Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können. Immanuel Kant

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Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können - Immanuel Kant


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auch nur eine entfernte Hoffnung zu derselben zu machen.

      Man ist es schon lange gewohnt, alte abgenutzte Erkenntnisse dadurch neu aufgestutzt zu sehen, daß man sie aus ihren vormaligen Verbindungen herausnimmt, ihnen ein systematisches Kleid nach eigenem beliebigen Schnitte, aber unter neuen Titeln, anpaßt; und nichts anders wird der größte Teil der Leser auch von jener Kritik zum voraus erwarten. Allein diese Prolegomena werden ihn dahin bringen, einzusehen, daß es eine ganz neue Wissenschaft sei, von welcher niemand auch nur den Gedanken vorher gefaßt hatte, wovon selbst die bloße Idee unbekannt war, und wozu von allem bisher Gegebenen nichts genutzt werden konnte, als allein der Wink, den HUMES Zweifel geben konnten, der gleichfalls nichts von einer dergleichen möglichen förmlichen Wissenschaft ahnte, sondern sein Schiff, um es in Sicherheit zu bringen, auf den Strand (den Skeptizism) setzte, da es denn liegen und verfaulen mag, statt dessen es bei mir darauf ankommt, ihm einen Piloten zu geben, der nach sicheren Prinzipien der Steuermannskunst, die aus der Kenntnis des Globus gezogen sind, mit einer vollständigen Seekarte und einem Kompaß versehen, das Schiff sicher führen könne, wohin es ihm gut dünkt.

      Zu einer neuen Wissenschaft, die gänzlich isoliert und die einzige ihrer Art ist, mit dem Vorurteil gehen, als könne man sie vermittelst seiner schon sonst erworbenen vermeinten Kenntnisse beurteilen, obgleich die es eben sind, an deren Realität zuvor gänzlich gezweifelt werden muß, bringt nichts anders zuwege, als daß man allenthalben das zu sehen glaubt, was einem schon sonst bekannt war, weil etwa die Ausdrücke jenem ähnlich lauten, nur, daß einem alles äußerst verunstaltet, widersinnisch und kauderwelsch vorkommen muß, weil man nicht die Gedanken des Verfassers, sondern immer nur seine eigene, durch lange Gewohnheit zur Natur gewordene Denkungsart dabei zum Grunde legt. Aber die Weitläuftigkeit des Werks, sofern sie in der Wissenschaft selbst und nicht dem Vortrage gegründet ist, die dabei unvermeidliche Trockenheit und scholastische Pünktlichkeit sind Eigenschaften, die zwar der Sache selbst überaus vorteilhaft sein mögen, dem Buche selbst aber allerdings nachteilig werden müssen.

      Es ist zwar nicht jedermann gegeben, so subtil und doch zugleich so anlockend zu schreiben, als DAVID HUME, oder so gründlich und dabei so elegant, als MOSES MENDELSSOHN; allein Popularität hätte ich meinem Vortrage (wie ich mir schmeichele) wohl geben können, wenn es mir nur darum zu tun gewesen wäre, einen Plan zu entwerfen, und dessen Vollziehung andern anzupreisen, und mir nicht das Wohl der Wissenschaft, die mich so lange beschäftigt hielt, am Herzen gelegen hätte; denn übrigens gehörte viel Beharrlichkeit und auch selbst nicht wenig Selbstverläugnung dazu, die Anlockung einer früheren günstigen Aufnahme der Aussicht auf einen zwar späten, aber dauerhaften Beifall nachzusetzen.

      Plane machen ist mehrmalen eine üppige, prahlerische Geistesbeschäftigung, dadurch man sich ein Ansehen von schöpferischem Genie gibt, indem man fodert, was man selbst nicht leisten, tadelt, was man doch nicht besser machen kann, und vorschlägt, wovon man selbst nicht weiß, wo es zu finden ist, wiewohl auch nur zum tüchtigen Plane einer allgemeinen Kritik der Vernunft schon etwas mehr gehöret hätte, als man wohl vermuten mag, wenn er nicht bloß, wie gewöhnlich, eine Deklamation frommer Wünsche hätte werden sollen. Allein reine Vernunft ist eine so abgesonderte, in ihr selbst so durchgängig verknüpfte Sphäre, daß man keinen Teil derselben antasten kann, ohne alle übrige zu berühren, und nichts ausrichten kann, ohne vorher jedem seine Stelle und seinen Einfluß auf den andern bestimmt zu haben, weil, da nichts außer derselben ist, was unser Urteil innerhalb berichtigen könnte, jedes Teiles Gültigkeit und Gebrauch von dem Verhältnisse abhängt, darin er gegen die übrigen in der Vernunft selbst steht, und, wie bei dem Gliederbau eines organisierten Körpers, der Zweck jedes Gliedes nur aus dem vollständigen Begriff des Ganzen abgeleitet werden kann. Daher kann man von einer solchen Kritik sagen: daß sie niemals zuverlässig sei, wenn sie nicht ganz und bis auf die mindesten Elemente der reinen Vernunft vollendet ist, und daß man von der Sphäre dieses Vermögens entweder alles oder nichts bestimmen und ausmachen müsse.

      Ob aber gleich ein bloßer Plan, der vor der Kritik der reinen Vernunft vorhergehen möchte, unverständlich, unzuverlässig und unnütze sein würde, so ist er dagegen um desto nützlicher, wenn er darauf folgt. Denn dadurch wird man in den Stand gesetzt, das Ganze zu übersehen, die Hauptpunkte, worauf es bei dieser Wissenschaft ankommt, stückweise zu prüfen, und manches dem Vortrage nach besser einzurichten, als es in der ernsten Ausfertigung des Werks geschehen konnte.

      Hier ist nun ein solcher Plan, nach vollendetem Werke, der nunmehr nach analytischer Methode angelegt sein darf, da das Werk selbst durchaus nach synthetischer Lehrart abgefaßt sein mußte, damit die Wissenschaft alle ihre Artikulationen, als den Gliederbau eines ganz besondern Erkenntnisvermögens, in seiner natürlichen Verbindung vor Augen stelle. Wer diesen Plan, den ich als Prolegomena vor aller künftigen Metaphysik voranschicke, selbst wiederum dunkel findet, der mag bedenken, daß es eben nicht nötig sei, daß jedermann Metaphysik studiere, daß es manches Talent gebe, welches in gründlichen und selbst tiefen Wissenschaften, die sich mehr der Anschauung nähern, ganz wohl fortkömmt, dem es aber mit Nachforschungen durch lauter abgezogene Begriffe nicht gelingen will, und daß man seine Geistesgaben in solchem Fall auf einen andern Gegenstand verwenden müsse, daß aber derjenige, der Metaphysik zu beurteilen, ja selbst eine abzufassen unternimmt, denen Forderungen, die hier gemacht werden, durchaus ein Gnüge tun müsse, es mag nun auf die Art geschehen, daß er meine Auflösung annimmt, oder sie auch gründlich widerlegt und eine andere an deren Stelle setzt, – denn abweisen kann er sie nicht – und daß endlich die so beschrieene Dunkelheit (eine gewohnte Bemäntelung seiner eigenen Gemächlichkeit oder Blödsichtigkeit) auch ihren Nutzen habe: da alle, die in Ansehung aller andern Wissenschaften ein behutsames Stillschweigen beobachten, in Fragen der Metaphysik meisterhaft sprechen und dreust entscheiden, weil ihre Unwissenheit hier freilich nicht gegen anderer Wissenschaft deutlich absticht, wohl aber gegen echte kritische Grundsätze, von denen man also rühmen kann:

      "ignavum, fucos, pecus a praesepibus arcent" Virg.

      Vorerinnerung von dem Eigentümlichen aller metaphysischen Erkenntnis

       Inhaltsverzeichnis

      § 1

       Von den Quellen der Metaphysik

      Wenn man eine Erkenntnis als Wissenschaft darstellen will, so muß man zuvor das Unterscheidende, was sie mit keiner andern gemein hat, und was ihr also eigentümlich ist, genau bestimmen können; widrigenfalls die Grenzen aller Wissenschaften ineinander laufen, und keine derselben ihrer Natur nach gründlich abgehandelt werden kann.

      Dieses Eigentümliche mag nun in dem Unterschiede des Objekts, oder der Erkenntnisquellen, oder auch der Erkenntnisart, oder einiger, wo nicht aller dieser Stücke zusammen, bestehen, so beruht darauf zuerst die Idee der möglichen Wissenschaft und ihres Territorium.

      Zuerst, was die Quellen einer metaphysischen Erkenntnis betrifft, so liegt es schon in ihrem Begriffe, daß sie nicht empirisch sein können. Die Prinzipien derselben, (wozu nicht bloß ihre Grundsätze,


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