Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.ganz anders als Ihr Euch vorgestellt hattet. Ja, ja, es ist so. Statt der gnädigen Mama hat der Herr Sohn die Sorge und Vormundschaft über das junge, hübsche Ding aus dem Walddorfe übernommen. So fandet Ihr denn, Robert Wolf, die Wohnung des Mädchens aus, sagtet dem ungetreuen, leichtsinnigen Schatze die Wahrheit und gebärdetet Euch so sehr wie möglich gleich einem Verrückten. Dann kam der junge Herr Leon von Poppen dazu, und wie ein junger Wolf aus dem Walde fielet Ihr über ihn her, zerschluget ihm die Nase und hättet ihn erdrosselt, wenn nicht die Sicherheitsbehörde, die den Lärm von der Gasse aus vernahm, sich drein gelegt hätte. Ei, ei, ei, jugendlicher Romantiker!«
»Sie haben recht«, schluchzte Robert Wolf, »es war töricht und dumm von mir, daß ich mich an den Schwächling, an das zerbrechliche Bübchen hielt; mit ihr selbst hätte ich die Sache ausmachen sollen. Da lag das hübsche Messer, mit welchem sie das Buch aufschnitt, in welchem sie las, als ich vor sie trat; das Messer hätte ich ihr ins Herz stoßen sollen und mir dann auch, so wär uns beiden geholfen gewesen; – das wär am besten gewesen für uns alle beide.”
Der Schreiber schnellte mit einem merkwürdig elastischen Ruck den Kopf in die Höhe; Konrad von Faber ließ von seiner Armensünderbank her ein ausdrucksvolles Pfeifen vernehmen; der Polizeirat hob die Achseln, schüttelte den Kopf, blickte etwas verlegen in die blitzenden Augen des Knaben und sagte:
»Hm, hm, es war doch besser für Euch, Wolf, daß Ihr Euch mehr an die Ohren und die Nase des jungen Barons hieltet. Ich muß Euch übrigens bemerken, daß solche unverständige Reden an dieser Stelle – was ist das? Herein!«
Ein Klopfen hatte sich an der Tür vernehmen lassen, und auf den Ruf des Beamten trat ein Polizeidiener ein und überreichte seinem Vorgesetzten einen Brief. Nachdem der Polizeirat diesem Schreiben ein kurzes, aber nachdenkliches Studium gewidmet hatte, sagte er: »Tretet für jetzt ab, Robert Wolf! Greiffenberger, ich werde klingeln, wenn dieser junge Mensch wieder vorgeführt werden soll.«
Greiffenberger winkte dem Inquisiten mit dem waschlederbekleideten Daumen auf eine Art, die nur bei der von Gott eingesetzten hohen Polizei sich ausbildet. Geduldig und gebrochen folgte der arme Teufel aus dem Walde diesem unnachahmlichen, charaktervollen Winke.
Zweites Kapitel
Der Polizeischreiber Fiebiger setzt seinen Chef in Erstaunen; Julius Schminkert wird gebeten, sich nützlich zu machen
Als sich die Tür hinter Robert Wolf geschlossen hatte, erhob sich der Hauptmann von seinem Sitze, der Schreiber spielte nachdenklich mit seiner Feder, der Rat Tröster nahm eine Prise und sagte:
»Sie sind doch ein wunderlicher Kauz, Hauptmann. Was für ein Vergnügen finden Sie, der Sie zweimal die Welt umsegelt haben, daran, auf jener Bank zu sitzen und das Elend, mit welchem wir es zu tun haben, durchzukosten? Unsereiner ist froh, wenn er einmal den Kopf aus diesem Malebolge, diesem Teufelssumpf erheben darf, Ihnen scheint es das größte Vergnügen zu machen, darin unterzutauchen und umherzuplätschern.«
»Ein Vergnügen ist es nicht, sondern ein Studium, welches den Kopf und das Herz frei macht. Jeder Mensch soll von Rechts wegen sein Steckenpferd haben. Laßt den einen Schnupftabaksdosen sammeln, den andern verrostete Münzen, Wurzelwörter, Flaschenstöpsel oder Kerbtiere; ich treibe Naturgeschichte der Menschheit und jage mein Steckenpferd um die Erde und durch – diese Polizeistube. Die weite Welt und die Polizeistube bieten ein gleich ergiebiges Feld; der Kampf um das Dasein bleibt überall derselbe, im brasilianischen Urwalde wie in der Wüste Gobi, im ewigen Eis von Boothia Felix wie hier unter der gipsernen Nase Ihres weiland Vorgesetzten, Tröster.«
»Dann, bitte, sagen Sie mir mal, was denken Sie über den gegenwärtig vorliegenden Fall, Hauptmann?” fragte der Rat den weitgereisten Mann.
»Hm, eine gute lange Missouribüchse und ein gutes Pferd, eine hübsche kleine Prärie, fünfhundert Meilen in die Länge und die Breite, würden den Jungen wieder zurecht bringen. Es ist Kern in dem Gesellen; soll mich wundern, wie lange Sie ihn werden ins Loch stecken müssen, um einen Halunken daraus zu machen.”
Der Rat nahm eine sehr lange Prise; dann griff er nach dem überbrachten Schreiben: »Hier ist ein Brief, welcher den Inkulpaten angeht. Der Baron Poppen schreibt: man möge den Robert Wolf laufen lassen; im Interesse aller Teile sei es, wenn man ihn so bald als tunlich aus der Stadt schaffe; seinen Denkzettel habe er ja schon durch den achttägigen Arrest erhalten. Der junge Herr schließt eine Banknote von zwanzig Talern ein.”
»Und das Frauenzimmer ist vollständig einverstanden mit diesen Vorschlägen? Wohl gar erste Urheberin derselben?”
»Das glaube ich sicher”, meinte der Rat. »Man kennt diese Damen. Übrigens soll das Mädchen nicht ohne Talente sein; man spricht viel in der Gesellschaft von ihr. Trotz unserer Register sind wir hier über die Person doch noch nicht ganz im klaren.”
Die Polizei sprach da ein wahres Wort: sie hatte durchaus keine Ahnung, wer und was Eva Dornbluth war.
»Alles in allem genommen”, fuhr der Rat fort, »wird es wirklich das beste sein, was wir tun können, wenn wir den armen Teufel, diesen Robert Wolf, cito citissime in seinen Wald zurückschicken. Hier am Orte würde er jedenfalls untergehen, und ich möchte wetten, daß wir ihn an dieser Stelle noch öfters und unter gravierenderen Umständen erscheinen sähen. Ich meine, ich halte dem Jungen eine gute Rede, und wir schicken ihn fort, heute abend noch oder morgen in der Frühe mit dem ersten Bahnzug, der nach seiner Provinz abgelassen wird.”
“Und er nahm Wasser und wusch sich die Hände vor dem Volk!” brummte der Hauptmann; der Schreiber aber folgte seinem nachdenklich auf und ab gehenden Vorgesetzten mit den klugen, scharfen Augen aus einem Winkel des Gemaches in den andern und bewegte dabei den Kopf auf eine Art, welche dartat, daß auch er den Kasus reiflich überlege. Aus seinen Überlegungen fuhr er schnell empor, als der Polizeirat vor ihm stehen blieb und fragte:
“Was ist Ihre Meinung, Fiebiger?”
Der Angeredete zog seine Feder hinter dem Ohre hervor, legte sie neben seinem Protokoll nieder und sagte:
“Herr Rat, ich habe nun schon manch liebes, langes Jahr unter Ihren Augen diese Register” – er legte die Hand auf den vor ihm liegenden Folioband – “geführt und habe auch con amore, aber handwerksmäßig getrieben, was der Herr Hauptmann als Dilettant treibt. Ich glaube, die Zukunft des Rubrikaten Robert Wolf ist in diesem Augenblick auf eine so scharfe Kante gestellt, daß ein falscher Schub nach beiden Seiten hin ihn auf gleiche Weise in den Abgrund stürzen wird. Greift nicht eine gute Hand fest und sicher in sein Geschick, so wird er ebensowohl in seinem Walde wie hier in der Stadt untergehen. Hier in der großen Stadt mag er zum Verbrecher, mag er zuchthausreif werden, dort im Walde vielleicht auch, jedenfalls, unantastbar sicher aber nach und nach zum brutalen, stumpfsinnigen Trunkenbold. Ich wollte mich anheischig machen, seinen Lebenslauf in der Wildnis Tag für Tag, Jahr für Jahr an den Fingern herzuzählen bis zum Verdikt des Landphysikus bei der Sektion: Ausgezeichnet schöne, weiße Säuferleber!”
Unwillkürlich mußten die beiden ändern Herrn lachen, und der Polizeirat meinte:
“Das ist ein böses Prognostikon, und leider ist viel Wahres daran. Was sollen wir denn aber mit dem Burschen beginnen? Was bleibt uns übrig, als ihn seinem Schicksal zu überlassen und uns – in der Tat – die Hände zu waschen wie der Landpfleger Pontius Pilatus?”
Die letzte Frage begleitete ein vorwurfsvoller Blick auf den Hauptmann, und dieser hielt es für seine Pflicht, den Rat zu beruhigen:
»Trösten Sie sich, Tröster; auch vor dem Proprätor von Syrien hat es Leute gegeben, welche unter bedenklichen Umständen nach dem Waschnapf und dem Handtuch riefen.«
»Ich hätte einen Vorschlag zu machen«, sprach der Schreiber, »möchte aber den Herrn Rat gehorsamst bitten, daß er vorher dem Knaben das Geld des Herrn von Poppen anböte.«
»Kommen Sie dabei nicht zu nahe in das Bereich der Faust des jungen