Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus Cusanus

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Philosophische und theologische Schriften - Nicolaus Cusanus


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in sich geschlossene Übersetzung aufgebrochen und schon gar nicht mit Gegenargumenten versehen zu werden. Es wird vielmehr dem Leser selbst überlassen, worin er die für ihn plausiblere Darstellung sieht, zumal Philosophen die beiden Texte aus einem anderen Blickwinkel in ihrem Kontext verorten als diejenigen, die mit einem theologischen Hintergrund aufwarten. Denn selbstverständlich enthalten auch Übersetzungen bereits Interpretationen, die von der Textauswahl bis in deren Darstellungen und Betonungen reichen. Im vorliegenden Zusammenhang kann die philosophisch geprägte Einleitung auch als gegensätzliche Interpretation zur fast 150 Jahre alten Übersetzung aufgenommen werden, wobei einem Koinzidenzdenker wie Cusanus in besonderem Maße gerecht zu werden versucht wird. So zeigt zumindest das Spätwerk seines Denkens, daß alle Lesarten durch die Brille der Vernunft (»de beryllo«) auf individuelle und kunstvolle Weise mit ihrer »ars coniecturalis« zur Koinzidenz gelangen können. Denn die Wahrheit liegt für Cusanus nicht, wie noch in seinem Frühwerk, im Verborgenen esoterischer Zugangsweise, sondern sie schreit nach Cusanus auf allen Gassen (»clamitat enim in plateis«), zumal der menschliche Geist (mens) als »nexus dei et mundi« sowie als »secundus deus« oder gar als »humanus deus« gedacht wird.

      Der Mensch als zweiter Gott bzw. als menschlicher Gott gedacht, kann gerade zu Zeiten des Cusanus eine häresieverdächtige Provokation darstellen, die bis heute aus katholischer Sicht gerne ausgeblendet wird, wie auch Scharpffs Übersetzung nur fragmentarisch (und eklektizistisch) ausgefallen ist. Dies braucht aber auch nicht zu überraschen, wenn man die zeitliche Differenz und den Unterschied zwischen katholischer und philosophischer Betrachtung berücksichtigt.

      Die Einleitung des Herausgebers stellt den komprimierten Text meiner Vorlesung dar, die im Sommersemester 2005 an der Staatsuniversität Riga als Kompaktveranstaltung gehalten wurde. Für die Einladung hierzu bedanke ich mich bei meinen dortigen Kollegen und Studenten, insbesondere bei der Direktorin des Philosophischen Departments, Frau Prof. Dr. phil. habil. Maija Kule, sowie für die lebhaften Diskussionen mit den Studenten, die kaum Zugang zu entsprechender Literatur haben und meine Vorlesungen in englischer Sprache verfolgen mußten. Ihnen allen gebührt mein herzlicher Dank.

      Eberhard Döring

      EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

      Nicolaus Cusanus war zwar ein Kirchenmann, sogar ein Bischof und Kardinal, aber er war kein professioneller Theologe, der etwa eine Professur für Theologie angenommen hätte. Er war eben vor allem ein bedeutender Philosoph, wenn er auch dafür angebotene Professuren schlicht abgelehnt hat. Als Allround-Genie hat er sich nirgends fest binden lassen, sondern hat zunächst als Jurist, als Fürst und somit als Politiker stets mehrere Fäden zugleich zusammengehalten und sich damit synergetisch auf verschiedenen Terrains meist erfolgreich bewegt. In seinem Gesamtwerk, wenn man auch all seine Predigten etc. berücksichtigen will, überwiegen zwar quantitativ seine theologischen Schriften, aber der intellektuelle Gehalt seines nicht nur seinerzeit revolutionären Denkens geht eindeutig aus seinen philosophischen Werken hervor, die in unserem Jahrhundert erneut große Beachtung verdienen und quasi eine Renaissance des Renaissance-Philosophen haben entstehen lassen.

      Diese werden auch im vorliegenden Band vorangestellt und umfassender kommentiert, da aus seinen philosophischen Reflexionen auch seine anderen Schriften leichter verständlich werden. Wenn das Wort nicht so schillernd semantisch besetzt wäre, könnte man ihn auch zu den großen Mystikern zählen, wie dies zumindest aus seiner gründlichen Lektüre Meister Eckharts hervorgeht. Darüber hinaus war er ein glänzender Kenner der Schriften des mittelalterlichen Philosophen Raimundus Lullus und anderer Größen aus dieser Zeit. Besonders jedoch hat er sich mit Platon und Aristoteles beschäftigt, dessen Logik und deren Reichweite er so kritisch untersuchte, daß er dafür von einem Heidelberger Theologieprofessor (Johannes Wenck) den Vorwurf des Atheismus, mindestens aber die Einschätzung als unwissenschaftlicher Denker einstecken mußte. Wenn auch die darin erhobenen Einwände gegen Cusanus aus der Perspektive des verabsolutierten oder dogmatischen Aristotelismus den Kern der cusanischen Rationalitätskritik treffen, so wäre es falsch zu vermuten, Cusanus hätte die »süße Simplizität der zweiwertigen Logik« (um mit dem großen amerikanischen Logiker Quine aus dem 20. Jahrhundert zu sprechen) nicht hinreichend durchschaut.

      Im Gegenteil: Die aristotelische Logik war Cusanus nicht ausreichend genug, das genuin reflektierte Denken der Philosophie zu erfüllen. Er hat sogar als Philosoph von Rang und Namen die Erfindung der Syllogistik durch Aristoteles in hohem Maße gewürdigt und ihr dabei sogar eine exklusive Stellung im Ensemble der zu berücksichtigenden Regionen des dynamischen Denkens eingeräumt. Er hat sich aber von der Logik nicht blenden lassen, wie etwa der sog. »kritische Rationalismus« sogar noch im 20. Jahrhundert.

      Cusanus konnte dem logischen Rationalismus vieles an Bedeutung abgewinnen, aber er hat diese Position von ihrer eigenen Verabsolutierung entgrenzt und sie trotz allen Respekts zugleich begrenzt. Die der aristotelischen Logik verpflichtete Rationalität wollte er keineswegs aus dem Denken exkludieren, sondern vielmehr integrieren in ein dynamisches Schema, das vor ihm und bis hin zu Schelling oder Hegel kaum ein Philosoph in dieser Präzision und elastischen Stringenz zugleich geleistet hat. Logik und Rationalismus waren für Cusanus elementare Bestandteile seiner Philosophie, die mit ihren fast schon transzendentalen Anteilen sowie seiner Unterscheidung zwischen Verstand (ratio) und Vernunft (intellectus) sowie vor allem mit ihrem dynamischen Grundmuster zur Aszendenz und Deszendenz innerhalb seiner (noch zu erörternden) Regionentheorie schon einiges vorwegnehmen konnte, was sich für Kant und seine Auseinandersetzung mit dem Empirismus von Locke und Hume sowie mit dem Rationalismus von Leibniz und anderen Denkern des 18. Jahrhunderts als äußerst hilfreich angeboten hätte. Doch seine Philosophie wurde über lange Zeit nur aus zweiter Hand (Giordano Brunos) und auch da nur fragmentarisch vermittelt, wie man dies bei Hamann und Goethe, aber auch bei Hegel nur stichwortartig, die Oppositionskoinzidenz betreffend, bei näherem Hinsehen feststellen kann.

      Die »coincidentia oppositorum« bildet den Mittel- und Schwerpunkt der Cusanischen Philosophie und steht innerhalb dieser quasi trans-logisch oder supra-rational der Vernunft zur Verfügung, übersteigt den rationalen Verstand und leistet damit eine contradictio im Sinne einer regula veri und nicht einer contradictio falsi. Diesen zentralen Aspekt in der Philosophie des Cusanus gilt es stets zu berücksichtigen, wenn man wissen will, wie der Verstand zur Vernunft kommen kann, ohne dabei den Verstand zu verlieren. Besonders jedoch gilt es, die Grenzbegriffe in seiner Regionentheorie (aus »sensatio«, »ratio«, »intellectus« und »deus«) zu berücksichtigen, da sich an der jeweiligen Grenze von einem Bereich gegenüber dem »höheren« oder »niedrigeren« Bereich sein durchaus dialektisches Philosophieren begreifbar machen läßt. Weder die Sinnlichkeit alleine (»sensatio«), noch der Verstandesbereich (»ratio«), noch die Region der Vernunft (»intellectus«) oder gar die Dimension des »deus« (also Gottes) sind für Cusanus in ihrer isolierten Betrachtung oder gar Verabsolutierung reflektierbar. Nur das Sehen (»visio«) aller genannten Bereiche und ihrer Grenzen sowie in ihrem Zusammenhang kann die Einheit im Ensemble der gesamten Aspekte erfassen, wie man auch immer im Blick behalten muß, daß seine Philosophie, wie bereits erwähnt, den großen Philosophen des Deutschen Idealismus (also Kant, Fichte, Schelling und Hegel) aus Gründen der Quellenlage nicht bekannt war.

      Anders als z.B. bei Kant1 steht das Philosophieren des Cusanus in einem engen Zusammenhang mit seiner Vita, weshalb man sein Leben auch bis in sein letztes, zwar schmales, aber doch reifes Büchlein »De beryllo« und darauf gestützt, sogar als eine biographische Koinzidenz durch die Brille des Geistes (»mens«) bezeichnen könnte. Cusanus wurde im Jahre 1401 unter dem Namen Nikolaus Chryfftz (d. h. Krebs) in Cues an der Mosel geboren (heute als Bernkastel Kues wegen des von ihm dort etablierten Altenpflegeheimes (St.-Nicolaus-Hospital), aber auch wegen des Moselweins bekannt). Sein Vater Johann Chryfftz war ein reicher Winzer und Schiffseigner im selben Ort, in dem Cusanus bis zu seiner Schulausbildung in einer wohlhabenden Familie aufwachsen konnte. Bereits im Alter von 16 Jahren begann er für kurze Zeit sein Studium der freien Künste (»artes liberales«) in Heidelberg, bevor er schon ein Jahr später sein Studium des Kirchenrechts (1417–1423) in Padua aufgenommen und dort fortgesetzt hat. Bereits vor seinem Studienbeginn wurde der tschechische theologische Reformer Jan Hus aus Böhmen im


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