Gesammelte Werke. Джек Лондон
Читать онлайн книгу.zu brauchen, und erst, als ihr Gast Abschied genommen hatte, las sie den Brief:
Liebe Saxon – Bud Stroters hat mir versprochen, Dir diesen Brief zu geben. Mach Dir keine Sorge um mich. Ich will meine Strafe verbüßen. Ich verdiene sie – das weißt Du auch selber. Ich muss ja ganz verrückt gewesen sein. Aber deshalb tut es mir doch leid, dass ich mich so benommen habe. Du sollst mich nicht besuchen. Wenn Du Geld brauchst, wird die Gewerkschaft es Dir geben. In einem Monat komme ich wieder heraus. Und, Saxon, Du weißt ja, dass ich Dich liebe, und sage Dir nur selbst, dass Du mir dies eine Mal verzeihst – dann sollst Du es nicht wieder nötig haben.
Billy.
Bud Stroters war kaum zur Tür hinaus, als auch schon Maggie Donahue und Frau Olsen als gute Nachbarinnen kamen und versuchten, sie ein wenig zu erheitern.
Nachmittags kam James Harmon. Er hinkte ein wenig, und Saxon erriet, dass er sich bemühte, es zu verbergen. Sie versuchte, sich zu entschuldigen, aber er wollte sie nicht anhören.
»Ich mache Ihnen keine Vorwürfe, Frau Roberts«, sagte er. »Ich weiß ja, dass es nicht Ihre Schuld war. Aber Ihr Mann war nicht recht bei Sinnen, denke ich mir. Er war so wild darauf, sich mit irgendjemand zu prügeln, und es war mein gewöhnliches Pech, dass ich ihm gerade in den Weg laufen musste.«
»Aber deshalb –«
Der Heizer schüttelte den Kopf.
»Ich kenne das alles so gut. Ich habe früher auch gern eins getrunken und manche Dummheit gemacht. Und es tut mir leid, dass ich ihn anzeigte. Aber ich war auch wütend. Jetzt bin ich ruhiger geworden, und es tut mir leid, dass ich es getan habe.«
»Das ist furchtbar nett von Ihnen«, sagte sie, und dann begann sie zögernd und stotternd vorzubringen, was sie bedrückte. »Sie – Sie können nicht hierbleiben, während er – fort ist, verstehen Sie?«
»Nein, das geht wohl nicht. Aber ich will Ihnen etwas sagen: Ich packe meine Sachen und gehe weg, und um sechs schicke ich einen Wagen und lasse alles holen. Hier ist der Schlüssel zur Hintertür.«
Trotz aller Einwände zwang sie ihn, das Geld für die restlichen Tage der Woche zurückzunehmen. Er drückte ihr herzlich die Hand beim Abschied und versuchte, ihr das Versprechen abzunehmen, dass sie sich an ihn wenden würde, wenn sie je Geld gebrauchte.
»Es ist alles in Ordnung«, versicherte er ihr. »Ich bin verheiratet und habe zwei Jungens. Die Lunge von dem einen ist nicht ganz in Ordnung, und meine Frau ist mit ihnen in Arizona. Die Eisenbahn hat ihnen dazu verholfen.«
Und als er die Treppe hinunterging, dachte sie, wie es wohl kam, dass es einen so guten, freundlichen Mann in einer Welt gab, die sonst so schlecht war.
Der kleine Donahue warf eine Abendzeitung zu ihr herein, und sie sah, dass das Blatt Billy eine halbe Spalte geopfert hatte. Es war nicht gerade schmeichelhaft. Es wurde erwähnt, dass er sich dem Gericht mit Augen, die Zeichen früherer Prügeleien trugen, gestellt hätte. Er wurde als Bandit, als Raufbold, professioneller Boxer beschrieben, den zu ihren Mitgliedern zu zählen eine Schande für die Gewerkschaften sei. Der Überfall, dessen er sich schuldig gemacht, wäre widerwärtig, roh und ohne den geringsten Anlass unternommen, und wenn alle streikenden Fuhrleute so wie er wären, dann würde es das einzig Vernünftige für Oakland sein, die Gewerkschaft zu sprengen und alle Mitglieder zur Stadt hinauszujagen. Und endlich beklagte die Zeitung sich darüber, dass das Urteil zu milde sei. Er hätte mindestens sechs Monate haben müssen. Es wurde ein Ausspruch des Richters angeführt, der bedauerte, nicht imstande gewesen zu sein, ihn zu sechs Monaten zu verurteilen, die Sache sei aber, dass die Gefängnisse schon überfüllt wären von den vielen, die sich bei den verschiedenen Streiks Gewalttätigkeiten hätten zuschulden kommen lassen.
Als Saxon sich am Abend zu Bett legte, fühlte sie zum ersten Mal, was Einsamkeit hieß. Es war, als schnurrte ihr alles durch den Kopf, und ihr Schlaf wurde beständig von Versuchen unterbrochen, Billy zu fassen, der, wie sie meinte, neben ihr lag. Schließlich zündete sie die Lampe an, lag da und starrte mit offenen Augen die Decke an, während sie immer wieder in allen Einzelheiten das Unglück überdachte, das sie mit so lähmender Wucht getroffen hatte. Sie konnte verzeihen und konnte es doch nicht. Der gegen ihre Liebe gerichtete Schlag war zu heftig und brutal gewesen. Ihr Stolz war zu sehr misshandelt, als dass sie in ihren Gedanken ganz zu dem anderen Billy hätte zurückkehren können – den sie geliebt hatte. Sie weinte, wie sie allein in dem großen Bett dalag und mit sich kämpfte, um Billys unfassbare Grausamkeit zu vergessen, ja, sogar mit stummer Zärtlichkeit ihre Wange auf den misshandelten Arm legte. Aber immer wieder flammte die Kränkung in ihr auf, ein ewiger heftiger Protest gegen Billy und alles, was Billy getan. Ihre Kehle brannte wie Feuer, in ihrer Brust war ein dumpfer Schmerz, der nie aufhörte, und sie wurde von dem Gefühl bedrückt, dass alles aus war. Warum? Warum? Aber auf dieses Lebensrätsel erhielt sie keine Antwort.
Am Morgen kam Sarah zu Besuch – der zweite Besuch seit ihrer Verheiratung; und es war nicht schwer zu erraten, was die Schwägerin wollte. Saxon brauchte sich nicht anzustrengen, dass ihr Stolz sich aufbäumte. Sie wollte Billy nicht im geringsten verteidigen. Es gab nichts zu verteidigen und nichts zu erklären. Alles war, wie es sein sollte, und jedenfalls ging es keinen etwas an. Das reizte Sarah nur noch mehr.
»Ich warnte dich ja. Ich habe immer gewusst, dass er nichts wert war, ein Zuchthauskandidat, ein Bandit, ein Raufbold. Das Herz sank mir in die Schuhe, als ich hörte, dass du mit einem Berufsboxer gingst. Das sagte ich dir schon damals. Aber nein, du wolltest nicht auf mich hören, du mit deinem Feingefühl und deinen vielen Schuhen – mehr als eine anständige Frau haben sollte. Du warst natürlich klüger als ich. Und da sagte ich zu Tom: ›Tom‹, sagte ich, ›jetzt ist Saxon geliefert.‹ Das waren meine Worte. Wer Pech anrührt, besudelt sich. Wenn du doch nur Charley Long geheiratet hättest! Dann hätte die Familie nicht diese Schande erleben müssen. Das ist nur der Anfang. Denk an das, was ich dir sage, das ist nur der Anfang. Wo es enden soll, das mögen die Götter wissen. Er wird noch gehängt werden wegen Mord, der Bandit, mit dem du verheiratet bist. Ja, warte nur, du wirst ja sehen. Wie man sich bettet, so liegt man, und wenn man einen Zuchthauskandidaten –«
»Ach was«, antwortete Saxon überlegen. »In dieser Zeit scheinen alle einen Vorgeschmack vom Zuchthaus zu bekommen. Ist nicht selbst Tom bei einer sozialistischen Straßenversammlung verhaftet worden? Alle Menschen kommen jetzt ins Gefängnis.«
Sie sah gleich, dass der Pfeil getroffen hatte.
»Aber Tom wurde freigesprochen«, erwiderte Sarah.
»Deshalb hat er aber doch die Nacht gesessen.«