Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

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Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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so war es mir darum doch ganz Recht, daß das Feld mir nun ganz allein bleiben sollte. Meine Gewissensbisse hatte ich dadurch ein wenig zur Ruhe gebracht, daß ich dem Martin eine silberne Kette an die Uhr auf dem Jahrmarkt gekauft hatte. Ich war ganz glücklich, und hatte mir fest vorgenommen, am anderen Tage, wenn der Martin über die Berge davon sei, dem Hedchen alles zu sagen, was ich für sie fühlte. – Es war ein schöner Abend, der Mond schien, die alte Mutter Lindener saß vor ihrer Thür in dem bleichen Licht; den Martin vermutete ich im Hinterstübchen bei unseren beiden Alten und wünschte ihm recht viel Geduld zu den guten Lehren und Ermahnungen, welche sie ihm noch – Männerrat und Weiberrat – mit auf die Wanderschaft geben mochten. Leise strich ich über die Gasse, trat ganz schüchtern und voll Respekt an der Hedwig Mutter heran und wünschte ihr einen guten Abend. Die Alte sah mich ziemlich scheel von der Seite an und murrte etwas, was ein Dank sein konnte, obgleich ich dessen durchaus nicht sicher war. Vergebens horcht’ ich nach der Hedwig süßen Stimme im Haus, und endlich merkt’ ich, sie war nicht daheim. So ließ ich denn die mürrische Schwiegermutter, schob die Hände in die Tasche, pfiff ein Liedchen zwischen den Zähnen und schlenderte im Mondenschein die Straße herab. – Unter dem Thorbogen stehen einige Dirnen und Buben und schwatzen, flüstern und singen. Es war recht die Zeit dazu.

      »So allein, Wolfgang?« fragte des Poggenmüller’s Lischen. – »Wie Du siehst, Froschprinzessin!« sage ich. Weißt Du noch Martin, wir nannten sie Froschprinzessin, weil sie so kurz und dick und ihr Vater der Poggenmüller war? – Schnippisch sagte das Ding: »Könntest es auch besser haben, wenn Du weiter gingst, Wolfgang, Deiner Nase nach.« – »Wieso, Jungfer Liese?« frage ich. – »Wer allzuviel fragt, wird in die Irre geschickt, Wolfgang Bart, steige nur zu und halt Dich nicht auf.« –

      Nun lachten die Burschen und Mädchen und eine Stimme sang aus dem Haufen:

      »Wer kann denken, wie es schmerzet,

       Wenn ein Andrer mit ihr scherzet?

       Mit den Augen zielen,

       Mit den Lippen spielen,

       Ist mein Verdruß.«

      Und dann fiel der ganze Chor ein in das alte Lied von der verschmäheten Liebe:

      Jetzt hab’ ich mir vorgenommen,

       Nimmermehr zu Dir zu kommen;

       Denn Du bist von Flandern,

       Liebst Einen um den Andern,

       Drum haß ich Dich.

      Ich ärgerte mich nicht wenig, aber da es nicht das Mindeste geholfen hätte, wenn ich es ihnen hätte merken lassen, so richtete ich mich so hoch als möglich auf und schritt stramm zwischen ihnen durch, hinauf den Berg, der von dem Thor an seinen Anfang nimmt. Der Ärger trieb mich, und der Mondenschein lockte mich, so daß ich bis zum Walde empor stieg. Ich habe den Wald immer sehr gern gehabt und wollte deshalb auch ein Jäger werden. So schlage ich mich denn durch das Gebüsch bis zum Laurenstein – Ihr seht die Ecke vom Fels dort über dem Hausdach; geht einmal hinauf, man hat eine hübsche Aussicht von dort auf die Stadt und man kann auch unser Schmiedefeuer von dort sehen.«

      Ich war schon oben gewesen und hatte herabgeblickt auf die Stadt und die Schmiede, und der Leutnant fuhr fort:

      »Wie ich so auf dem Waldwege gegen den Vorsprung des Gesteins zu schreite, höre ich plötzlich etwas wie ein Flüstern, stehe still und lausche, und im nächsten Augenblick überläuft es mich heiß und kalt: das ist ja der Martin! …«

      »Und er war’s auch!« sagte der Schmied. »Dachtest wohl, Du hättest den schönen Sommerabend und den Mondenschein für Dich allein gepachtet? Hand vom Hammer, – andere Leute waren auch da!«

      »Leider waren sie da,« seufzte der Leutnant, die Haare des Hinterkopfes reibend. »Alle Teufel, fährt’s mir durchs Herz, das ist ja auch die Hedwig! … Und alles Blut schießt mir in das Herz, und alle Adern schlagen mir, und schwarz wird’s mir vor den Augen. Die Hedwig Lindener hör’ ich schluchzen, und der Martin, den ich im Hinterstübchen bei den Alten meine, der Martin sitzt bei dem Mädchen auf dem Laurenstein und tröstet es, und ich Narr stehe im Schatten hinter den Beiden und höre zu. Ich komme auch nicht eher wieder zur Besinnung, als bis da vor mir im Mondenschein die Rede auch auf mich kommt. Da bin ich mit einem Schrei zwischen den Beiden und halte den Martin an der Kehle und er packt mich auch – es graust mir noch heute, wenn ich daran denke.«

      »Mir auch, Wolfgang!« lachte der Schmied. »Gottsdonnerwetter, was hattest Du für einen Griff!«!

      »Und nun geht ein Ringen an,« rief der Leutnant, »ich weiß nicht mehr, was ich thue, wo ich bin, und was ich will. Das Hedchen schreit und wirft sich auf die Knie – ich und der Martin drängen uns immer mehr an den Rand der Klippe – bardauz, da tritt der eine fehl und nun schlagen wir alle beide über den Abhang und rollen die Klippe herunter, wohl dreißig Fuß und mehr. Die Hedwig stürzt händeringend und hilferufend den Berg hinunter zur Stadt. Uns beiden Brüdern sind die Sinne vergangen, und so liegen wir und halten uns noch immer umarmt. Als wir uns wieder besinnen, da ist es wohl jedem gewesen, als habe er schwer geträumt – wie man wohl von Mord und Totschlag und Turmabfallen träumt. Aber nein, – ‘s ist kein Traum gewesen, und jeder von uns zwei hat die bittersten Minuten seines Lebens gekostet, wie er so da liegt zwischen dem Gestein und Gestrüpp im Mondenschein. Ich fühle, wie das Blut mir über die Stirn rieselt und hoffe auf den Tod, denn ich mein’ nicht anders, als der Martin habe sich den Hals abgestürzt. Und dann – schluchzt es neben mir – heiliger Gott, wie hat mich das durchzuckt! … Wolfgang! klingt es ganz leise neben mir. – Martin! rufe ich – bist Du tot, Martin? – Er seufzt kläglich, und ich seufze ebenso. – Das ist eine schöne Geschichte, – o Donnerwetter, Wolfgang, weißt Du’s gewiß, daß wir hier unter dem Laurenstein liegen? – Der Hedwig wegen! sage ich – o Martin, Martin! – Dann schweigen wir alle beide und seufzen und stöhnen nur und dann –«

      »Dann haben wir uns versöhnt!« rief der Schmied »das war ja auch nur eine Kleinigkeit nach solchem Teufelsspuk!«

      »Ja, wir haben uns die Hände gereicht, und als das Volk mit Geschrei kam, uns aufzusuchen und uns in die Stadt hinabzutragen, da fanden sie mich freilich mit zerschlagenem Kopf und den Martin mit gebrochenem Fuß, aber sonst ganz einträchtiglich bei einander liegend. Und so oft ich die Geschichte erzähle – es kommt nicht oft – geben wir uns an dieser Stelle jedesmal die Hand. Da, schlag ein, Martin, alter Kerl! ‘s ist doch am besten gewesen, daß Du die Hedwig gekriegt hast und nicht ich, Friede sei ihrer Asche!«

      Der lahme Schmied schlug kräftig in die dargebotene Rechte des alten Soldaten und sagte: »Die arme Hedwig! Sie hat sich zuerst gar nicht zufrieden geben können und hat alle Schuld auf sich nehmen wollen an dem Unglück. Was konnte sie dazu, daß sie so hübsch und lieb und gut war? – Nun, Herr Kollaborator, mit dem Wandern wurde es nun nichts, ich mochte mein Ranzel nur wieder auspacken. Das Schlimmste ist aber noch zurück: wohl erzählte ich unseren beiden Alten eine hübsche Historie und setzte ihnen klar auseinander, auf welche Weise wir auf dem Laurenstein zum Fall gekommen seien. Sie schnüffelten aber herum, gute Freunde kamen dazu und so hatten sie bald das Rechte heraus. Da blieb dem armen Teufel von Wolfgang nichts übrig, als an meiner Stelle den Ranzen aufzunehmen und abzuziehen aus dem Vaterhaus. Der alte Bart verstand keinen Spaß, und wäre die Mutter nicht gewesen, der Wolfgang hätt’ nicht einmal einen Segenswunsch mit auf die Wanderschaft bekommen. Wolfgangs Kopf heilte eher als mein Fuß, und brachte er mit Thränen die Hedwig selbst zu mir an mein Bett und ging davon in die weite Welt.«

      »Fiel den hessischen Werbern in die Hände und schwamm später auf den Schiffen der Engländer über das Weltmeer nach Amerika, damit der Kurfürst von Kassel sein Schloß Wilhelmshöhe bezahlen konnte,« fiel der Leutnant ein und fuhr fort: »Ja, ja Schulmeister, Euer Kollege, der Seume, hatte wohl recht, wenn er öfters ausrief: ›es stehet schlecht um die Kneipe im deutschen Reiche.‹«

      »Den Seume habt Ihr gekannt, Leutnant?«

      »Ja wohl; wir waren eine ganze Zeit lang Zeltbrüder; Schulmeister, das war ein echter Mann, das war ein echter Mensch! Der sah klar in die Zeiten und von des Vaterlandes kommender Schmach und drohendem Jammer hat er gesprochen in Flammenworten, ein Mann der Freiheit, der die Freiheit


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