Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können. Immanuel Kant

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Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können - Immanuel Kant


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sollen, sondern was wir wirklich in ihnen, obzwar nur dunkel, denken, und da zeigt sich, daß das Prädikat jenen Begriffen zwar notwendig, aber nicht unmittelbar, sondern vermittelst einer Anschauung, die hinzukommen muß, anhänge.

      § 3

       Anmerkung zur allgemeinen Einteilung der Urteile in analytische und synthetische

      Diese Einteilung ist in Ansehung der Kritik des menschlichen Verstandes unentbehrlich, und verdient daher in ihr klassisch zu sein; sonst wüßte ich nicht, daß sie irgend anderwärts einen beträchtlichen Nutzen hätte. Und hierin finde ich auch die Ursache, weswegen dogmatische Philosophen, die die Quellen metaphysischer Urteile immer nur in der Metaphysik selbst, nicht aber außer ihr, in den reinen Vernunftgesetzen überhaupt suchten, diese Einteilung, die sich von selbst darzubieten scheint, vernachlässigten, und wie der berühmte WOLFF, oder der seinen Fußstapfen folgende scharfsinnige BAUMGARTEN den Beweis von dem Satze des zureichenden Grundes, der offenbar synthetisch ist, im Satze des Widerspruchs suchen konnten. Dagegen treffe ich schon in LOCKES Versuchen über den menschlichen Verstand einen Wink zu dieser Einteilung an. Denn im vierten Buch, dem dritten Hauptstück § 9 u. f. nachdem er schon vorher von der verschiedenen Verknüpfung der Vorstellungen in Urteilen und deren Quellen geredet hatte, wovon er die eine in der Identität oder Widerspruch setzt (analytische Urteile), die andere aber in der Existenz der Vorstellungen in einem Subjekt (synthetische Urteile), so gesteht er § 10, daß unsere Erkenntnis (a priori) von der letztern sehr enge und beinahe gar nichts sei. Allein es herrscht in dem, was er von dieser Art der Erkenntnis sagt, so wenig Bestimmtes und auf Regeln Gebrachtes, daß man sich nicht wundern darf, wenn niemand, sonderlich nicht einmal HUME, Anlaß daher genommen hat, über Sätze dieser Art Betrachtungen anzustellen. Denn dergleichen allgemeine und dennoch bestimmte Prinzipien lernt man nicht leicht von andern, denen sie nur dunkel obgeschwebt haben. Man muß durch eigenes Nachdenken zuvor selbst darauf gekommen sein, hernach findet man sie auch anderwärts, wo man sie gewiß nicht zuerst würde angetroffen haben, weil die Verfasser selbst nicht einmal wußten, daß ihren eigenen Bemerkungen eine solche Idee zum Grunde liege. Die, so niemals selbst denken, besitzen dennoch die Scharfsichtigkeit, alles, nachdem es ihnen gezeigt worden, in demjenigen, was sonst schon gesagt worden, aufzuspähen, wo es doch vorher niemand sehen konnte.

      Der Prolegomenen

       Allgemeine Frage:

       Ist überall Metaphysik möglich?

       Inhaltsverzeichnis

      § 4

      Wäre Metaphysik, die sich als Wissenschaft behaupten könnte, wirklich; könnte man sagen: hier ist Metaphysik, die dürft ihr nur lernen, und sie wird euch unwiderstehlich und unveränderlich von ihrer Wahrheit überzeugen, so wäre diese Frage unnötig, und es bliebe nur diejenige übrig, die mehr eine Prüfung unserer Scharfsinnigkeit als den Beweis von der Existenz der Sache selbst beträfe, nämlich, wie sie möglich sei, und wie Vernunft es anfange, dazu zu gelangen. Nun ist es der menschlichen Vernunft in diesem Falle so gut nicht geworden. Man kann kein einziges Buch aufzeigen, so wie man etwa einen Euklid vorzeigt, und sagen, das ist Metaphysik, hier findet ihr den vornehmsten Zweck dieser Wissenschaft, das Erkenntnis eines höchsten Wesens und einer künftigen Welt, bewiesen aus Prinzipien der reinen Vernunft. Denn man kann uns zwar viele Sätze aufzeigen, die apodiktisch gewiß sind und niemals bestritten worden; aber diese sind insgesamt analytisch, und betreffen mehr die Materialien und den Bauzeug zur Metaphysik, als die Erweiterung der Erkenntnis, die doch unsere eigentliche Absicht mit ihr sein soll. (§ 2 litt. c.) Ob ihr aber gleich auch synthetische Sätze (z. B. den Satz des zureichenden Grundes) vorzeigt, die ihr niemals aus bloßer Vernunft, mithin, wie doch eure Pflicht war, a priori bewiesen habt, die man euch aber doch gerne einräumet: so geratet ihr doch, wenn ihr euch derselben zu eurem Hauptzwecke bedienen wollt, in so unstatthafte und unsichere Behauptungen, daß zu aller Zeit eine Metaphysik der anderen entweder in Ansehung der Behauptungen selbst oder ihrer Beweise widersprochen, und dadurch ihren Anspruch auf daurenden Beifall selbst vernichtet hat. Sogar sind die Versuche, eine solche Wissenschaft zustande zu bringen, ohne Zweifel die erste Ursache des so früh entstandenen Skeptizismus gewesen, einer Denkungsart, darin die Vernunft so gewalttätig gegen sich selbst verfährt, daß diese niemals, als in völliger Verzweiflung an Befriedigung in Ansehung ihrer wichtigsten Absichten hätte entstehen können. Denn lange vorher, ehe man die Natur methodisch zu befragen anfing, befrug man bloß seine abgesonderte Vernunft, die durch gemeine Erfahrung in gewisser Maße schon geübt war, weil Vernunft uns doch immer gegenwärtig ist, Naturgesetze aber gemeiniglich mühsam aufgesucht werden müssen: und so schwamm Metaphysik oben auf wie Schaum, doch so, daß, so wie der, den man geschöpft hatte, zerging, sich sogleich ein anderer auf der Oberfläche zeigte, den immer einige begierig aufsammleten, wobei andere, anstatt in der Tiefe die Ursache dieser Erscheinung zu suchen, sich damit weise dünkten, daß sie die vergebliche Mühe der erstern belachten.

      Das Wesentliche und Unterscheidende der reinen mathematischen Erkenntnis von aller andern Erkenntnis a priori ist, daß sie durchaus nicht aus Begriffen, sondern jederzeit nur durch die Konstruktion der Begriffe (Kritik S. 713 [B 741]) vor sich gehen muß. Da sie also in ihren Sätzen über den Begriff zu demjenigen, was die ihm korrespondierende Anschauung enthält, hinausgehen muß: so können und sollen ihre Sätze auch niemals durch Zergliederung der Begriffe, d. i. analytisch, entspringen, und sind daher insgesamt synthetisch.

      Ich kann aber nicht umhin, den Nachteil zu bemerken, den die Vernachlässigung dieser sonst leichten und unbedeutend scheinenden Beobachtung der Philosophie zugezogen hat. HUME, als er den eines Philosophen würdigen Beruf fühlete, seine Blicke auf das ganze Feld der reinen Erkenntnis a priori zu werfen, in welchem sich der menschliche Verstand so große Besitzungen anmaßt, schnitt unbedachtsamer Weise eine ganze und zwar die erheblichste Provinz derselben, nämlich reine Mathematik, davon ab, in der Einbildung, ihre Natur, und so zu reden ihre Staatsverfassung, beruhe auf ganz andern Prinzipien, nämlich lediglich auf dem Satze des Widerspruchs, und ob er zwar die Einteilung der Sätze nicht so förmlich und allgemein, oder unter der Benennung gemacht hatte, als es von mir hier geschieht, so war es doch gerade soviel, als ob er gesagt hätte: reine Mathematik enthält bloß analytische Sätze, Metaphysik aber synthetische a priori. Nun irrete er hierin gar sehr, und dieser Irrtum hatte auf seinen ganzen Begriff entscheidend nachteilige Folgen. Denn wäre das von ihm nicht geschehen, so hätte er seine Frage wegen des Ursprungs unserer synthetischen Urteile weit über seinen metaphysischen Begriff der Kausalität erweitert, und sie auch auf die Möglichkeit der Mathematik a priori ausgedehnt; denn diese mußte er ebensowohl vor synthetisch annehmen. Alsdenn aber hätte er seine metaphysische Sätze keinesweges auf bloße Erfahrung gründen können, weil er sonst die Axiomen der reinen Mathematik ebenfalls der Erfahrung unterworfen haben würde, welches zu tun er viel zu einsehend war. Die gute Gesellschaft, worin Metaphysik alsdenn zu stehen gekommen wäre, hätte sie wider die Gefahr einer schnöden Mißhandlung gesichert, denn die Streiche, welche der letzteren zugedacht waren, hätten die erstere auch treffen müssen, welches aber seine Meinung nicht war, auch nicht sein konnte: und so wäre der scharfsinnige Mann in Betrachtungen gezogen worden, die denjenigen hätten ähnlich werden müssen, womit wir uns jetzt beschäftigen, die aber durch seinen unnachahmlich schönen Vortrag unendlich würden gewonnen haben.

      Eigentlich metaphysische Urteile sind insgesamt synthetisch. Man muß zur Metaphysik gehörige von eigentlich metaphysischen Urteilen unterscheiden. Unter jenen sind sehr viele analytisch, aber sie machen nur die Mittel zu metaphysischen Urteilen aus, auf die der Zweck der Wissenschaft ganz und gar gerichtet ist, und die allemal synthetisch sind. Denn wenn Begriffe zur Metaphysik gehören, z. B. der von Substanz, so gehören die Urteile, die aus der bloßen Zergliederung derselben entspringen, auch notwendig zur Metaphysik, z. B. Substanz ist dasjenige, was nur als Subjekt existiert etc. und vermittelst mehrerer dergleichen analytischen Urteile suchen wir der Definition der Begriffe nahe zu kommen. Da aber die Analysis eines reinen Verstandesbegriffs (dergleichen die Metaphysik enthält) nicht auf andere Art vor sich geht, als die Zergliederung


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