Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

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Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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begeistert für alles Schöne und Gute. Unsere Lebenswege hatten sich öfters gekreuzt, nachdem uns das Schicksal aus Finkenrode vertrieben hatte. Eine kurze Zeit studierten wir zusammen die Rechte und Unrechte; aber eines schönen Morgens war Alexander verschwunden – ohne daß ein Gläubiger ihm nachschrie. Er war mit einer Schauspielertruppe durchgegangen. Seine wohlhabenden Eltern stellten ewige Versuche an, ihn auf den gewöhnlichen Lebensweg zurückzuführen; aber vergebens. Sie ließen ihn und wandten sich ihren übrigen Kindern zu.

      Jetzt war die Familie zerstreut. Die Eltern waren gestorben, die Kinder verheiratet hier und da – »und ich sitze jetzt hier in diesem Neste und bemühe mich, ein anständiger Mensch zu werden; ich will eine Spiritusfabrik gründen!« schloß lachend der Schauspieler die Erzählung seiner Schicksale. »Soyons amis, Cinna – wir werden einander vielleicht nötig haben!«

      Ich reichte ihm gravitätisch die Rechte:

      »Zwei Vagabunden, zwei Seefahrer, ans Land gestiegen, aus den Wogen der süßen Liederlichkeit, welche Arm in Arm miteinander wandeln, um das Gleichgewicht auf dem festen Boden der Solidität nicht zu verlieren! Bravo! – es sei!«

      »Du siehst so feierlich aus, Max, so aufgedonnert. Willst du einen Besuch machen? Greife vertrauensvoll in den reichen Schatz meiner Finkenrodener Erfahrungen, ich« –

      »Kennst du Fräulein Sidonie Fasterling?«

      Der Schauspieler hatte sich bis jetzt behaglich auf zwei Stühlen geschaukelt, bei Nennung dieses Namens sprang er auf, die Zigarre entfiel seinem Munde, er hob sie auf, (die Röte, welche sein Gesicht überflog, konnte nicht bloß von dem Bücken kommen!) stotterte einige bejahende Worte –

      »Geschossen?« fragte ich mit einem Kunstausdruck, den Narren von der Seite ansehend.

      Er hatte beide Hände in die Hosentaschen geschoben, die Beine auseinander gespreizt und starrte mich an, mit einem Gesicht halb verblüfft, halb grinsend, daß ich in ein lautes Gelächter ausbrach.

      »Also deshalb willst du deine Spiritusfabrik gründen. Der alte Knasterbart hält wohl nichts vom Theater?«

      Der Schauspieler legte mir beide Hände auf die Schultern.

      »Freund, Bruder – sieh sie dir an! Sag mir deine Meinung – aber offenes Spiel – Max, was ist mir das Leben ohne sie! Max, sie spielt mit mir, wie die Katze mit der Maus, und der Alte will nicht! Max, vielleicht hat dich der Himmel meinetwegen nach Finkenrode geführt – sieh dir das Mädel an, Max, – sag mir deine Meinung – Sidonie! o Sidonie!«

      Hätte Meister Alexander das Schauspiel liebeglühender Ratlosigkeit und Zerfahrenheit auf den Brettern aufführen können, wie er es mir im Zimmer Nummer sechs im goldenen Weinfaß aufführte, er wäre in der Tat ein großer Mann gewesen. Ich hatte ein Gefühl kitzelnden Behagens bei seinen phantastischen Sprüngen, welches sich sehr schwer beschreiben läßt. Und dabei sah ich den Kapriolen wenigstens ebenso gleichmütig zu, wie Sancho Pansa denen seines verliebten Herrn zwischen den Felsen der Sierra Morena. Wie Sancho Pansa sagte ich mir auch: »Aus der Hölle ist keine Rückkehr,« sieh es dir von weitem an, Max; geh nicht zu nah dem Feuer – Weitenweber mag recht haben, und Hinkelmann kann sich irren! – –

      Ruhig und bedächtig vollendete ich meine Toilette, während der Schauspieler und Spiritusfabrikant unaufhörlich mich mit seinen uralten Dummheiten, welche er jedoch für sehr neu und außergewöhnlich interessant hielt, bestürmte.

      »Streiche mich heraus!« schrie er. »Schildere mich dem Hauptmann als einen Ausbund aller Tugenden und Vollkommenheiten, wann und wo du Gelegenheit dazu hast! Er wünscht mich Über alle Berge; er würde mich nach Sibirien auf den Zobelfang schicken, wenn er die Macht dazu hätte – ah, und Sidonie! Max, schau dir Sidonie an – aber als ehrlicher Freund – o Sidonie, Sidonie Fasterling!«

      »Gehen wir?« fragte ich und nahm den Hut. Wir schritten die Treppe hinunter und hinaus in die Gasse. Arm in Arm durchwandelten wir die Stadt Finkenrode bis an die Ecke des Marktplatzes. Hier ließ mich Alexander plötzlich los und blieb stehen.

      »Nun lauf allein!« flüsterte er. »Der Alte könnte am Fenster Wache halten und uns zusammen erblicken, das würde seine Achtung für dich, sein Vertrauen in dich um fünfzig Prozent verringern.«

      »Du scheinst dich hier in ein allerliebstes Licht gestellt zu haben!«

      Alexander zuckte die Achseln und ließ einen bedeutsamen Blick an allen umliegenden Häusern hinaufgleiten. »Man stellt sich nicht, man wird gestellt. In acht Tagen wirst du ebenfalls ein Liedchen davon singen. Gott befohlen, mein Sohn, geh und betrage dich als ein wackerer Freund. O, wie beneide ich dich! du wirst sie sehen – sie wird dich anlächeln, wird dir mit ihrem listigen Purpurmäulchen mehr als eine anmutige Impertinenz sagen, daß du zwischen Ärger und Wonne, ein Bild dummblickender Verblüfftheit stecken bleibst – geh, sag ihr – nein, nein, sag ihr nicht! – o Himmel und Hölle, ich wollte –«

      »Nun, was wolltest du?«

      »Du stecktest in meiner Haut!« rief der Schauspieler und entfernte sich mit eilenden Schritten.

      Langsam wandelte ich allein weiter durch die sonntägliches Kalbsbratendüfte von Finkenrode, über den Markt auf das Haus des Hauptmanns los, und gucke vorsichtig unter dem Hutrande vor nach den Fenstern, ohne jedoch hinter ihnen den gesuchten Mädchenkopf ausfindig zu machen. Niemand rührte sich in den weiten Räumen des Hauses, in welchem mir alles so fremd und doch auch so bekannt war. Ein Gefühl heimatlichen Geborgenseins überkam mich, als ich die alten schwarzen Eichenstufen der Treppe hinaufschritt. Durch einen langen dunkeln Korridor gelangte ich, ohne daß mir jemand entgegengetreten wäre, zu einer Tür, über welcher das stattliche Geweih eines Sechzehnenders prangte, dem Gemach des wackern alten Kriegers. Ich glaubte eine heisere Stimme darin zu vernehmen und klopfte leise an. Niemand öffnete, niemand antwortete. Ich klopfte abermals, und wiederum vergebens; ich legte die Hand auf den Drücker – die Tür ging auf.

      Da saß inmitten des weiten Gemaches mit den vielen Büchsen, Hirschfängern und andern Waffen, den Bildern Blüchers und Gneisenaus an den Wänden, den vielen Pfeifen in den Winkeln – der weißhaarige, gute, alte Hauptmann Fasterling, in seinem gewaltigen Lehnstuhl, vor dem mit den Resten eines anständigen Frühstücks bedeckten Tische. Trotz der halbgeleerten Weinflasche sah der Hauptmann aber keineswegs dem Bilde der Zufriedenheit gleich. Er hatte den Kopf zwischen beide Hände genommen und hielt sich, wie es schien, krampfhaft die Ohren zu; die Hausmütze hatte er über die Augen gezogen und die erloschene Pfeife lehnte am Tischrande. Zu seiner Linken stand ein grün lackierter Spucknapf, und zu seiner Rechten saß ein unbeschreiblich abscheuliches Geschöpf; wie ich später zu meinem Leid erfuhr, der Liebling und Zögling Sidoniens, der – gute Hund Waddel, dem ich aber in diesem Augenblicke keine weitere Aufmerksamkeit zuwenden konnte, weil mein Blick sich sogleich auf eine andere Gestalt heftete, welche, die Hände auf dem Rücken, an der Wand, unter dem Bilde der Schlacht bei Leipzig lehnte und abwechselnd in die lächelnde Betrachtung des guten, alten, gequälten Soldaten und ihrer Fußspitzen versunken schien. Sidonie Fasterling!…

      Malt euch ein kleines Persönchen, nicht zu rundlich und nicht zu schlank; kätzleinhaft zierlich und geschmeidig, welches die Spitzen zweier wunderbar kleinen Füßchen in roten Cendrillonpantöffelchen beliebäugelte. Sie war gleich einem schönen Tage in ein graues Morgengewand gekleidet, und aus dem weißen feinen Busenstreif wuchs auf einem zierlichen Halse ein Köpfchen, welches aschblonde Locken, ein wenig verwildert, aber desto reizender umgaben. Ein dunkelblaues, kleines Tuch war etwas verwegen flatterhaft um den hübschen Hals geschlungen und schien zu sagen: ich brauche nicht zu bleiben, aber ich bleibe. Die Äuglein, welche, wie gesagt, halb den Papa Fasterling, halb die Füßchen beleuchteten, spielten aus dem Grauen ins Blaue. Um Nase und Mund gaukelten in diesem Augenblick so viele Geisterchen – trotzige, schmeichelnde, spottende, daß ihre Erscheinung im normalen Verhältnisse schwer daraus zu definieren war. Bedeutend hervorragend durch Größe und Umfang konnten sie keinenfalls sein, und häßlich – häßlich noch weniger.

      »Und es ist doch nicht dein Ernst, Papa!« sagte Fräulein Sidonie Fasterling. In diesem Augenblick knarrte die Tür, der Alte sah auf, das Töchterlein wandte sich halb nach mir um –

      »Ich


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