein, nein, das war nicht bloß körperliche Ermüdung und körperliches Unwohlsein. Ich möchte wohl wissen, was diesem jungen Mönche eine solche Falte auf die Stirn gegraben hat!«

      Hier strich der Arzt finster über die eigene Stirn, wo er eine ähnliche Falte fühlte.

      »An diesem Briefe haftet das Geheimnis, welches ich wissen will!«

      Schnell legte er das Schreiben Klaus Eckenbrechers nieder; der Bruder Festus trat wieder ein und ließ sich dem Arzte gegenüber auf seinem Schemel am Kamin nieder. Verstohlen glitten die forschenden Blicke des Arztes zu ihm hinüber.

      Welch seltsames Spiel des Schicksals hatte diese beiden Männer zusammengeführt! – –

      »Wie glücklich das Alter doch ist«, sprach der Vikarius; »er schläft schon, und – ohne Träume wird er schlafen.«

      »Ich hoffe, auch Ihr werdet einen guten Schlaf tun auf einen solchen schweren Tag wie der heutige«, meinte der Arzt.

      »Ich hoffe es auch!« sagte Festus seufzend. »Aber Ihr selbst werdet jetzt der Ruhe bedürfen, mein freundlicher Helfer in der Not! Soll ich Euch Euer Gemach zeigen? Ihr werdet freilich, wie schon gesagt, vorliebnehmen müssen; selbst in ruhigeren Tagen bietet unser armes Dach nicht viel Bequemlichkeiten, und heute habe ich noch einige der obdachlos gewordenen Familien darunter aufnehmen müssen.«

      »Wenn Ihr wüßtet, welche seltsame Nachtquartiere mir auf meinem Lebensweg zuteil geworden sind, Ihr würdet gewißlich Euere Worte und Entschuldigungen sparen«, sprach lächelnd der Arzt.

      »So kommet.«

      Der Bruder Festus führte seinen Gast in das obere Gestock des Hauses, wo sich ein noch leeres Kämmerchen befand dicht unter dem Strohdach, eingerichtet zur Benutzung für durchziehende Amtsbrüder. Hieher hatte Paul, der Diener Simones, bereits die Mantelsäcke seines Herrn gebracht und sich selbst ein Lager auf dem Fußboden bereitet. Die andern Knechte des Italieners schliefen mit Franz Lindwurm im Stall neben den Pferden.

      »Der Herr sei mit Euch!« sagte Festus, indem er seinem Gast die Hand drückte.

      »Und mit Euch – in Ewigkeit, Amen!« antwortete der Arzt, worauf ihn der junge Geistliche verließ, nachdem er die Lampe auf dem rohen Tischchen von Tannenholz niedergesetzt hatte.

      »Es sind böse Gewalten, die solche Furchen über solche jungen Stirnen ziehen«, murmelte Simone. »Ich will mehr davon wissen.«

      Er entkleidete sich, warf sich auf das harte Lager, ohne die Lampe auszublasen, und ließ sich schneller, als er dachte, von den Wassern, die unfern dem kleinen, einzigen Fenster seines Schlafgemaches vorbei rauschten, in den Schlaf lullen.

      Der Vikar Festus rang sich wachend die Hände wund auf seinem Lager und stöhnte:

      »Monika, o Monika, Monika!«

      So kam die Mitternachtsstunde heran.

      Als der Nachtwächter zu Holzminden den darauf bezüglichen Vers absang, richtete sich Simone Spada, durch die Berührung einer Hand aus dem Schlafe aufgeschreckt, erschrocken in die Höhe:

      »Wer ist da?«

      »Ich!« flüsterte eine kaum hörbare Stimme. »O, erschreckt nicht; ich bin’s, Festus, der Vikar, der arme Mönch Festus!«

      Es war finstere Nacht, die Lampe war erloschen, unheimlich grollte und donnerte der Fluß.

      Der Arzt griff nach der mageren, zitternden Hand, welche nach der seinigen suchte, und drückte sie teilnehmend.

      »Was ist Euch, mein Freund? Ihr seid krank; sprecht, kann ich Euch helfen, so will ich es gerne tun.«

      »Hört mich, hört mich; ich trage es nicht länger für mich allein – Feuer um mich und in mir! – o Gott, in welche Schrecken und Qualen stürzest du deine Geschöpfe! Ich muß sprechen, ich will sprechen! Ich will zu Euch sprechen, obgleich ich Euch nicht kenne! O, seid barmherzig und hört mich an, Ihr, welcher aus einer Welt kommt, von der ich keinen Begriff habe. Morgen geht Ihr ja wieder, und in bunter Pracht wechselt das Leben um Euch, und ich bleibe hier zurück in meinem Jammer –«

      »Ihr liebt!« rief der Arzt Simone, und der Priester fiel neben der Lagerstatt nieder und verbarg schluchzend sein Haupt in den Kissen.

      »Ihr liebt! Ihr liebt! Redet, redet! Gott hat uns in Wahrheit zusammengeführt. Sprecht, sprecht! Ich kenne die wahnsinnige Glut, die Euch verzehrt, die Flammen, in denen Ihr Euch krümmt gleich dem Salamander, die Ihr nur löscht mit dem eigenen Herzblut. Ihr sollt sprechen, Ihr müßt sprechen, Freund, Bruder!«

      Er zog den jungen Geistlichen zu sich empor und hielt ihn in seinen Armen; er fühlte das Herz desselben an dem seinigen klopfen, zu neuem Leben wachten die eigenen Flammen wieder auf, die in ihm unter leichter Aschendecke geschlafen hatten.

      »O, könntet Ihr ahnen«, sprach Festus, »könntet Ihr ahnen, was ich trage, seit das große Geheimnis sich mir enthüllt hat, seit es von meinen Augen gefallen ist gleich Schuppen, seit sich die Welt mir gezeigt hat, wie eine schöne Zauberlandschaft während einer Gewitternacht in einem urplötzlichen Blitzstrahl sich zeigt. Nun trage ich die tiefe Sehnsucht in mir, und in jedem Augenblick verliere ich zu tausendfacher Todesqual das, was ich nie besessen habe! Und immer ist’s mir, als verliere ich das unsagbare Glück durch eigene Schuld, immer ist’s mir, als brauche ich nur die Hand auszustrecken, um die Krone des Lebens zu ergreifen und sie mir auf die Stirn zu drücken. Und der böse Geist steht neben mir und zählt die Sekunden eine nach der andern, tagelang, nächtelang, und jeder Schlag meines Herzens ist Qual, grenzenlose Qual in der Zeit und Verderben und Verworfenheit in der Ewigkeit! O Gott, Gott, du weißt, wie ich gefleht habe zu dir und allen deinen Heiligen; o Gott, Gott, erlöse mich von der Pein, sende mir Ruhe, Ruhe! Wie sie durch die finsteren Wolken meiner Seele schwebt in all ihrer Lieblichkeit! Die Sonne strahlt golden durch ihre goldenen Locken, und sie lächelt und weiß nicht, welches Verbrechen an einem Menschenwesen durch ihre Schönheit verübt wird! Keine, keine Rettung im Himmel und auf Erden! O, du fremder Mann aus der Welt der Lebendigen, der sie auch angehört und ich nicht, sage: fallen solche Qualen auch auf euch? Sprich, wie wehrt ihr euch, daß euere Seelen nicht in Wahnsinn versinken?«

      »Wohl kennen wir dieselbe Pein, Armer! O, Bruder Festus, schrecklich ist’s, den Wahnsinn fürchten zu müssen; aber noch schrecklicher ist’s, wenn man auf ihn hofft wie auf den einzigen Retter. Ich habe geliebt wie Ihr, Festus, und – niemand konnte auch mir helfen.«

      »Drüben im Lande der Ketzer wohnt sie. Der wilde Strom rollet seine Fluten zwischen uns. Verloren ist ihre Seele in alle Ewigkeit, sagt die Lehre unserer Kirche.«

      »Und sie weiß von deiner Liebe, Festus?«

      »Nein, nein, nein!« rief der Mönch. »Hast du’s nicht gehört? Einen andern liebt sie! Morgen will ich ihr den Brief, auf den sie harrt, durch die Fluten und die Eisschollen tragen.«

      »Und sie ist würdig, geliebt zu werden? Sie ist nicht bloß ein schönes falsches Blendwerk?«

      »Sie ist rein wie Gottes unschuldigste Engel – wer zweifelt daran?« rief der Mönch wild.

      »Glücklicher, Glücklicher!« murmelte Simone Spada. »Festus, Festus, glaube mir, du trägst noch nicht den schlimmsten Schmerz! Dein Herz mag dunkel sein; aber ein heller Stern, der Glaube an die Reinheit, an die teuere Herrlichkeit des selbstgeschaffenen Idols leuchtet noch darin in unbeflecktem Glanze. Mag sie einem andern angehören,


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