Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

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Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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Felsschicht ob’re Mündung

       Des Himmels Herrlichkeit zu uns hinein

       Und eilig stieg ich vor aus ihrer Mündung

       Und grüßte nun der Sterne gold’nen Schein.«

      Aber nicht die Sterne standen am Himmel; in roter Glut der Abendsonne lag der stille Wald da. Ein Häher hackte an einer Eiche, die Grillen zirpten im Grase. Unser Führer nahm das Mützchen in die schwarzen Hände und betete leise. Neben dem niederknienden Ännchen kniete ich. Dann gingen wir Hand in Hand still durch den Wald der Hütte unseres alten Freundes zu. –

      Vor der Köhlerhütte saß auf einem Baumstumpf der Leutnant on half pay Wolfgang Bart, wie gewöhnlich aus der kurzen Soldatenpfeife blaue Rauchwolken vor sich hin blasend. Er saß in tiefen Gedanken und bemerkte unsere Ankunft nicht eher, als bis wir dicht vor ihm standen. Anna von Rhoda ließ jetzt meine Hand los, mit ausgebreiteten Armen stürzte sie vor dem Alten nieder, schlang die Arme um ihn, barg ihr Gesichtchen an seiner Brust, hob es wieder und flüsterte weinend und lachend:

      »O lieber Vater, o Väterchen, auf alles hat sich Dein armes Kind wieder besonnen! Lieber, Lieber, das arme Ännchen weiß nun wieder wie es heißt – Anna von Rhoda wurde es einst genannt – o Vater, Vater, nicht wahr, das arme Ännchen bleibt doch Dein Kind, es bleibt doch Deine Tochter?«

      Der alte Soldat wollte sich erheben, aber er sank kraftlos zurück auf seinen Sitz; er wollte sprechen, aber die Zunge versagte ihm ihren Dienst. Von dem thränenüberfluteten Gesichte seines Pflegekindes blickte er zu dem Köhler und mir empor, als erwarte, als erflehe er von uns die Lösung des ihm Unbegreiflichen – Unverständlichen.

      Wir konnten nur mit dem Kopfe nicken; und so legte er die Hand auf die Locken Annas, bis er sich gesammelt hatte.

      »Was sagst Du da, mein Kind?« sprach er endlich. »Was ist geschehen? … wie Du mich ansiehst! Halt’ ich hier noch meine alte Annie? Kind, Kind, wiederhole mir, was Du vorhin sagtest, mein alter Kopf schwindelt allzusehr, als daß ich es so leichtlich fassen möchte.«

      »O mein liebster Vater,« schluchzte Anna von Rhoda; »küsse mich und versprich mir, das Du nie von Deinem Kinde lassen willst. Sieh, die Annie hat Dich so lieb, trotzdem daß es auf einmal so ganz hell in ihrem Geiste geworden, und sie sich an alles erinnert, was vorher mit ihr geschah, ehe Du sie auf dem Schlachtfelde zwischen den Toten aufhubst! Gott ist so gnädig gegen mich gewesen; er hat mich in den Seigergrund, in die schreckliche Höhle geführt, von welcher mein Vater zu Paris erzählt hat und da – da – da hab’ mich plötzlich auf alles besinnen können. O mein Vater! mein Vater!«

      Die Schmeichelworte, die süßen, sinnlosen Ausrufe, welche eine Mutter in solchem Augenblick gebraucht hätte, gebrauchte der alte Krieger, sein Pflegekind zu beruhigen. Dazwischen wanderten immer noch seine Blicke zwischen mir und dem Köhler hin und her. – –

      Die Sonne war längst herabgesunken, die Dämmerung füllte längst den Wald, und noch immer saßen wir vier Menschen vor der Köhlerhütte. Was geschehen war, war gesagt; was darüber zu sagen war, war gesprochen. Nun sprach keiner mehr. Das Ännchen hatte das müde Haupt an die Brust des Leutnants gelehnt; der Leutnant hielt meine Hand; der Köhler saß ein wenig abseits. In der Stille des schweigenden, nächtlichen Waldes mußten wir alle uns erst wieder in unserer Seele zurecht finden, ehe wir wieder unter die Menschen gehen konnten.

      Was wirst Du sagen, Sever, wenn Du dieses, mein Tagebuch zu Gesicht bekommen wirst? Du wirst nach Deiner Art meine Weise zu denken und das Leben aufzufassen verwünschen; – ich weiß ja, um wie viel Du den hellen, nüchternen Sonnenschein dem magischen, aber verwirrenden, zweifelhaften Lichte des Mondes vorziehst. Ist es nicht seltsam, daß hier, an dieser Stelle, nach solch einem wunderbaren Ereignis, wo mir, mir, dem »träumerischen Narren« eigentlich alles Phantasie und Märchen werden müßte – ist es nicht seltsam, frage ich, daß mir auf der Bank vor der Köhlerhütte, Deine Anschauung von Welt und Leben, als die richtigere, die bessere – die einzige erschien?

      Es ist seltsam und ist es zugleich nicht.

      Wo das Wunder in so überraschender, in so betäubender Weise über einen Menschen hereinbricht, da sucht und tastet und greift das Ich in wahrer Verzweiflung nach der nüchternen, kalten Wahrheit. Das Wunder macht nicht lebendig, das Wunder tötet! Leben ist nur in der Wahrheit!

      Wie verlangte ich nach der Wahrheit, nach der ganzen, vollen, und durfte und konnte doch nur Mutmaßungen aneinander reihen. Wohl hatte sich dem Ännchen ein Teil der Geschichte ihres Daseins enthüllt, aber nur wie die Sonne durch einzelne enge Spalten in die Höhlen des Seigergrundes fällt. Anna von Rhoda erinnerte sich nur, wie ein Kind sich erinnert; sie wußte ihren Namen, sie wußte, daß sie ihrem Vater auf dem Schoß gesessen habe: sie erinnerte sich an Spielzeug, an schöne, vornehme Damen, die mit ihr getändelt hatten, an eine Mademoiselle Adelaide, mit welcher sie durch die Welt gezogen war; sie erinnerte sich an die Namen einiger französischen und spanischen Städte, wo ihr Vater sich aufgehalten haben mußte, sie erinnerte sich auch an eine Frau – ihre Wärterin; an ihre Mutter erinnerte sie sich aber durchaus nicht.

      »O fragt mich nicht weiter, mein armer Kopf schmerzt so!« rief sie. »Laßt mich bleiben, was ich bin; mein Vater ist tot, sonst hätte er sein Kind wiedergefunden; nun laß mich Dein Kind bleiben, Du mein Vater Bart. Gedenke nur daran, wie wir zusammen durch die weite Welt und über so große Meere gezogen sind; denke daran, wie ich an Deiner Seite ritt, und wie ich am Abend am Feuer neben Dir saß und wie Du mich mit Deinem Mantel bedecktest, und wie die Freunde und Genossen alle auf Deine Bitten nicht mehr sangen und schwatzten, wenn ich müde war. Dein Kind will ich bleiben, Du mein rechter Vater; – oder sag, willst Du die Annie verstoßen?«

      »Nein, nein, um Gottes willen!« rief der Leutnant. »Aber, Herz, bedenke nur, Dein rechter Vater mag doch noch zurückkehren, – bedenke, Du bist ein vornehmes Fräulein und magst hier im Lande vornehme Verwandte haben, und die werden vielleicht nicht zugeben, daß ich Dich behalte.«

      »Ob sie von mütterlicher Seite Verwandte hat, weiß ich nicht,« sagte der Köhler; »aber vor der Sippschaft des Vaters ist sie sicher; Herr Otto von Rhoda, der unter dem westfälischen Kontingent mit nach Spanien zog, war der letzte seines Geschlechtes, so wird Anna von Rhoda die allerletzte des Stammes sein.«

      »Ich bin nichts als die Annie, ich bin nichts als das arme Ännchen!« schluchzte das junge Mädchen, und das Herz wollte mir bei ihren klagenden Lauten zerspringen vor Wehmut, und doch jubelte es zu gleicher Zeit über die Erlösung der Geliebten.

      »Und meine Annie, mein einziges Ännchen sollst Du bleiben in alle Ewigkeit!« rief der Leutnant mit einer Stimme, welcher man auch die verschluckte Wehmut anhörte. »Und nun wollen wir uns auf den Weg machen; sie möchten sonst drunten auf dem Trautenstein besorgt um uns werden. Gott, was werden die sagen, wenn sie erfahren, was –«

      »Meiner Meinung nach, Leutnant,« sagte der Köhler, »meiner Meinung nach wär’ es besser, sie erführen drunten noch gar nichts von dem, was wir heute erfahren haben. Überlegt Euch das, Leutnant.«

      »Was meint Ihr, Kollaborator, Ihr seid ein kluger Mann?«

      Ich hielt den Rat unseres Freundes, des Köhlers, für gut und befolgenswert; schon der Augen wegen, die sonst alles unberufene Volk über das arme Ännchen machen würde, und der nutzlosen Fragen wegen, welche es verfolgen würden. Ich sagte diese meine Meinung, und der Leutnant sprach:

      »Ihr mögt wohl recht haben; es wird das beste sein, daß wir schweigen. Nun gute Nacht, Freund Köhler; kehrt doch bald einmal vor auf dem Trautenstein. Für meine müden Füße ist der Weg ein wenig zu weit.«

      »Soll geschehen, Leutnant: aber haltet, ich will Euch doch lieber eine Fackel mitgeben, die anhält bis zum Heerweg. Der Wald ist stichdunkel, und vom Monde werden wir heute abend nicht viel zu sehen bekommen. Da, Herr Schulmeister, tragt den Brand und hört, behütet mir das Jungfräulein wie Euern Augapfel; sorgt, daß ihr Fuß an keinen Stein stoße und macht ihr ihren Weg – so glatt und sanft wie möglich! Verstanden?«

      »Verstanden, alter schwarzer Freund! Behüt Euch Gott!«

      »Behüt Euch Gott!«


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